James Agee: "Da mir nun bewusst wird. Prosa, Skripte, Projekte"
Aus dem amerikanischen Englisch von Sven Koch und Andrea Stumpf
Diaphanes Verlag, Zürich-Berlin, 2015
240 Seiten, 22,95 Euro
Ebenso politisch wie poetisch
In Deutschland ist James Agee bis heute einer der großen Unbekannten in der amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Dabei verfügt der Autor über eine eindrucksvolle Fähigkeit, szenisch zu erzählen. Der neue Band "Da mir nun bewusst wird" bündelt Erzählungen und Prosaskizzen.
1937 bewirbt sich James Agee um ein Stipendium bei der Guggenheim Foundation. Auf zwölf Seiten listet der 28-Jährige seine Arbeitsprojekte und Pläne auf. Er will über "Homosexualität und Football" und "eine neue Art Sexbuch", einen autobiografischen Roman und einen "wahren Bericht über eine Jazz Band" schreiben, ein Kino gründen, das die ganze Nacht geöffnet hat, eine Revue zur Mutterschaft und "eine neue Form von Kurzfilm" entwickeln, außerdem über die Filmgeschichtsschreibung und ein "antikommunistisches Manifest" nachdenken.
Der junge Mann sprüht nur so vor Ideen, und manche seiner Projekte kommen einem so heutig und innovativ vor, dass man sich nicht nur wegen der überbordenden Kreativität des multimedial interessierten Antragstellers die Augen reibt. Wenn er etwa über den (damals neuartigen) Diavortrag schreibt: "Heutzutage lässt sich ein Vortrag aufzeichnen und mit den Dias versenden. Die Idee ist, dass dies die Vitalität einer 'Kunst'-Form erhält, als Zerstörer, Unruhestifter und Lehrer."
Oder sein Plan, über eine Kreuzfahrt zu berichten: Da denkt man an die Reportage, die David Foster Wallace rund 60 Jahre später schrieb, und seine geplante "Pathologie der Faulheit" passte gut in heutige Verlagsprogramme. Man möchte viele der hier skizzierten Ideen umgesetzt sehen und lesen. Dieser Förderantrag ist denn auch das Herzstück des Bandes mit Prosaskizzen, Reportagen, Erzählungen und Filmtreatments dieses ungewöhnlichen und vielseitig begabten Autors.
Ein unmäßiger Trinker und Raucher - und ein gut aussehender Mann
James Agee hat Gedichte und Prosa geschrieben, er war in den 40er- und zu Beginn der 50er-Jahre ein enorm einflussreicher Filmkritiker, er schrieb die Drehbücher zu "African Queen" von John Huston und "The Night of the Hunter" von Charles Laughton, entwickelte ein Filmprojekt für Charlie Chaplin, das nie realisiert wurde und veröffentlichte gemeinsam mit dem Fotografen Walker Evans 1941 den Band "Preisen will ich die großen Männer", der heute als Klassiker der amerikanischen Literatur gilt: Ein ebenso politisches wie poetisches Dokument über eine unsichtbare Bevölkerungsschicht im Süden des Landes, über drei arme Pächterfamilien, die ums Überleben kämpfen.
Bei uns ist James Agee - ein unmäßiger Trinker und Raucher, ein gut aussehender Mann, der 1955 an einem Herzinfarkt starb - einer der großen Unbekannten in der amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Dass der Diaphanes Verlag sich um das Werk dieses Autors bemüht und nun (nach "Der Tramp und die Bombe") den zweiten Agee-Band herausbringt, ist gar nicht genug zu preisen (auch wenn man sich bei der Lektüre immer wieder eine gelenkigere Übersetzung wünschen würde).
Die eindrucksvolle Fähigkeit des Autors, szenisch zu erzählen wird in den Prosastücken aus den 1930er-Jahren schon ganz deutlich. Man lernt den Schriftsteller als begabten jungen Mann kennen und als reifen, der sich die Freiheit nimmt, eine Geschichte von Auflehnung und Unterdrückung aus der Perspektive einer Kuh zu erzählen.