„Ich möchte ein Abbild von Dublin erschaffen, so vollständig, dass, wenn die Stadt eines Tages plötzlich vom Erdboden verschwände, sie aus meinem Buch heraus vollständig wieder aufgebaut werden könnte.“
„Ulysses“ von James Joyce
Wegen seiner berühmten Romanfigur Leopold Bloom wurde James Joyce selbst als „irgendwie jüdisch“ angesehen. © imago / Leemage
Der moderne jüdische Held
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Ein jüdischer Anzeigenakquisiteur wandert durch das katholische Dublin: Der Roman „Ulysses“ von James Joyce ist Weltliteratur. Warum der irische Autor die Figur des Leopold Bloom als Juden entwarf und welche Folgen das für ihn selbst hatte.
Das Museum of Literature Ireland, kurz: MOLI, befindet sich im Herzen von Dublin, in der 86 St Stephen`s Green. Hier im altehrwürdigen historischen UCD Newman House lässt sich per hochmodernen, interaktiven Museumselementen nicht nur die reiche literarische Geschichte Irlands von der Vergangenheit bis zur Gegenwart erkunden, sondern man kann sich auch auf Spurensuche machen. Etwa auf die Spuren des Leopold Bloom in Dublin.
Am 2. Februar 1922 erschien die Erstausgabe von James Joyce' Roman „Ulysses“, wegen Obszönitäten damals noch um Passagen gekürzt. Vor gut 95 Jahren kam die erste vollständige, noch von James Joyce selbst autorisierte, deutsche Ausgabe heraus. Die Reaktionen auf dieses vollkommen neue literarische Werk waren zwiespältig, sagt John, Kurator und Guide im MOLI:
„Nun, rückwärts betrachtet ist es ein schwieriges Buch. Manche sahen es als verwirrend an, andere fanden, es sei genial, andere fanden, hier würde die Literatur auf ein neues Level gehoben. Aber die Leute sprachen damals darüber. Es war ein Buch, das für alle geschrieben war. Was an sich schwierig war, da es ja auf einem hohen Niveau geschrieben und sehr komplex war. Denn Joyce erfasste zu dieser Zeit alle damals gültigen Annahmen und Ideen.“
„Ich habe so viele Rätsel und Geheimnisse hineingesteckt, dass es die Professoren Jahrhunderte lang im Streit darüber halten wird, was ich wohl gemeint habe, und nur so sichert man sich seine Unsterblichkeit.“
Wanderungen durch Dublin
Leopold Bloom ist Jude. Das Jüdische sieht man ihm vermeintlich im Gesicht an, die Leute meiden ihn, er geht an Dublins Sehenswürdigkeiten vorbei, er trifft einen Pfarrer, ja, Bloom ist sehr jüdisch.
Die Hauptfigur des „Ulysses“ ist Leopold Bloom, ein Jude im katholischen Dublin Anfang des 20. Jahrhunderts, und ein Jude im aktuellen antisemitischen Klima dort. Bloom ist ein erfolgloser Annoncenakquisiteur bei einer Dubliner Tageszeitung. Zugleich weiß er, dass seine Frau Molly eine Affäre hat. Auch der Tod seines Sohnes Rudy, der wenige Tage nach der Geburt verstarb, spielt in den Wanderungen Blooms durch Dublin eine Rolle. Hintergrund von allem ist, dass in der fiktiven Romanbiografie Leopold Blooms Vater ein ungarischer Jude aus Szombathely ist, der nach Irland emigriert war.
Jüdisches Leben in Irland
„Es ist eine Erzählung seines Lebens während eines Tages, am 16. Juni 1904“, sagt Katie Murray Hayden, die irische Fremdenführerin. In Bezug auf jenen 16. Juni 1904 wird in Dublin und anderswo auf der Welt an die Wanderung des Juden Bloom durch die Stadt mit dem „Bloomsday“ erinnert. Doch wie ging es Juden zu der Zeit in Irland, als der „Ulysses“ erschien?
„Es ging den Juden ziemlich gut. Sie haben sich niedergelassen in einer Gegend in Dublin namens „The Liberties“, und dort haben sie Synagogen und so weiter gebaut, sie haben Industrien gegründet, ja, sie haben eine Rolle in der irischen Gesellschaft gespielt. Aber sie lebten zusammen in dieser Gegend, und diese Gegend hieß sogar New Jerusalem.“
„Und dann das Lamm und die Katze und der Hund und der Stecken und das Wasser und der Metzger, und dann der Engel des Todes, der den Metzger schlägt, und dieser schlägt den Ochs, und der Hund schlägt die Katze. Klingt ein bisschen albern alles, bis mal sich's mal genauer ansieht. Soll Gerechtigkeit bedeuten, aber heißt bloß, dass alles sich frisst, immer einer den anderen. So ist das Leben eben, letzten Endes.“
Geschichte eines Außenseiters
Kurator John sagt: „Also meiner Meinung nach war der Grund, warum Joyce Bloom jüdisch gezeichnet hat, dass er Bloom als einen Außenseiter darstellen konnte. Jemanden also, der zwar innerhalb der Gesellschaft war, aber alles von da aus betrachtete. Zwar sind da Leute, die ihn willkommen heißen, andere Leute unterhalten sich mit ihm, aber da sind auch Leute, die ihn ausschließen, oder die ihn über die Kante drücken, wie es so heißt. Joyce wollte das zeigen, denn das betrachtete und erfuhr er an sich selbst in der Gesellschaft. Das ist die schreckliche Liebe eines Außenseiters. Insgesamt gibt es eine Menge Horrorstorys von Außenseitern in der irischen Literatur, und ich denke, Joyce machte Bloom jüdisch, weil er so an seine Person angelehnt war, an seine Stellung in der Gesellschaft.“
Doch vor dem Hintergrund des Jüdischen im „Ulysses“, wie geht es den Juden auf Irland heute? „Also es kommt darauf an… es sind wenige Juden, die hier in Irland leben, es wohnten sogar nur 5.000 während der 50er-Jahre hier, und dann sind viele Familien aus Irland ausgewandert, hauptsächlich nach Israel. Zum Beispiel der heutige Präsident Israels ist der Enkelsohn eines irischen Juden“, erläutert Katie Murray Hayden.
Auswirkungen auf James Joyce
Für James Joyce blieb es nicht beim abgebildeten Judentum seines Helden Leopold Bloom. Als Joyce mit seiner Familie im Frühsommer 1940 in Paris lebte, marschierten die Deutschen ein. Wegen seiner schon damals berühmten Romanfigur Bloom wurde der Autor selbst als „irgendwie jüdisch“ angesehen.
Dieser falschen Auffassung folgten auch die Schweizer Grenzbehörden und verweigerten der Familie im Dezember 1940 die Einreise in die Schweiz. Erst als zwei jüdische Freunde für Joyce finanziell bürgten, durfte der Autor mit seiner Familie einreisen. Ein halbes Jahr später starb James Joyce.
„Das Ziel des Künstlers ist die Erschaffung des Schönen. Was das Schöne ist, ist eine andere Frage.“