"Der Westen hat russische Bedenken nicht ernst genug genommen"
Rund 30 Jahre stand James D. Bindenagel im diplomatischen Dienst der USA. Gute Kontakte nach Moskau seien heute wichtiger denn je, sagt der ehemalige US-Botschafter in Deutschland - und das nicht nur, um den Ukraine-Konflikt zu lösen.
Deutschlandradio Kultur: Rund 30 Jahre stand er im diplomatischen Dienst der USA, James D. Bindenagel, ehemaliger US-Botschafter in Deutschland. Er war Gesandter in der US-Botschaft in Ostberlin und hält es mit dem Diktum Friedrich des Großen: "Diplomatie ohne Waffen ist wie ein Orchester ohne Instrumente". – Herr Bindenagel, wir freuen uns sehr, dass Sie heute unser Gast sind. Hallo.
James D. Bindenagel: Ja, vielen Dank. Ich bin gern bereit, dieses Gespräch zu machen. Deutschlandradio Kultur: Herzlich willkommen. Die Fragen stellen Johannes Nichelmann und Ulrich Ziegler.Herr Bindenagel, in den nächsten 30 Minuten wollen wir mit Ihnen über nichts Einfacheres reden als über Diplomatie, über Krieg und Frieden. Stichworte gibt es genügend: die Ukraine-Krise, der Irak, Syrien. Auf Syrien werden Luftangriffe ausgeweitet. Militärbündnisse werden geschmiedet. Und erstmals seit Ende des Kalten Krieges rüstet die Nato wieder gegen Russland auf. – Erleben eine Militarisierung der Außenpolitik? Bindenagel: Wir leben meines Erachtens nach am Ende der Post-Kalter-Krieg-Ära. Wir haben 25 Jahre mit Frieden und Freiheit gehabt. Jetzt haben wir viele Herausforderungen, die nicht nur militärische, sondern auch politische Fragen stellen. Zum Beispiel in der Ukraine gibt es einen Konflikt zwischen dem Rechtsstaat, den wir haben, und einem ethnischen Nationalismus mit militärischer Macht. Deutschlandradio Kultur: Diese Woche hat die Bundeskanzlerin zur Ukraine-Krise Position bezogen in ihrer Regierungserklärung. Wir hören mal ganz kurz in einen Ton rein. Einspielung Bundeskanzlerin: Der Konflikt ist nicht militärisch zu lösen. Deutschlandradio Kultur: Stimmt das, ja oder nein? Bindenagel: Ja natürlich. Erstes ist die Politik. Ein militärisches Mittel ist nur ein Teil der politischen Aufgabe. Die politische Aufgabe hat Vorrang. Primacy of poliltics ist das Wichtigste. Deutschlandradio Kultur: Hören wir an, was die Kanzlerin noch gesagt hat. Einspielung Bundeskanzlerin: Die 28 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und die Vereinigten Staaten von Amerika finden gemeinsame Antworten. Deutschlandradio Kultur: Gibt’s also gar keine Differenzen zwischen den USA und der Europäischen Union? Bindenagel: Ja, natürlich gibt es viele Differenzen. Das Wichtigste ist, was wir jetzt in der Ukraine sehen, das wir gemeinsam stehen. Standfestigkeit ist das Wichtigste. Deutschlandradio Kultur: In dieser Woche sind neue Sanktionen gegen Russland in Kraft getreten. Dennoch sagt die Kanzlerin: Einspielung Bundeskanzlerin: Gleichzeitig arbeiten wir fortwährend für eine diplomatische Lösung des Konflikts. Die Tür zu Verhandlungen ist und bleibt offen. Deutschlandradio Kultur: Ist das Diplomatie oder ein Schlingerkurs? Bindenagel: Das ist eine Lehre aus dem Ersten Weltkrieg. Die Frage: Wir können nicht mehr miteinander reden, keine Lösung finden. – Jetzt müssen wir miteinander reden, um Lösungen zu finden zu diesem Problem. Deutschlandradio Kultur: Aber im Moment gibt es Sanktionen und Gegensanktionen. Die Frage stellt sich für uns aus europäischer Sicht zugespitzt: Ist Russland eine Bedrohung für die euro-atlantische Sicherheit hier in Europa? Oder gilt der Satz: Die Sicherheit Europas ohne Russland ist überhaupt nicht denkbar? "Die Ukraine-Krise ist eine Bedrohung für Europa und Amerika" Bindenagel: Erstens ist, was jetzt in der Ukraine passiert, eine Bedrohung für Europa und für uns. Es ist eine Frage von Macht. Sanktionen natürlich? Was können wir tun? Was wird was es kosten? Putin macht dann auch Sanktionen gegen uns. Aber es ist viel besser, damit zu spielen, als mit militärischer Macht. Deutschlandradio Kultur: Sehen Sie schon Erfolge? – Die Reaktionen sind immer berechenbar. – Das trifft vielleicht dann die Leute in Russland und vielleicht auch in Europa, aber Herrn Putin wird es nicht unbedingt treffen. Bindenagel: Natürlich wird es kurzfristig Herrn Putin nicht treffen. Er hat auch schon seine Meinung und wird das auch fortsetzen. Aber wenn er weiß, dass wir längerfristig gemeinsam an einem Strang ziehen, hat er auch Möglichkeiten wieder darüber zu sprechen, was möglich ist. Deutschlandradio Kultur: Jetzt beschließen die Russen wahrscheinlich auch Gegensanktionen. Es war davon zu lesen, dass Auto-Einfuhren verboten werden, was natürlich Deutschland ganz hart trifft mit der Autoherstellung. Zum ersten Mal ist das Gefühl da, dass es jetzt vielleicht mehr als nur der Verlust der Apfelproduktion ist, was bei den ersten Sanktionen im Gespräch war. Sind diese ganzen Sanktionen und Gegensanktionen nicht auch ein Zeichen von Hilflosigkeit? Bindenagel: Nein. Es ist eine Frage von politischem Willen. Diesen politischen Willen muss man verstehen. Wenn man einen politischen Willen hat, kostet es auch was. Aber es ist viel besser, auf dieser Ebene den politischen Willen zu zeigen als auf militärischer Ebene. Deutschlandradio Kultur: Zbigniew Brzeziński ist Berater von US-Präsident Obama. Er hat diese Woche gesagt, dass man möglicherweise auch die Ukraine mit modernen Waffen ausstatten müsse, damit die ukrainische Armee gegen die Separatisten besser vorgehen könne. – Ist da was dran? Bindenagel: Auch diese Diskussion muss man haben, was die Alternativen sind, dass wir erstens auch im Baltikum und auch in Polen mehr Manöver machen, dass wir im Schwarzen Meer auch mehr Manöver machen und auch überlegen, was wir auch in der Ukraine und mit der Ukraine machen können, um diese Möglichkeiten auch ins Gespräch zu führen. Ich habe nichts dagegen, dass man über alle Möglichkeiten redet, aber die Entscheidungen sind wichtig. Deutschlandradio Kultur: Es heißt aus Brüssel und von vielen Regierungen der Europäischen Union, dass sie eigentlich mit den Sanktionen gar nicht so einverstanden sind und der Druck eher aus den Vereinigten Staaten von Amerika kommt. – Welche geopolitischen Interessen hat denn Washington? Bindenagel: Unsere geopolitischen Interessen. Wir sind auch für den Frieden, für den Rechtsstaat. Kurz nach der Einheit Deutschlands haben wir auch in Jugoslawien einen Krieg gehabt. Da war auch die erste Entscheidung: Wie können wir den Frieden wieder herstellen und auch Stabilität? Das ist dann unser geopolitisches Interesse, das auch zu machen, auch die Nato-Erweiterung, als der Warschauer Pakt auseinander gefallen ist. Warum haben wir das gemacht? Wir haben das gemacht auch, um den Frieden zu behalten mit dem, was wir mit der EU machen. Deutschlandradio Kultur: Es gibt aber Kritiker, die sagen: Das, was die Amerikaner fordern, schärfere Sanktionen gegenüber Russland, das passt nicht in das Konzept, was Europa hat, weil wir dichter dran sind, weil wir abhängiger sind in den Wirtschaftsbeziehungen. Also, dass das Hand in Hand geht, was die Amerikaner an Vorstellungen haben im Umgang mit der Ukraine und Russland, und das, was die Europäer machen wollen, das stimmt nicht ganz. Es gibt Differenzen. Bindenagel: Ja natürlich gibt es Differenzen. Das sind Auseinandersetzungen in der Politik, die man führen muss. Das Wichtigste ist am Ende, was wir dann auch gesehen haben an den Sanktionen, da sind wir gemeinsam. Letzten Endes ist das Ziel, erstens Frieden in der Ukraine wieder herzustellen und dann weitersehen. Deutschlandradio Kultur: Wo haben denn Sanktionen in der Vergangenheit was gebracht? Bindenagel: Besonders kann man das in Südafrika sehen. Das hat wirklich was gebracht. Es sind nicht nur die Sanktionen selber. Sie sind nicht der Endpunkt. Sanktionen sind dafür da, die politische Auseinandersetzung zu beleben. Das sind Maßnahmen, die man wirklich machen kann. Deutschlandradio Kultur: Sie waren 30 Jahre im diplomatischen Dienst der USA. Sie haben also die Zeitläufte auch in Europa intensiv beobachtet. Jetzt reden wir über Sanktionen ja und gegen Sanktionen nein oder vielleicht doch. Wenn wir nochmal zurückblicken, hat der Westen vielleicht doch Fehler gemacht? Das kann man ihm heute nicht vorwerfen. Aber dass man mit einer größeren Strategie im Umgang mit Russland hätte umgehen müssen, die im Moment tatsächlich mit der Nato-Osterweiterung nicht zurechtkommen, können Sie das verstehen? "Die Einheit kam nicht ohne die Russen" Bindenagel: Das ist ein sehr wichtiges Thema, dass man auch erst versteht, wenn man auf die 25 Jahre zurückblickt, als ich hier als Diplomat in der DDR war und auch im vereinigten Deutschland und danach, was wir gemacht haben. Erstens, in den Verhandlungen für die Einheit Deutschlands war es ein wichtiges Thema. Die Einheit kam nicht ohne die Russen oder Sowjets damals. Da haben wir dann auch gesagt: Was können wir gegen die Besorgnisse der Sowjetunion, Gorbatschow und Jelzin, tun? Da haben wir dann auch erstens in der Nato das Konzept geändert, ein konventionelle Waffen-Abkommen gemacht. Und Deutschland mit Polen hat dann auch die Grenze mit Polen gesichert. In den 90er Jahren haben wir dann auch Partnership for Peace angefangen, weil das im Kontext von Jugoslawien war – und auch anschließend die Nato-Erweiterung, um die Länder, die dann auch Stabilität haben wollten, mit einzubeziehen. Deutschlandradio Kultur: Aber gerade die Nato-Erweiterung ist doch die Achillesferse. Wäre es nicht sinnvoller gewesen, den Vorschlag von Michael Gorbatschow damals aufzunehmen und zu sagen: Wir müssen über die Nato hinausdenken. Wir brauchen ein gemeinsames europäisches Haus. Sicherheitsbündnisse aus Zeiten des Kalten Krieges sind vielleicht ein stückweit anders und neu zu interpretieren. Bindenagel: Natürlich war das auch ein Thema, mit OSZE oder auch mit Pan Europaen Sicherheit zu diskutieren. Das Problem war, wir hatten noch die bestehende Nato und der Warschauer Pakt ist auseinandergefallen. Dann kamen die Länder, die dazwischen waren. Die Breschnew-Doktrin war weg. Die konnten selbst entscheiden. Die Länder haben sich entschieden, dann auch zur Nato zu kommen – erstens mit Polen, Ungarn und der Tschechischen Republik. Die wollten dann auch zur Nato. Das war für uns als Amerikaner schon in der Einheitsdebatte ein Thema. Auch schon Secretary Baker hat am 12. Dezember hier in Berlin geäußert, was für uns wichtiger war, dass Deutschland in der Nato bleibt, weil es für eine Stabilität und Frieden für Europa aus unserer Sicht wichtig war. Darüber haben wir uns mit den Russen auseinandergesetzt. Wir haben auch mit der ersten Nato-Erweiterung mit Russland Founding Act gemacht. Probleme waren natürlich auch später. Besonders 2008 hatten wir in der Nato eine Debatte, ob die Ukraine, ob Georgien auch Mitglied sein können. Das war wirklich ein Fehler. Die Russen waren damit nicht nur nicht einverstanden, sondern noch schlimmer. Die waren ganz dagegen. Und das zweite Problem, was wir hatten, war, dass Putin in Georgien auch einmarschiert ist. Und wir im Westen haben nichts gemacht. Das hat ihm aus meiner Sicht einen Freifahrschein gegeben, solche Dinge zu machen. Deutschlandradio Kultur: Was hätte man denn machen sollen, als Putin mit seinen Soldaten in Georgien war? Bindenagel: So ähnlich wie heute sich damit politisch auseinander zu setzen. Erstens auch in der UNO mit dem Sicherheitsrat, obwohl die ein Veto haben, aber das hätten wir in diesen Gremien dann auch diskutiert sollen. Eine politische Debatte hätten wir dann auch mindestens angefangen. Man kann auch später sagen, vielleicht hätten wir dann auch Sanktionen oder so, aber erstens hätten wir dann bei der UNO und Nato und im Russland-Rat darüber reden müssen. Deutschlandradio Kultur: Bei der Erweiterung der Nato gen Osten hat da niemand daran gedacht, dass man vielleicht den Stolz der Russen herausfordert, die eben die russische Größe vor sich hertragen und diesen russischen Nationalismus, dass man die dabei verletzt und dann eben dahin bringt? Bindenagel: Ja natürlich haben wir diese Debatte gehabt. Die Deutschen waren Vorreiter bei diesen Themen. Das Problem war, wir haben das nicht ernst genug genommen. Das ist klar. Deutschlandradio Kultur: Warum haben Sie das damals nicht ernst genug genommen? Bindenagel: Man kann auch sagen, die Russen hatten intern Probleme. Die waren auch von der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung sehr fasziniert und hatten auch mit uns keine guten Gesprächspartner dafür. Und wir hatten auch das Interesse, einen Gesprächspartner zu finden. Wir haben auch wenige gefunden und haben das dann beiseitegelegt, nicht abgelehnt, sondern beiseitegelegt. Deutschlandradio Kultur: Wenn man sagt, man kann aus Fehlern lernen, was würden Sie denn heute aktiven Politikern empfehlen im Umgang mit Russland, wenn wir uns diese Zeitschiene nochmal vor Augen führen? Bindenagel: Ja, das sind die Dinge, die wir schon diskutiert haben. Das ist das Wichtigste, dass wir ständig in Kontakt bleiben, ständig die politische Auseinandersetzung suchen. Jeder soll dann auch mitreden. Und dann haben wir auch eine Öffentlichkeit, was wir jetzt hier machen. Ideen austauschen, nicht nur taktisch, sondern auch strategisch denken. Deutschlandradio Kultur: Wir haben ganz neue asymmetrische Kriege. Sie haben es am Anfang angesprochen: viele Gesprächspartner, Drohnenkriege, unselige Allianzen. – Ist die Diplomatie der alten Schule ein Auslaufmodell? Bindenagel: Nein. Das kann man nicht sagen. Die Diplomatie steht vor einer schwierigen Herausforderung. Wie können wir das mit ISIS und anderen angehen? Erstens müssen wir wirklich verstehen, was für eine Bedrohung die wirklich sind. Wir müssen auch sehen, was die Scharia Polizei in Wuppertal macht, und andere Themen. Wir müssen uns jetzt wirklich vorbereiten für diese Gespräche. Wir müssen auch verstehen, was sie sind, warum die das machen und was wir tun können. Deutschlandradio Kultur: Wissen Sie denn überhaupt, wer die Gesprächspartner sein könnten? Das ist doch äußerst schwierig, überhaupt jemanden zu finden, mit dem man Nation Building machen kann. Bindenagel: Ja. Erstens müssen wir das auf unserer Seite organisieren. Wir müssen auch sehen, wer die Leute unterstützt und warum – geografisch, ideologisch. Was sind das für Religionen? Wir haben diese Debatte auch noch nicht vollendet und müssen ersten s unser eigenes Haus zusammenbringen. Deutschlandradio Kultur: Was heißt, Ihr eigenes Haus zusammenbringen? Bindenagel: Präsident Obama hat schon gesagt, wir sind jetzt in der Lage, die Amerikaner sind in der Lage, das ein bisschen weiter zu führen – mit den Saudis, mit dem Nahen Osten, mit den anderen gemeinsam, auch mit den Iranern. Da sieht man, dass wir dann auch wieder Gesprächsmöglichkeiten mit den Russen haben. Wir brauchen die Russen nicht nur, um dieses Problem in der Ukraine aufzulösen. Wir brauchen sie auch mit dem Iran, auch mit den Nuklearfr agen. Wir brauchen die Russen, weil sie eigene Interessen haben, aus meiner Sicht auch für das ISIS-Problem. Wo sind die Interessen? Jetzt haben wir uns seit ein paar Tagen mit Präsident Obama auch wirklich darauf fokussiert. Deutschlandradio Kultur: Sie hatten vor einem halben Jahr gesagt, es ist ein nicht besonders gefährliches Juniorenteam, die IS-Terrormilizen. Und jetzt heißt es aus dem Weißen Haus wohl, dass es eine der größten Bedrohungen der letzten Jahrzehnte sei und niemand weiß, wie das besiegt werden kann oder beendet werden kann. – Wer hat denn da versagt in der US-Regierung? Bindenagel: Was sich geändert hat? Für die Amerikaner haben die zwei Journalisten, die getötet wurden, die Meinungen geändert. Man könnte auch sagen: Nach dem Ende des Irakkrieges und Afghanistankrieg waren diese Kriege nicht mehr auf dem Tisch und dann haben wir auch gesagt, diese Konflikte sind begrenzt. Dann haben wir aber auch gesehen, dass sie nicht begrenzt sind und dass die Bedrohung für die Amerikaner mit diesen zwei Journalisten das genau umgekehrt hat. Das heißt, 72 Prozent waren gegen eine Einmischung durch Amerika. Jetzt sind über 70 Prozent dafür – und das am Jahrestag vom 9/11 in New York in Pennsylvania, in Washington! Das hat schon in Amerika auch die Meinungen geändert. Deutschlandradio Kultur: Sie sagen, die amerikanische Innenpolitik bestimmt die Außenpolitik? Die Umfragen in Amerika bestimmen, dass der amerikanische Präsident, Friedens-Nobelpreisträger, jetzt zum Kriegsherr werden muss? Bindenagel: Natürlich spielt Innenpolitik eine Rolle, ohne Frage. Aber es ist nicht nur die Innenpolitik, nicht nur Umfragen, die das machen. Aber das ist ein Zeichen, was man auch diskutieren kann, weil es in der Öffentlichkeit ist. Natürlich gibt es auch die Analysen von den Diensten, von den Akademikern, auch von anderen, auch von unseren Partner, die auch eine erhebliche Rolle in der Meinungsbildung des Präsidenten und seiner Berater spielen. Deutschlandradio Kultur: Gehen wir mal zurück zu Friedrich II. Ich habe Sie am Anfang zitiert aus einem Kommentar, in dem Sie mal geschrieben haben: „Diplomatie ohne Waffen ist wie ein Orchester ohne Instrumente.“ – Ist denn zumindest im Nahmen Osten jetzt wieder die Stunde des Militärs angebrochen? Bindenagel: Es ist klar. Das müssen wir auch zeigen, dass wir auch bereit sind, nicht zu reden. Wir sind bereit, auch uns zu schützen. Dann kommt noch die Frage: Was für eine Auswirkung haben militärische Einsätze für die Diplomatie, für die Verhandlungen? Kommt dann jemand von diesen unbekannten Leuten, mit denen wir dann auch reden können oder nicht? Wenn nicht, muss man auch weiter mit Militär einschreiten und auch kämpfen. Was wir auch in Wuppertal gesehen haben, spielt aus unserer Sicht auch eine Rolle. Deutschlandradio Kultur: Der amerikanische Präsident sagt, Luftschläge ja, Bodentruppen nein. Das heißt, im Nahkampf müssen dann die arabischen Partner, wer auch immer das sein mag, vor Ort sozusagen kämpfen. Und am Schluss gewinnt der syrische Präsident, weil er dadurch seine Macht selber stärkt. – Das geht doch alles nicht auf. "Die amerikanische Strategie ist auch, Stärke zu zeigen" Bindenagel: Ja, das ist keine einfache Sache. Die amerikanische Strategie ist auch, Stärke zu zeigen. Und die anderen Partner müssen dann auch mitmachen. Es ist nicht nur, dass wir die Truppen von den Arabern auch haben wollen. Wir wollen, dass die dann, auch in der politischen Auseinandersetzung dabei sind. Die Lösung kommt am Ende nur, wenn die auch mit uns spielen, Assad oder die anderen gemeinsam auf politischer Ebene. Es ist wie dieses Zitat von Friedrich dem Großen. Es kommt wieder auf die Politik an und welche militärischen Einsätze von der Politik ermächtigt werden. Deutschlandradio Kultur: Spulen wir mal ein paar Jahre nach vorne, holen unsere Glaskugel raus: Wenn die IS-Milizen vielleicht in drei Jahren, davon wird momentan gesprochen, besiegt sind, wer sorgt dann für politische stabile Verhältnisse in der Region? Bindenagel: Dann stellt sich in diesem Fall auch die Frage der Geografie und der Religion. Da werden wir dann auch sagen: Wer gewinnt, sind hoffentlich die Leute, die auch miteinander arbeiten. Das heißt, dass Sunniten und Schiiten gemeinsam im Irak eine Regierung haben können, dass sie dann auch gemeinsam die Politik führen – als bestes Beispiel. Und in den anderen Regionen, dass dann auch Schiiten und Sunniten, Irani und Saudis auch kooperieren, nicht zusammenarbeiten, aber kooperieren. Deutschlandradio Kultur: Zeigt aber nicht genau das Irak-Beispiel, dass das nicht funktioniert in diesen alten Formen, wie wir denken, in diesen alten Vorstellungen von Grenzziehungen, die irgendwann postkolonial errichtet worden sind? Das funktioniert nicht. Dieser Versuch der Amerikaner die irakische Armee als eine Armee aufzubauen, in der alle Gruppen zusammenarbeiten, hat nicht funktioniert. Warum soll das dann künftig woanders funktionieren in dieser Region? Bindenagel: Das ist eine interessante Frage. Wenn die Welt auseinandergeht, haben wir eine Möglichkeit, entweder zu Krieg und Zerfall zu kommen oder dahin, was wir nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa gesehen haben. Das ist ja auch eine Möglichkeit, einen Rechtsstaat zu bilden, Stabilität zu finden. Dazu braucht man auch wirklich Leute, die klug sind, denken, auch Kontakte haben, dass sie dann auch eine neue Ordnung machen. Die Idee in Europa zeigt: Grenzen kann man auch friedlich ändern. Das sollte auch ein Ziel sein, diese Zusammenarbeit, wo die Kurden oder die Iraner oder so ihre eigenen Sachen machen. Deutschlandradio Kultur: Momentan gibt es eine Zusammenarbeit des Westens mit Saudi Arabien und Katar. Ist das nicht eine tickende Zeitbombe, wenn diese Länder jetzt auch militärisch weiter aufgerüstet werden? Wer weiß, wo die in ein paar Jahren stehen? Bindenagel: Ja, natürlich. Das haben wir auch im Irak gesehen. Da hat die ISIS auch militärische Einrichtungen, die wir da hatten, jetzt in der Hand. Und natürlich muss man auch Besorgnisse haben. Die Besorgnisse sind aber nicht eine Frage von Lösung, sondern von Management. Da muss man auch wirklich mit den Saudis und der nächsten Generation und anderen Partnern auch in Katar zusammenarbeiten. Deutschlandradio Kultur: Ziemlich beste Freunde sind im Moment die Kataris und die Herrscherhäuser in Saudi Arabien. Ob das noch lange so funktioniert mit den Amerikanern, sei mal dahingestellt. Aber wenn Sie sagen, wir brauchen Gesprächspartner, und Sie haben diese Vision, dass wir sagen, das könnte sich demokratisch so entwickeln wie in Osteuropa der Umbruch, nochmal die Frage: In Libyen hat es nicht funktioniert. Im Irak ist es schwierig. In Syrien wissen wir überhaupt nicht, wie sich dieses Land entwickeln wird. Wäre nicht von diplomatischer Seite oder von historischer Seite aus die Überlegung richtig, zu sagen, wir brauchen wirklich eine Neuordnung in dieser Region? Wir müssen Strukturen neu schaffen und wir haben einfach die Gesprächspartner nicht, so wie Sie sie vielleicht gerne gehabt hätten, wie Vaclav Havel in Tschechien. Die gibt’s da einfach nicht. "Leider haben wir keine Vaclav Havels in der Gegend" Bindenagel: Ja, leider haben wir auch keine Vaclav Havels in der Gegend. Da muss man dennoch nicht aufgeben. Das müssen wir wirklich härter versuchen, erstens mit einer Vision. Was können wir in den Auseinandersetzungen tun? Ist diese Vision die von Europa, die die EU dann auch in 70 Jahre geschafft hat, ist das eine Idee für friedliche Zusammenarbeit? Oder ist es Putin mit seinem Nationalismus und seiner Machtpolitik? Das ist eine Konfrontation nicht nur im Nahen Osten, sondern auch in Europa. In Europa ist es begrenzt, aber der Konflikt ist der gleiche. Die Frage ist: Schaffen wir ein neues Rechtsstaatswesen oder eine Neuordnung oder geht es nur um Macht und militärische Auseinandersetzungen. Deutschlandradio Kultur: Und warum muss der Westen da eingreifen? Warum müssen die Länder nicht sich selbst emanzipieren – bei allen Schwierigkeiten? Bindenagel: Weil die dann uns bedrohen, deswegen. Sie kommen dann auch nach Europa. Wir wissen, auch viele einzelne Leute sind aus Europa in diesem Kampf. Die kommen wieder. Das ist ein Thema. Die große wichtige Frage ist, ob die Nah-Ost-Auseinandersetzungen künftig noch Europa oder Amerika getragen werden.
Deutschlandradio Kultur: Herr Bindenagel, Sie sind der erste Inhaber der Henry-Kissinger-Stiftungsprofessur für Internationale Beziehungen und Völkerrechtsordnung an der Universität Bonn. Sie werden im kommenden Wintersemester Ihre ersten Vorlesungen halten. – Haben Sie Ihre Zusage schon bereut? Bindenagel: Ja, das ist eine sehr interessante Frage. Bei den ersten Gesprächen im Dezember war die Welt ganz anders, als sie jetzt ist. Im Februar, bei der Münchner Sicherheitskonferenz hat Präsident Gauck gesagt, dass Europa, dass Deutschland mehr Verantwortung für die internationale Sicherheit übernehmen muss. Dann meldet sich noch die Bundesverteidigungsministerin. Das war eine ganz andere Welt, als ich dann auch erwartete. Aber ich gern bereit, weil ich so viel mit Merkel und Deutschland auch über die 40 Jahre erlebt habe und weiß, dass wir das auch schaffen können. Kissinger hat dann auch das Problem der Diplomatie und auch strategisches Denken und Konflikte zwischen Prinzipien und auch Interessen aufgezeigt.. Deutschlandradio Kultur: Lassen Sie mich erstmal kurz erklären, was der Ärger eigentlich ist, für die, die es nicht wissen: Es gibt an der Uni Bonn die Initiative "Zivile Uni Bonn". Und die hat sich in einem offenen Brief jetzt nicht gegen Sie persönlich, aber gegen die Professur ausgesprochen, weil eben der Name Henry Kissinger für diese Leute sehr negativ behaftet ist. – Haben Sie Verständnis dafür, dass für viele Studierende und auch Intellektuelle für diesen Namen Henry Kissinger einfach kein großes Verständnis da ist? Bindenagel: Nein. Ich muss ehrlich sagen,das ist eine Realität. Die Welt hat Interessen und hat auch Prinzipien und hat dann diese Auseinandersetzung. Wenn eine Universität nur reine Möglichkeiten lehrt und die Welt nicht sieht, wie sie ist, dann werden die Studierenden nicht gut vorbereitet für das Leben. Und ich bin auch gern bereit, da mitzukommen. Ich muss dann auch sagen, für mich bietet die Professur die Möglichkeit über die Rolle Diplomatie und Konfliktprävention zu diskutieren. Das heißt, einen Teil dieser Studierenden auch darüber zu informieren und meinen Teil beizutragen, dass in dieser Fakultät, die Welt auch mit einbezogen wird. Deutschlandradio Kultur: Also, Friedensforschung, Konfliktprävention, diplomatische Erfahrungen, alles, was Sie mitbringen können. – Das Interessante an der Geschichte ist nur von Deutscher Sicht aus, dass diese Stiftungsprofessur mit vom Verteidigungsministerium finanziert wird. Das gab es bisher in Deutschland noch nicht, wenn man mal die Bundeswehruniversitäten vorweg lässt. Da ist zumindest für viele in Deutschland so ein Bruch. Dafür können Sie nichts, aber die Diskussion ist, dass man sagt: Warum muss das Verteidigungsministerium einer Universität, die außerhalb der Bundeswehr ist, so etwas finanzieren? Und dann finden sie noch jemanden, der mitmacht. Das ist schon für manche Leute schwierig. Bindenagel: Ja, das kann ich auch verstehen. Aber die Frage ist natürlich zuerst: Hat das Ministerium, das diese Professur finanziell unterstützt, auch Einfluss auf die Lehrinhalte? Das haben wir auch geforscht. Ich würde nie so eine Position nehmen, wenn sie von einem Ministerium kontrolliert werden würde. Akademische Freiheit muss man schützen. Das ist keine Frage Aber letzten Endes glaube ich, dass die Universitäten in Deutschland von der Regierung auch anders Geld bekommen. Wenn es mit dem Bundeshaushalt vom Bundestag abgestimmt ist, der Bundestag zugestimmt hat, würde ich sagen, gehört das zu den Bedingungen einer Universität. In Deutschland hat man auch die Möglichkeit, was in Amerika nicht passiert. Das heißt, jedes Land hat Souveränität in den Hochschulgesetzen. Und dieses Land Nordrhein-Westfalen hat ein eigenes Hochschulgesetz. Und die Universität wird vom Rektorat und nicht von den Ministerien geleitet. Das würde ich auch persönlich ablehnen, wenn es anders wäre. Deutschlandradio Kultur: Wissen Sie eigentlich schon, ob Sie einen ganz großen Hörsaal brauchen oder ob es ein kleinerer Raum sein wird? Denn die Anmeldefristen für die Studenten sind bereits gelaufen. Oder werden Sie möglicherweise gleich am Anfang ganz andere Diskussionen mit Studenten führen? Gibt es Sit-ins? Haben Sie irgendwie eine Vermutung? Bindenagel: Ja, erstens habe ich auch mit Professoren gesprochen. Das Wichtigste ist, in diese Professur sollten auch andere Professoren mit einbezogen werden, die auch an der Universität sind. Ich werde dann auch ein Seminar mit Matthias Herdegen und auch Professor Hilz machen. Das haben wir für politische Wissenschaft und auch für das Jura-Studium in diesem Jahr schon beschlossen. Aber das Wichtigste ist, der Meinung bin ich auch, mir Zeit für die Studierenden zu nehmen – informell. Dazu bin ich gerne bereit und werde auch mit verschiedenen Gruppen arbeiten. Ich wollte auch für mich persönlich wissen, was dieser Studierendengeneration am Herzen liegt, und vielleicht einen Beitrag leisten aus meiner langjährigen Zusammenarbeit im Kalten Krieg, nach dem Kalten Kriegen und was wir jetzt haben. Deutschlandradio Kultur: Also wäre vielleicht diese Tacheles-Runde, die wir gemacht haben, schon eine kleine Gesprächsgrundlage für die Diskussion mit Ihren Studenten? Bindenagel: Ja. Vielen Dank. Es ist schon eine gute Grundlage. Ich werde das dann auch gern weiterführen. Deutschlandradio Kultur: Vielen Dank, dass Sie gekommen sind.
James D. Bindenagel: Ja, vielen Dank. Ich bin gern bereit, dieses Gespräch zu machen. Deutschlandradio Kultur: Herzlich willkommen. Die Fragen stellen Johannes Nichelmann und Ulrich Ziegler.Herr Bindenagel, in den nächsten 30 Minuten wollen wir mit Ihnen über nichts Einfacheres reden als über Diplomatie, über Krieg und Frieden. Stichworte gibt es genügend: die Ukraine-Krise, der Irak, Syrien. Auf Syrien werden Luftangriffe ausgeweitet. Militärbündnisse werden geschmiedet. Und erstmals seit Ende des Kalten Krieges rüstet die Nato wieder gegen Russland auf. – Erleben eine Militarisierung der Außenpolitik? Bindenagel: Wir leben meines Erachtens nach am Ende der Post-Kalter-Krieg-Ära. Wir haben 25 Jahre mit Frieden und Freiheit gehabt. Jetzt haben wir viele Herausforderungen, die nicht nur militärische, sondern auch politische Fragen stellen. Zum Beispiel in der Ukraine gibt es einen Konflikt zwischen dem Rechtsstaat, den wir haben, und einem ethnischen Nationalismus mit militärischer Macht. Deutschlandradio Kultur: Diese Woche hat die Bundeskanzlerin zur Ukraine-Krise Position bezogen in ihrer Regierungserklärung. Wir hören mal ganz kurz in einen Ton rein. Einspielung Bundeskanzlerin: Der Konflikt ist nicht militärisch zu lösen. Deutschlandradio Kultur: Stimmt das, ja oder nein? Bindenagel: Ja natürlich. Erstes ist die Politik. Ein militärisches Mittel ist nur ein Teil der politischen Aufgabe. Die politische Aufgabe hat Vorrang. Primacy of poliltics ist das Wichtigste. Deutschlandradio Kultur: Hören wir an, was die Kanzlerin noch gesagt hat. Einspielung Bundeskanzlerin: Die 28 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und die Vereinigten Staaten von Amerika finden gemeinsame Antworten. Deutschlandradio Kultur: Gibt’s also gar keine Differenzen zwischen den USA und der Europäischen Union? Bindenagel: Ja, natürlich gibt es viele Differenzen. Das Wichtigste ist, was wir jetzt in der Ukraine sehen, das wir gemeinsam stehen. Standfestigkeit ist das Wichtigste. Deutschlandradio Kultur: In dieser Woche sind neue Sanktionen gegen Russland in Kraft getreten. Dennoch sagt die Kanzlerin: Einspielung Bundeskanzlerin: Gleichzeitig arbeiten wir fortwährend für eine diplomatische Lösung des Konflikts. Die Tür zu Verhandlungen ist und bleibt offen. Deutschlandradio Kultur: Ist das Diplomatie oder ein Schlingerkurs? Bindenagel: Das ist eine Lehre aus dem Ersten Weltkrieg. Die Frage: Wir können nicht mehr miteinander reden, keine Lösung finden. – Jetzt müssen wir miteinander reden, um Lösungen zu finden zu diesem Problem. Deutschlandradio Kultur: Aber im Moment gibt es Sanktionen und Gegensanktionen. Die Frage stellt sich für uns aus europäischer Sicht zugespitzt: Ist Russland eine Bedrohung für die euro-atlantische Sicherheit hier in Europa? Oder gilt der Satz: Die Sicherheit Europas ohne Russland ist überhaupt nicht denkbar? "Die Ukraine-Krise ist eine Bedrohung für Europa und Amerika" Bindenagel: Erstens ist, was jetzt in der Ukraine passiert, eine Bedrohung für Europa und für uns. Es ist eine Frage von Macht. Sanktionen natürlich? Was können wir tun? Was wird was es kosten? Putin macht dann auch Sanktionen gegen uns. Aber es ist viel besser, damit zu spielen, als mit militärischer Macht. Deutschlandradio Kultur: Sehen Sie schon Erfolge? – Die Reaktionen sind immer berechenbar. – Das trifft vielleicht dann die Leute in Russland und vielleicht auch in Europa, aber Herrn Putin wird es nicht unbedingt treffen. Bindenagel: Natürlich wird es kurzfristig Herrn Putin nicht treffen. Er hat auch schon seine Meinung und wird das auch fortsetzen. Aber wenn er weiß, dass wir längerfristig gemeinsam an einem Strang ziehen, hat er auch Möglichkeiten wieder darüber zu sprechen, was möglich ist. Deutschlandradio Kultur: Jetzt beschließen die Russen wahrscheinlich auch Gegensanktionen. Es war davon zu lesen, dass Auto-Einfuhren verboten werden, was natürlich Deutschland ganz hart trifft mit der Autoherstellung. Zum ersten Mal ist das Gefühl da, dass es jetzt vielleicht mehr als nur der Verlust der Apfelproduktion ist, was bei den ersten Sanktionen im Gespräch war. Sind diese ganzen Sanktionen und Gegensanktionen nicht auch ein Zeichen von Hilflosigkeit? Bindenagel: Nein. Es ist eine Frage von politischem Willen. Diesen politischen Willen muss man verstehen. Wenn man einen politischen Willen hat, kostet es auch was. Aber es ist viel besser, auf dieser Ebene den politischen Willen zu zeigen als auf militärischer Ebene. Deutschlandradio Kultur: Zbigniew Brzeziński ist Berater von US-Präsident Obama. Er hat diese Woche gesagt, dass man möglicherweise auch die Ukraine mit modernen Waffen ausstatten müsse, damit die ukrainische Armee gegen die Separatisten besser vorgehen könne. – Ist da was dran? Bindenagel: Auch diese Diskussion muss man haben, was die Alternativen sind, dass wir erstens auch im Baltikum und auch in Polen mehr Manöver machen, dass wir im Schwarzen Meer auch mehr Manöver machen und auch überlegen, was wir auch in der Ukraine und mit der Ukraine machen können, um diese Möglichkeiten auch ins Gespräch zu führen. Ich habe nichts dagegen, dass man über alle Möglichkeiten redet, aber die Entscheidungen sind wichtig. Deutschlandradio Kultur: Es heißt aus Brüssel und von vielen Regierungen der Europäischen Union, dass sie eigentlich mit den Sanktionen gar nicht so einverstanden sind und der Druck eher aus den Vereinigten Staaten von Amerika kommt. – Welche geopolitischen Interessen hat denn Washington? Bindenagel: Unsere geopolitischen Interessen. Wir sind auch für den Frieden, für den Rechtsstaat. Kurz nach der Einheit Deutschlands haben wir auch in Jugoslawien einen Krieg gehabt. Da war auch die erste Entscheidung: Wie können wir den Frieden wieder herstellen und auch Stabilität? Das ist dann unser geopolitisches Interesse, das auch zu machen, auch die Nato-Erweiterung, als der Warschauer Pakt auseinander gefallen ist. Warum haben wir das gemacht? Wir haben das gemacht auch, um den Frieden zu behalten mit dem, was wir mit der EU machen. Deutschlandradio Kultur: Es gibt aber Kritiker, die sagen: Das, was die Amerikaner fordern, schärfere Sanktionen gegenüber Russland, das passt nicht in das Konzept, was Europa hat, weil wir dichter dran sind, weil wir abhängiger sind in den Wirtschaftsbeziehungen. Also, dass das Hand in Hand geht, was die Amerikaner an Vorstellungen haben im Umgang mit der Ukraine und Russland, und das, was die Europäer machen wollen, das stimmt nicht ganz. Es gibt Differenzen. Bindenagel: Ja natürlich gibt es Differenzen. Das sind Auseinandersetzungen in der Politik, die man führen muss. Das Wichtigste ist am Ende, was wir dann auch gesehen haben an den Sanktionen, da sind wir gemeinsam. Letzten Endes ist das Ziel, erstens Frieden in der Ukraine wieder herzustellen und dann weitersehen. Deutschlandradio Kultur: Wo haben denn Sanktionen in der Vergangenheit was gebracht? Bindenagel: Besonders kann man das in Südafrika sehen. Das hat wirklich was gebracht. Es sind nicht nur die Sanktionen selber. Sie sind nicht der Endpunkt. Sanktionen sind dafür da, die politische Auseinandersetzung zu beleben. Das sind Maßnahmen, die man wirklich machen kann. Deutschlandradio Kultur: Sie waren 30 Jahre im diplomatischen Dienst der USA. Sie haben also die Zeitläufte auch in Europa intensiv beobachtet. Jetzt reden wir über Sanktionen ja und gegen Sanktionen nein oder vielleicht doch. Wenn wir nochmal zurückblicken, hat der Westen vielleicht doch Fehler gemacht? Das kann man ihm heute nicht vorwerfen. Aber dass man mit einer größeren Strategie im Umgang mit Russland hätte umgehen müssen, die im Moment tatsächlich mit der Nato-Osterweiterung nicht zurechtkommen, können Sie das verstehen? "Die Einheit kam nicht ohne die Russen" Bindenagel: Das ist ein sehr wichtiges Thema, dass man auch erst versteht, wenn man auf die 25 Jahre zurückblickt, als ich hier als Diplomat in der DDR war und auch im vereinigten Deutschland und danach, was wir gemacht haben. Erstens, in den Verhandlungen für die Einheit Deutschlands war es ein wichtiges Thema. Die Einheit kam nicht ohne die Russen oder Sowjets damals. Da haben wir dann auch gesagt: Was können wir gegen die Besorgnisse der Sowjetunion, Gorbatschow und Jelzin, tun? Da haben wir dann auch erstens in der Nato das Konzept geändert, ein konventionelle Waffen-Abkommen gemacht. Und Deutschland mit Polen hat dann auch die Grenze mit Polen gesichert. In den 90er Jahren haben wir dann auch Partnership for Peace angefangen, weil das im Kontext von Jugoslawien war – und auch anschließend die Nato-Erweiterung, um die Länder, die dann auch Stabilität haben wollten, mit einzubeziehen. Deutschlandradio Kultur: Aber gerade die Nato-Erweiterung ist doch die Achillesferse. Wäre es nicht sinnvoller gewesen, den Vorschlag von Michael Gorbatschow damals aufzunehmen und zu sagen: Wir müssen über die Nato hinausdenken. Wir brauchen ein gemeinsames europäisches Haus. Sicherheitsbündnisse aus Zeiten des Kalten Krieges sind vielleicht ein stückweit anders und neu zu interpretieren. Bindenagel: Natürlich war das auch ein Thema, mit OSZE oder auch mit Pan Europaen Sicherheit zu diskutieren. Das Problem war, wir hatten noch die bestehende Nato und der Warschauer Pakt ist auseinandergefallen. Dann kamen die Länder, die dazwischen waren. Die Breschnew-Doktrin war weg. Die konnten selbst entscheiden. Die Länder haben sich entschieden, dann auch zur Nato zu kommen – erstens mit Polen, Ungarn und der Tschechischen Republik. Die wollten dann auch zur Nato. Das war für uns als Amerikaner schon in der Einheitsdebatte ein Thema. Auch schon Secretary Baker hat am 12. Dezember hier in Berlin geäußert, was für uns wichtiger war, dass Deutschland in der Nato bleibt, weil es für eine Stabilität und Frieden für Europa aus unserer Sicht wichtig war. Darüber haben wir uns mit den Russen auseinandergesetzt. Wir haben auch mit der ersten Nato-Erweiterung mit Russland Founding Act gemacht. Probleme waren natürlich auch später. Besonders 2008 hatten wir in der Nato eine Debatte, ob die Ukraine, ob Georgien auch Mitglied sein können. Das war wirklich ein Fehler. Die Russen waren damit nicht nur nicht einverstanden, sondern noch schlimmer. Die waren ganz dagegen. Und das zweite Problem, was wir hatten, war, dass Putin in Georgien auch einmarschiert ist. Und wir im Westen haben nichts gemacht. Das hat ihm aus meiner Sicht einen Freifahrschein gegeben, solche Dinge zu machen. Deutschlandradio Kultur: Was hätte man denn machen sollen, als Putin mit seinen Soldaten in Georgien war? Bindenagel: So ähnlich wie heute sich damit politisch auseinander zu setzen. Erstens auch in der UNO mit dem Sicherheitsrat, obwohl die ein Veto haben, aber das hätten wir in diesen Gremien dann auch diskutiert sollen. Eine politische Debatte hätten wir dann auch mindestens angefangen. Man kann auch später sagen, vielleicht hätten wir dann auch Sanktionen oder so, aber erstens hätten wir dann bei der UNO und Nato und im Russland-Rat darüber reden müssen. Deutschlandradio Kultur: Bei der Erweiterung der Nato gen Osten hat da niemand daran gedacht, dass man vielleicht den Stolz der Russen herausfordert, die eben die russische Größe vor sich hertragen und diesen russischen Nationalismus, dass man die dabei verletzt und dann eben dahin bringt? Bindenagel: Ja natürlich haben wir diese Debatte gehabt. Die Deutschen waren Vorreiter bei diesen Themen. Das Problem war, wir haben das nicht ernst genug genommen. Das ist klar. Deutschlandradio Kultur: Warum haben Sie das damals nicht ernst genug genommen? Bindenagel: Man kann auch sagen, die Russen hatten intern Probleme. Die waren auch von der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung sehr fasziniert und hatten auch mit uns keine guten Gesprächspartner dafür. Und wir hatten auch das Interesse, einen Gesprächspartner zu finden. Wir haben auch wenige gefunden und haben das dann beiseitegelegt, nicht abgelehnt, sondern beiseitegelegt. Deutschlandradio Kultur: Wenn man sagt, man kann aus Fehlern lernen, was würden Sie denn heute aktiven Politikern empfehlen im Umgang mit Russland, wenn wir uns diese Zeitschiene nochmal vor Augen führen? Bindenagel: Ja, das sind die Dinge, die wir schon diskutiert haben. Das ist das Wichtigste, dass wir ständig in Kontakt bleiben, ständig die politische Auseinandersetzung suchen. Jeder soll dann auch mitreden. Und dann haben wir auch eine Öffentlichkeit, was wir jetzt hier machen. Ideen austauschen, nicht nur taktisch, sondern auch strategisch denken. Deutschlandradio Kultur: Wir haben ganz neue asymmetrische Kriege. Sie haben es am Anfang angesprochen: viele Gesprächspartner, Drohnenkriege, unselige Allianzen. – Ist die Diplomatie der alten Schule ein Auslaufmodell? Bindenagel: Nein. Das kann man nicht sagen. Die Diplomatie steht vor einer schwierigen Herausforderung. Wie können wir das mit ISIS und anderen angehen? Erstens müssen wir wirklich verstehen, was für eine Bedrohung die wirklich sind. Wir müssen auch sehen, was die Scharia Polizei in Wuppertal macht, und andere Themen. Wir müssen uns jetzt wirklich vorbereiten für diese Gespräche. Wir müssen auch verstehen, was sie sind, warum die das machen und was wir tun können. Deutschlandradio Kultur: Wissen Sie denn überhaupt, wer die Gesprächspartner sein könnten? Das ist doch äußerst schwierig, überhaupt jemanden zu finden, mit dem man Nation Building machen kann. Bindenagel: Ja. Erstens müssen wir das auf unserer Seite organisieren. Wir müssen auch sehen, wer die Leute unterstützt und warum – geografisch, ideologisch. Was sind das für Religionen? Wir haben diese Debatte auch noch nicht vollendet und müssen ersten s unser eigenes Haus zusammenbringen. Deutschlandradio Kultur: Was heißt, Ihr eigenes Haus zusammenbringen? Bindenagel: Präsident Obama hat schon gesagt, wir sind jetzt in der Lage, die Amerikaner sind in der Lage, das ein bisschen weiter zu führen – mit den Saudis, mit dem Nahen Osten, mit den anderen gemeinsam, auch mit den Iranern. Da sieht man, dass wir dann auch wieder Gesprächsmöglichkeiten mit den Russen haben. Wir brauchen die Russen nicht nur, um dieses Problem in der Ukraine aufzulösen. Wir brauchen sie auch mit dem Iran, auch mit den Nuklearfr agen. Wir brauchen die Russen, weil sie eigene Interessen haben, aus meiner Sicht auch für das ISIS-Problem. Wo sind die Interessen? Jetzt haben wir uns seit ein paar Tagen mit Präsident Obama auch wirklich darauf fokussiert. Deutschlandradio Kultur: Sie hatten vor einem halben Jahr gesagt, es ist ein nicht besonders gefährliches Juniorenteam, die IS-Terrormilizen. Und jetzt heißt es aus dem Weißen Haus wohl, dass es eine der größten Bedrohungen der letzten Jahrzehnte sei und niemand weiß, wie das besiegt werden kann oder beendet werden kann. – Wer hat denn da versagt in der US-Regierung? Bindenagel: Was sich geändert hat? Für die Amerikaner haben die zwei Journalisten, die getötet wurden, die Meinungen geändert. Man könnte auch sagen: Nach dem Ende des Irakkrieges und Afghanistankrieg waren diese Kriege nicht mehr auf dem Tisch und dann haben wir auch gesagt, diese Konflikte sind begrenzt. Dann haben wir aber auch gesehen, dass sie nicht begrenzt sind und dass die Bedrohung für die Amerikaner mit diesen zwei Journalisten das genau umgekehrt hat. Das heißt, 72 Prozent waren gegen eine Einmischung durch Amerika. Jetzt sind über 70 Prozent dafür – und das am Jahrestag vom 9/11 in New York in Pennsylvania, in Washington! Das hat schon in Amerika auch die Meinungen geändert. Deutschlandradio Kultur: Sie sagen, die amerikanische Innenpolitik bestimmt die Außenpolitik? Die Umfragen in Amerika bestimmen, dass der amerikanische Präsident, Friedens-Nobelpreisträger, jetzt zum Kriegsherr werden muss? Bindenagel: Natürlich spielt Innenpolitik eine Rolle, ohne Frage. Aber es ist nicht nur die Innenpolitik, nicht nur Umfragen, die das machen. Aber das ist ein Zeichen, was man auch diskutieren kann, weil es in der Öffentlichkeit ist. Natürlich gibt es auch die Analysen von den Diensten, von den Akademikern, auch von anderen, auch von unseren Partner, die auch eine erhebliche Rolle in der Meinungsbildung des Präsidenten und seiner Berater spielen. Deutschlandradio Kultur: Gehen wir mal zurück zu Friedrich II. Ich habe Sie am Anfang zitiert aus einem Kommentar, in dem Sie mal geschrieben haben: „Diplomatie ohne Waffen ist wie ein Orchester ohne Instrumente.“ – Ist denn zumindest im Nahmen Osten jetzt wieder die Stunde des Militärs angebrochen? Bindenagel: Es ist klar. Das müssen wir auch zeigen, dass wir auch bereit sind, nicht zu reden. Wir sind bereit, auch uns zu schützen. Dann kommt noch die Frage: Was für eine Auswirkung haben militärische Einsätze für die Diplomatie, für die Verhandlungen? Kommt dann jemand von diesen unbekannten Leuten, mit denen wir dann auch reden können oder nicht? Wenn nicht, muss man auch weiter mit Militär einschreiten und auch kämpfen. Was wir auch in Wuppertal gesehen haben, spielt aus unserer Sicht auch eine Rolle. Deutschlandradio Kultur: Der amerikanische Präsident sagt, Luftschläge ja, Bodentruppen nein. Das heißt, im Nahkampf müssen dann die arabischen Partner, wer auch immer das sein mag, vor Ort sozusagen kämpfen. Und am Schluss gewinnt der syrische Präsident, weil er dadurch seine Macht selber stärkt. – Das geht doch alles nicht auf. "Die amerikanische Strategie ist auch, Stärke zu zeigen" Bindenagel: Ja, das ist keine einfache Sache. Die amerikanische Strategie ist auch, Stärke zu zeigen. Und die anderen Partner müssen dann auch mitmachen. Es ist nicht nur, dass wir die Truppen von den Arabern auch haben wollen. Wir wollen, dass die dann, auch in der politischen Auseinandersetzung dabei sind. Die Lösung kommt am Ende nur, wenn die auch mit uns spielen, Assad oder die anderen gemeinsam auf politischer Ebene. Es ist wie dieses Zitat von Friedrich dem Großen. Es kommt wieder auf die Politik an und welche militärischen Einsätze von der Politik ermächtigt werden. Deutschlandradio Kultur: Spulen wir mal ein paar Jahre nach vorne, holen unsere Glaskugel raus: Wenn die IS-Milizen vielleicht in drei Jahren, davon wird momentan gesprochen, besiegt sind, wer sorgt dann für politische stabile Verhältnisse in der Region? Bindenagel: Dann stellt sich in diesem Fall auch die Frage der Geografie und der Religion. Da werden wir dann auch sagen: Wer gewinnt, sind hoffentlich die Leute, die auch miteinander arbeiten. Das heißt, dass Sunniten und Schiiten gemeinsam im Irak eine Regierung haben können, dass sie dann auch gemeinsam die Politik führen – als bestes Beispiel. Und in den anderen Regionen, dass dann auch Schiiten und Sunniten, Irani und Saudis auch kooperieren, nicht zusammenarbeiten, aber kooperieren. Deutschlandradio Kultur: Zeigt aber nicht genau das Irak-Beispiel, dass das nicht funktioniert in diesen alten Formen, wie wir denken, in diesen alten Vorstellungen von Grenzziehungen, die irgendwann postkolonial errichtet worden sind? Das funktioniert nicht. Dieser Versuch der Amerikaner die irakische Armee als eine Armee aufzubauen, in der alle Gruppen zusammenarbeiten, hat nicht funktioniert. Warum soll das dann künftig woanders funktionieren in dieser Region? Bindenagel: Das ist eine interessante Frage. Wenn die Welt auseinandergeht, haben wir eine Möglichkeit, entweder zu Krieg und Zerfall zu kommen oder dahin, was wir nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa gesehen haben. Das ist ja auch eine Möglichkeit, einen Rechtsstaat zu bilden, Stabilität zu finden. Dazu braucht man auch wirklich Leute, die klug sind, denken, auch Kontakte haben, dass sie dann auch eine neue Ordnung machen. Die Idee in Europa zeigt: Grenzen kann man auch friedlich ändern. Das sollte auch ein Ziel sein, diese Zusammenarbeit, wo die Kurden oder die Iraner oder so ihre eigenen Sachen machen. Deutschlandradio Kultur: Momentan gibt es eine Zusammenarbeit des Westens mit Saudi Arabien und Katar. Ist das nicht eine tickende Zeitbombe, wenn diese Länder jetzt auch militärisch weiter aufgerüstet werden? Wer weiß, wo die in ein paar Jahren stehen? Bindenagel: Ja, natürlich. Das haben wir auch im Irak gesehen. Da hat die ISIS auch militärische Einrichtungen, die wir da hatten, jetzt in der Hand. Und natürlich muss man auch Besorgnisse haben. Die Besorgnisse sind aber nicht eine Frage von Lösung, sondern von Management. Da muss man auch wirklich mit den Saudis und der nächsten Generation und anderen Partnern auch in Katar zusammenarbeiten. Deutschlandradio Kultur: Ziemlich beste Freunde sind im Moment die Kataris und die Herrscherhäuser in Saudi Arabien. Ob das noch lange so funktioniert mit den Amerikanern, sei mal dahingestellt. Aber wenn Sie sagen, wir brauchen Gesprächspartner, und Sie haben diese Vision, dass wir sagen, das könnte sich demokratisch so entwickeln wie in Osteuropa der Umbruch, nochmal die Frage: In Libyen hat es nicht funktioniert. Im Irak ist es schwierig. In Syrien wissen wir überhaupt nicht, wie sich dieses Land entwickeln wird. Wäre nicht von diplomatischer Seite oder von historischer Seite aus die Überlegung richtig, zu sagen, wir brauchen wirklich eine Neuordnung in dieser Region? Wir müssen Strukturen neu schaffen und wir haben einfach die Gesprächspartner nicht, so wie Sie sie vielleicht gerne gehabt hätten, wie Vaclav Havel in Tschechien. Die gibt’s da einfach nicht. "Leider haben wir keine Vaclav Havels in der Gegend" Bindenagel: Ja, leider haben wir auch keine Vaclav Havels in der Gegend. Da muss man dennoch nicht aufgeben. Das müssen wir wirklich härter versuchen, erstens mit einer Vision. Was können wir in den Auseinandersetzungen tun? Ist diese Vision die von Europa, die die EU dann auch in 70 Jahre geschafft hat, ist das eine Idee für friedliche Zusammenarbeit? Oder ist es Putin mit seinem Nationalismus und seiner Machtpolitik? Das ist eine Konfrontation nicht nur im Nahen Osten, sondern auch in Europa. In Europa ist es begrenzt, aber der Konflikt ist der gleiche. Die Frage ist: Schaffen wir ein neues Rechtsstaatswesen oder eine Neuordnung oder geht es nur um Macht und militärische Auseinandersetzungen. Deutschlandradio Kultur: Und warum muss der Westen da eingreifen? Warum müssen die Länder nicht sich selbst emanzipieren – bei allen Schwierigkeiten? Bindenagel: Weil die dann uns bedrohen, deswegen. Sie kommen dann auch nach Europa. Wir wissen, auch viele einzelne Leute sind aus Europa in diesem Kampf. Die kommen wieder. Das ist ein Thema. Die große wichtige Frage ist, ob die Nah-Ost-Auseinandersetzungen künftig noch Europa oder Amerika getragen werden.
Deutschlandradio Kultur: Herr Bindenagel, Sie sind der erste Inhaber der Henry-Kissinger-Stiftungsprofessur für Internationale Beziehungen und Völkerrechtsordnung an der Universität Bonn. Sie werden im kommenden Wintersemester Ihre ersten Vorlesungen halten. – Haben Sie Ihre Zusage schon bereut? Bindenagel: Ja, das ist eine sehr interessante Frage. Bei den ersten Gesprächen im Dezember war die Welt ganz anders, als sie jetzt ist. Im Februar, bei der Münchner Sicherheitskonferenz hat Präsident Gauck gesagt, dass Europa, dass Deutschland mehr Verantwortung für die internationale Sicherheit übernehmen muss. Dann meldet sich noch die Bundesverteidigungsministerin. Das war eine ganz andere Welt, als ich dann auch erwartete. Aber ich gern bereit, weil ich so viel mit Merkel und Deutschland auch über die 40 Jahre erlebt habe und weiß, dass wir das auch schaffen können. Kissinger hat dann auch das Problem der Diplomatie und auch strategisches Denken und Konflikte zwischen Prinzipien und auch Interessen aufgezeigt.. Deutschlandradio Kultur: Lassen Sie mich erstmal kurz erklären, was der Ärger eigentlich ist, für die, die es nicht wissen: Es gibt an der Uni Bonn die Initiative "Zivile Uni Bonn". Und die hat sich in einem offenen Brief jetzt nicht gegen Sie persönlich, aber gegen die Professur ausgesprochen, weil eben der Name Henry Kissinger für diese Leute sehr negativ behaftet ist. – Haben Sie Verständnis dafür, dass für viele Studierende und auch Intellektuelle für diesen Namen Henry Kissinger einfach kein großes Verständnis da ist? Bindenagel: Nein. Ich muss ehrlich sagen,das ist eine Realität. Die Welt hat Interessen und hat auch Prinzipien und hat dann diese Auseinandersetzung. Wenn eine Universität nur reine Möglichkeiten lehrt und die Welt nicht sieht, wie sie ist, dann werden die Studierenden nicht gut vorbereitet für das Leben. Und ich bin auch gern bereit, da mitzukommen. Ich muss dann auch sagen, für mich bietet die Professur die Möglichkeit über die Rolle Diplomatie und Konfliktprävention zu diskutieren. Das heißt, einen Teil dieser Studierenden auch darüber zu informieren und meinen Teil beizutragen, dass in dieser Fakultät, die Welt auch mit einbezogen wird. Deutschlandradio Kultur: Also, Friedensforschung, Konfliktprävention, diplomatische Erfahrungen, alles, was Sie mitbringen können. – Das Interessante an der Geschichte ist nur von Deutscher Sicht aus, dass diese Stiftungsprofessur mit vom Verteidigungsministerium finanziert wird. Das gab es bisher in Deutschland noch nicht, wenn man mal die Bundeswehruniversitäten vorweg lässt. Da ist zumindest für viele in Deutschland so ein Bruch. Dafür können Sie nichts, aber die Diskussion ist, dass man sagt: Warum muss das Verteidigungsministerium einer Universität, die außerhalb der Bundeswehr ist, so etwas finanzieren? Und dann finden sie noch jemanden, der mitmacht. Das ist schon für manche Leute schwierig. Bindenagel: Ja, das kann ich auch verstehen. Aber die Frage ist natürlich zuerst: Hat das Ministerium, das diese Professur finanziell unterstützt, auch Einfluss auf die Lehrinhalte? Das haben wir auch geforscht. Ich würde nie so eine Position nehmen, wenn sie von einem Ministerium kontrolliert werden würde. Akademische Freiheit muss man schützen. Das ist keine Frage Aber letzten Endes glaube ich, dass die Universitäten in Deutschland von der Regierung auch anders Geld bekommen. Wenn es mit dem Bundeshaushalt vom Bundestag abgestimmt ist, der Bundestag zugestimmt hat, würde ich sagen, gehört das zu den Bedingungen einer Universität. In Deutschland hat man auch die Möglichkeit, was in Amerika nicht passiert. Das heißt, jedes Land hat Souveränität in den Hochschulgesetzen. Und dieses Land Nordrhein-Westfalen hat ein eigenes Hochschulgesetz. Und die Universität wird vom Rektorat und nicht von den Ministerien geleitet. Das würde ich auch persönlich ablehnen, wenn es anders wäre. Deutschlandradio Kultur: Wissen Sie eigentlich schon, ob Sie einen ganz großen Hörsaal brauchen oder ob es ein kleinerer Raum sein wird? Denn die Anmeldefristen für die Studenten sind bereits gelaufen. Oder werden Sie möglicherweise gleich am Anfang ganz andere Diskussionen mit Studenten führen? Gibt es Sit-ins? Haben Sie irgendwie eine Vermutung? Bindenagel: Ja, erstens habe ich auch mit Professoren gesprochen. Das Wichtigste ist, in diese Professur sollten auch andere Professoren mit einbezogen werden, die auch an der Universität sind. Ich werde dann auch ein Seminar mit Matthias Herdegen und auch Professor Hilz machen. Das haben wir für politische Wissenschaft und auch für das Jura-Studium in diesem Jahr schon beschlossen. Aber das Wichtigste ist, der Meinung bin ich auch, mir Zeit für die Studierenden zu nehmen – informell. Dazu bin ich gerne bereit und werde auch mit verschiedenen Gruppen arbeiten. Ich wollte auch für mich persönlich wissen, was dieser Studierendengeneration am Herzen liegt, und vielleicht einen Beitrag leisten aus meiner langjährigen Zusammenarbeit im Kalten Krieg, nach dem Kalten Kriegen und was wir jetzt haben. Deutschlandradio Kultur: Also wäre vielleicht diese Tacheles-Runde, die wir gemacht haben, schon eine kleine Gesprächsgrundlage für die Diskussion mit Ihren Studenten? Bindenagel: Ja. Vielen Dank. Es ist schon eine gute Grundlage. Ich werde das dann auch gern weiterführen. Deutschlandradio Kultur: Vielen Dank, dass Sie gekommen sind.