Pop-Genie und Sklaventreiber
Der Soulsänger James Brown krempelte die Popwelt um, indem er den Funk erfand. Der neue Film "Get on up" zeigt aber auch seine dunklen Seiten: Brown behandelte Musiker und Frauen wie Sklaven. Und noch manch anderes Detail ist überraschend.
"Wie nennen Sie ihren Musikstil genau?"
"Ich sage dazu James-Brown-Musik, denn sie ist ihrer Zeit so weit voraus, einen richtigen Namen dafür gibt es noch nicht."
"Ich sage dazu James-Brown-Musik, denn sie ist ihrer Zeit so weit voraus, einen richtigen Namen dafür gibt es noch nicht."
Der Anfang ist schockierend: Ein runtergekommener James Brown im Trainingsanzug ballert in seiner runtergekommen, untervermieteten Bude rum, liefert sich eine Verfolgungsjagd mit der Polizei und kommt in den Knast, völlig verwirrt und neben sich und auf Drogen. Das ist 1988. Dann springt der Film in die 70er, der "hardest working man in show business" quält sich tanzend und schreiend und schwitzend die Seele aus dem Leib. Dann geht's in eine ärmliche Waldgegend in Georgia - der Vierjährige wird von der Mutter verlassen - und dann in die 50er zu Browns Anfängen mit der Band The Famous Flames, die eigentlich eine Gospel-Gesangsgruppe ist, bis Brown beschließt, dass sie jetzt den wenig frommen Rhythm & Blues singen.
In wilden und scheinbar willkürlichen Zeitsprüngen hopsen die Filmemacher im Leben dieses großen, durchgeknallten Musikerneuerers herum wie in einem Medley aus Zeitsamples. Da wird nicht die Chronologie dieses Lebens vermittelt, sondern das Chaos in James Browns zerrissener Existenz und explosiver Seele: die geprügelte Kindheit in einer Farmhütte in Georgia und der groteske Rassismus der weißen Oberschicht, die fromme Lasterhaftigkeit im Puff seiner klugen Tante Honey und die gottesfürchtige Gospelekstase in der Familie seines Knastkumpels Bobby Byrd, der ihn zeitlebens mit sanfter Freundschaft auf den Boden zurückholt - na ja, so einigermaßen. Seine zärtlichsten Kindheitserinnerungen bleiben allerdings bei einem Paar edler Schuhe, die er einem aufgeknüpften Lynchopfer von den Füssen gezogen hat.
"Junge, du bist was Besonderes. Eines Tages wird jeder Mensch auf der Welt deinen Namen kennen. Und nichts, rein gar nichts, kann dir was anhaben."
Zwischen Egomanie und Irrsinn
Und bei dieser Tour de force durch Browns Seelenleben und die Musikgeschichte nimmt einen der unglaubliche Chadwick Boseman an die Hand: Der 37-Jährige hat bisher fast nur fürs Fernsehen gespielt (und den Baseballspieler Jackie Robinson in "42 – Die wahre Geschichte einer Sportlegende"), hier explodiert er als Tänzer, der all diese verdrehten Schritte und fließenden Bewegungen jenseits der Schwerkraft draufhat. Aber vor allem interpretiert Boseman den ekstatischen Brown in den großen Tanzszenen, bei den lippensynchronen Liveauftritten zur Originalmusik als besessenen Egomanen und zerrissenen Irren gleichzeitig.
"Hör mal, Frau! Ich hab dich gestern angerufen, du warst nicht zu Haus. Wo warst du?"
"In der Badewanne, nehme ich an."
"Was? Zwei Stunden lang?"
"Verdammt, was hast du jetzt vor? Willst du mich dafür bestrafen?"
"In der Badewanne, nehme ich an."
"Was? Zwei Stunden lang?"
"Verdammt, was hast du jetzt vor? Willst du mich dafür bestrafen?"
Mit 37 spielt Boseman den James Brown von 16 bis 60: ob mit gestriegelter Schmalztolle oder später mit Wuschelkopf, ob zu Besuch bei Präsident Johnson oder beim Schwärmen für die Black Panthers, zwischen Wutausbrüchen und tiefer Verletzlichkeit und sexy Angeberei, zwischen Drogen und häuslicher Gewalt. Er ist erbärmlich und grandios und verwandelt die Emotionen in Rhythmen, die ihn schütteln, die die Band schütteln, die das Publikum schütteln.
Und der Zuschauer wird Zeuge, wie Brown den Funk erfindet und ihn aus seinen Musikern wirklich herauspressen muss unter Androhung von Strafen, mit denen er gewöhnlich den Gehorsam seiner großartigen Musiker erzwingt. Meistens bestraft er sie mit Gagenabzug, und sowieso müssen ihn sogar die besten Freunde Mr. Brown nennen.
Mal erschütternd, mal urkomisch
"Stop mal! Clyde, ich will dieses pop-diapp-taptap-pop-diapp und von vorn... Verstehst du? Der Schlag ist vor dem Beat, kapiert?
"Mr Brown!"
"Ja, Maceo?"
"Jimmy kann das nicht so spielen mit dem Part, den er hat. Wenn du willst, ändern wir den Part."
"Nichts ändern! Sagte ich, ändert den Part? He?"
"Mr Brown!"
"Ja, Maceo?"
"Jimmy kann das nicht so spielen mit dem Part, den er hat. Wenn du willst, ändern wir den Part."
"Nichts ändern! Sagte ich, ändert den Part? He?"
"Get on Up" hinterfragt nicht groß, sondern erzählt einfach die Geschichte dieses großen, kaputten Egomanen, der den Funk im Soul erfand – mal erschütternd, mal urkomisch: Let's have a party mitten im Chaos der Persönlichkeit, Schicksalsschlägen, den Umbrüchen der Gesellschaft und der Explosion in der Musik von – James Brown.