James Ensor in der Kunsthalle Mannheim
vom 11. Juni bis 3. Oktober 2021
Der Maler der Masken
05:41 Minuten
Die Gemälde des belgischen Künstlers James Ensor fallen durch sämtliche Raster der Kunstgeschichte. Die Retrospektive in der Kunsthalle Mannheim dokumentiert nun dessen Fantasieausbrüche und das großartige Gespür für Farben.
Sieben grimassierende oder auch nur hohl vor sich hinstarrende Masken wissen anscheinend nicht, wen sie da in ihrer Mitte aufgenommen haben. Denn dieser Schädel mit dem weißen Umhang und der erloschenen Kerze in der Hand ist der Tod selbst. Er bleckt die Zähne, in seinen Augenhöhlen nisten Meeresschnecken.
"Sinn für fantastische Motive"
Das Bild von 1897 hatte Gustav Friedrich Hartlaub, von 1923 bis 1933 Direktor der Mannheimer Kunsthalle, gekauft und damit seinen untrüglichen Sinn für Qualität bewiesen. Dazu die Kuratorin Inge Herold:
"Hartlaub hatte ein ausgeprägtes Interesse für Grenzgänger der Kunst, also für Alfred Kubin etwa oder für Edvard Munch oder Paul Klee. Künstlerfantasten hat er sie genannt, also Künstler, die sich nicht unbedingt mit den Realitäten des Lebens auseinandersetzen, sondern auch mit den Grenzbereichen des Lebens und der Existenz. Mit fantastischen Motiven, mit grotesken Motiven, mit Randbezirken. Und da war ihm James Ensor eine ganz wichtige Figur".
Grenzgänger, Fantast, Ausnahmekünstler – das musste den Argwohn der Nationalsozialisten wecken, die zweifellos in Ensor auch einen Vorläufer des Expressionismus sahen. Das Bild wurde geraubt, versteigert, kam ins Museum Lüttich.
Um die schmerzliche Lücke zu füllen, kaufte die Kunsthalle Mannheim 1956 Ensors Stillleben "Der tote Hahn" von 1894, mit dem kopfüber hängenden Tier, das letzte Bluttropfen auf einem Tisch mit Obst und Gemüse verspritzt.
Einfluss des Karnevals
Ebenfalls ein großartig gemaltes Bild, ein Kohlkopf schimmert lilafarben, wie in Verwesung, drei Lauchstangen stimmen ein ins Vanitas-Konzert. Man hat James Ensor auch den Eremiten von Ostende genannt: Nachdem eine Ausstellung in Paris nur Verrisse erlebte, igelte er sich in der belgischen Hafenstadt ein, malte kapriziöse Muscheln, ekstatische Krustentiere, erschlaffte Rochen mit Leidensmiene, und immer wieder die Maskengeschöpfe des Ostender Karnevals.
"Und 'Der Tod und die Masken' kombiniert zwei ganz wichtige Motive, das Vanitasmotiv, wir alle sind sterblich, die Vergänglichkeit holt jeden ein, und gleichzeitig auch die Maske, das Spiel mit der Identität, mit der Rolle", sagt die Kuratorin. "Was verbirgt sich hinter der Maske, wie kann man seine Identität verbergen, was tut man, wenn man maskiert ist, welche Freiheiten hat man?"
Makabre Selbstbildnisse mit Witz
Und welche Freiheiten James Ensor sich nahm, als zunächst die erhoffte Anerkennung ausblieb und er Opfer höhnischer Kritik wurde, zeigt diese angenehm chronologisch verfahrende Ausstellung immer wieder.
Vor allem in seinen Kaltnadelradierungen verneigt er sich vor der großen Tradition niederländisch-flämischer Landschaften. Seine Selbstbildnisse dagegen sind oft makaber. So stellt er sich in einem "Selbstporträt im Jahre 1960" als Skelett dar.
"Wie er seine Haare um seinen Totenschädel arrangiert, so als wirres Haargestrüpp, da hat man ja auch fast den Eindruck, es ist ein Heiligenschein", sagt Herold. "Er überhöht sich da auch wieder in humorvoller Art. Es ist einerseits eine schreckliche Szene, also eine bizarre Vorstellung. Aber letztlich auch ein heiteres lustiges Blatt".
Immer wieder identifiziert sich Ensor mit dem leidenden, gekreuzigten Christus, in einem Ausmaß, wie es die Kunstgeschichte sonst nicht kennt. Die Ausstellung zeigt auch einige der Ostender Karnevalsmasken, die der Künstler im Andenken- und Trödelladen seiner Tante täglich vor Augen hatte. Er selbst war in Karnevalsgesellschaften aktiv und hielt dort bizarre, überschäumende Reden, in denen er seinen Kritikern Paroli bot.
"Verzeihen Sie Madame", sagte er beispielsweise in Richtung snobistischer Kunstkenner, "aber meine Bilder sind überladen". Das hielt ihm die französische Kritik seinerzeit vor. Heute ist es für uns die Quelle eines nie versiegenden Vergnügens. Selbst als Ensor in den 1930er Jahren die Farben nur noch auftüpfelt, wirkt das alles noch verführerisch wie Konfekt.
Vorbild für nachfolgende Künstler
Sein undogmatisches Grenzgängertum, sein karnevalistischer Kampf um Identität hat ihn schon immer zum Vorbild nachfolgender Künstlergenerationen gemacht. In der Kunsthalle Mannheim können wir den 1949 verstorbenen Maler der Masken jetzt noch einmal genießen – in einer angenehm konservativen Präsentation, die seine Gedankensprünge, Kapriolen und Fantasieausbrüche um so farbiger macht.