Jakob Hein über "Hypochonder leben länger"

„Ich weigere mich zu glauben, dass alles immer schlimmer wird“

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Der Schriftsteller und Arzt Jakob Hein posiert im Rahmen des Literaturfestivals Lit.Cologne in Köln. (2015)
Jakob Hein ist, neben seiner Tätigkeit als Psychiater, Romanautor. © dpa/ Rolf Vennenbernd
Moderation: Andrea Gerk |
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Jakob Hein dürften viele als Romanautor kennen. Doch der Schriftsteller ist auch Psychiater mit eigener Praxis. In einem Sachbuch will er mit Vorurteilen um diesen Beruf aufräumen
"Hypochonder leben länger und andere gute Nachrichten aus meiner psychiatrischen Praxis." Das ist der Titel des neuen Buches von Jakob Hein. Er ist ein bekannter Schriftsteller und praktizierender Psychiater mit dem Schwerpunkt Kinder- und Jugendpsychiatrie.
In dem Buch räumt er mit vielen Klischees auf. Es ist eine Art Verteidigungsschrift für einen oft fehlverstandenen Beruf. Viele dieser Vorurteile und Missverständnisse seien zwar lustig, so Hein, aber das Problem mit ihnen sei, dass sie nicht nur die Psychiatrie in Verruf bringen würden:
"Sie diskreditieren eben auch die Patientinnen und Patienten. Weil wenn Psychiater nur blöde und nutzlos sind, dann sind ja die Beschwerden und Probleme der Patientinnen und Patienten nicht gerechtfertigt. Und damit habe ich ein Problem. So habe ich eben diese Vorurteile als eine Art Leitfaden genommen, um mich damit auseinanderzusetzen."

Als Arzt ist man (nicht) immer im Dienst

Ein seichtes Beispiel bezeichnet Hein als "Cocktailparty-Störungen". Das seien Probleme, die gar keine Probleme sind, sondern nur auftauchten, wenn man gerade zufällig einem Arzt gegenübersitzt. Er vergleicht es mit der Situation, dass man auf einer Party einem HNO-Arzt begegnet und dann an etwas denkt, das man schon seit zehn Jahren mit sich rumträgt, das aber nie die Schwelle zu einem Arztbesuch erreicht habe. Andere Menschen würden in solchen Situationen aber einfach nur ihre Vorurteile bestätigt bekommen wollen: "Es gibt so Fragen wie: Warum sind alle Psychiater blöd? Was soll man da noch sagen?", so Hein.
"Und dann gibt es eben andere Sachen, wo man sagt: ‚Oh, das ist aber ein ernsthaftes Problem. Ich würde es besser finden, wenn du dich da bei jemandem vorstellst, weil das ist nicht, worüber wir jetzt hier auf einer Party bei einem bei einem Getränk und Fingerfood reden sollten.'"
Ein weiteres Gerücht, an das Hein nicht glaubt, ist die These, dass Probleme bei Menschen immer mehr zunehmen. Er ist der Meinung, dass wir heute einfach nur sehr viel genauer hinschauen als früher. Vor 40 Jahren wäre zum Beispiel kaum jemand auf die Idee gekommen zu fragen, ob Kinder oder Jugendliche glücklich seien. Heute sei das Normalität.
Genderaspekte seien auch ein Beispiel dafür: "Vor 20 oder 30 Jahren meinte man, dass es die gar nicht gibt. Und insofern glaube ich, lernen wir da, genauer hinzuschauen. Und das bringt auch neue Erkenntnisse zutage. Aber ich weigere mich zu glauben, dass alles immer schlimmer wird."

Psychiater oder Autor? Beides!

Normalerweise schreibt Jakob Heine keine Sachbücher, sondern Romane. Sein anderer Beruf beeinflusse seine Autorentätigkeit natürlich. Er könne ja nicht alles, was in seiner psychiatrischen Praxis passiere, einfach ausblenden. Trotzdem versuche er nicht, psychiatrische Romane zu schreiben. Lieber wolle er einen miesen Schriftsteller gescholten werden, denn als schreibender Psychiater ein halbes Lob abzubekommen.
(hte)
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