James Baldwin neu gelesen

Amerikas Ur-Lüge und die Wut der Schwarzen

05:17 Minuten
Der Schriftsteller James Baldwin 1963 in New York
"Die Hoffnung muss jeden Tag neu erfunden werden" - ein Zitat von James Baldwin (1924-1987) im Buch von Eddie Glaude. © AP
Von Kerstin Zilm |
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Wie lässt sich der rassistische Glaube an die Überlegenheit der Weißen in Teilen der US-Bevölkerung überwinden? Der Historiker Eddie Glaude blickt in "Begin Again" auf das Amerika des Schriftstellers James Baldwin und zieht daraus Lehren für heute.
Eddie Glaude führt die unter Präsident Trump erstarkte Bewegung für weiße Vorherrschaft in den USA auf die Gründerväter zurück und auf deren Glauben, dass Weiße mehr wert seien als andere Menschen. Diese Überzeugung zeige sich bis heute in Polizeiverhalten, in der Verteilung von Vor- und Nachteilen. Sie sei der rote Faden der US-Geschichte, den jede Generation zu spüren bekomme.
Zu dieser Schlussfolgerung kam Glaude durch die Lektüre von James Baldwin, dem Autor, der in den 1960er-Jahren zu einer Führungsfigur der US-Bürgerrechtsbewegung wurde. In seinem Buch "Begin Again" zitiert Glaude Baldwin.
Baldwin schrieb, die ersten Siedler hätten eine verhängnisvolle Schwäche gehabt: Sie hätten zwar erkannt, wer ein Mensch sei, und gewusst, dass alle Menschen in ihrem neuen, freien Land gleich behandelt werden sollten. Um ihre Sklavenhaltung zu rechtfertigen, hätten sie dann aber die Schlussfolgerung gezogen, dass Schwarze keine Menschen seien. Diese Lüge sei die Grundlage für aktuelle Unruhen.
Glaude stellte sein neues Buch in einer Online-Diskussion mit Schauspieler Don Cheadle vor, veranstaltet von der Autorenorganisation "Writers’ Bloc LA" und "Eso Wan Books", einer auf afroamerikanische Literatur spezialisierten Buchhandlung in Los Angeles.
Nach Glaudes These befinden sich die USA an einem ähnlichen Punkt wie nach dem Mord an Martin Luther King, einer Zeit, in der sich unter den Schwarzen nach großer Hoffnung auf Gleichberechtigung Resignation und Wut ausbreiteten.

Trumps hässliches Amerika

Die Hoffnung jüngster Zeiten kam mit Barack Obama, die Enttäuschung mit der Wahl von Donald Trump. Statt eines Durchbruchs für Gerechtigkeit habe es ein Aufbäumen des hässlichen Amerikas gegeben. Damit sei auch der Zorn zurückgekommen, der sich derzeit auf den Straßen ausdrücke.
Eddie Glaude und Don Cheadle zogen im Gespräch weitere Parallelen zwischen Vergangenheit und Gegenwart mit dem Schreiben von James Baldwin – der setzte letztendlich auf Liebe als ultimativem Weg zu Gerechtigkeit.
Cheadle sagte, Wut, Abgrenzung und Verdrängung seien einfacher, als zu versuchen zusammenzukommen. Dabei gehe es darum zu verstehen, woran die USA seit 400 Jahren kranken – dem Glauben, dass Menschen unterschiedlicher Hautfarbe einen unterschiedlichen Wert haben.

Ermüdende Gespräche mit weißen Freunden

Was tun? Autor und Schauspieler waren sich einig: Sie haben genug davon, weißen Freunden zu erklären, was sie tun können, um der "Black Lives Matter"-Bewegung zu helfen. Alle wüssten, wo sie Einfluss nehmen können und wann sie Stellung beziehen sollten. Schwierige Gespräche über Verbrechen der Vergangenheit und Ursachen des systemischen Rassismus seien allerdings so unvermeidbar wie Gespräche über dessen Bekämpfung, sagte Don Cheadle – und "ermüdend".
Selbst er habe beim Lesen des Buchs zu seiner Frau gesagt: "Verdammt, ich will nicht andauernd über diese Sachen nachdenken müssen!" Aber es wäre eine Schande, die Chance auf Fortschritt in den USA mitten in einer beispiellosen Aufbruchsstimmung zu verpassen.
Trotz aller Rückschläge in der Geschichte der USA geben beide die Hoffnung auf Fortschritt nicht auf. Auch das verbindet sie mit James Baldwin. "Die Hoffnung muss jeden Tag neu erfunden werden", zitiert Eddie Glaude ihn in seinem Buch "Begin Again". Es gehe nicht um eine naive, sondern um eine aktive Hoffnung und um die Zukunft der USA. Das Land stehe vor der Wahl: Stärkt es seine hässliche Seite oder bringt es ein neues, gerechtes Amerika hervor?

Eddie S. Glaude Jr.: Begin Again. James Baldwin’s America and Its Urgent Lessons for Our Own
Crown, 239 Seiten, 27 US-Dollar

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