Neumitglied mit Führungsanspruch
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Der Unterhaltungskünstler Jan Böhmermann ist nun SPD-Mitglied. Sein Ziel: Er will Parteivorsitzender werden. Ob das eine gute Idee ist, darüber streiten Sebastian Engelbrecht und Vladimir Balzer.
Contra – oder warum Jan Böhmermann in der SPD fehl am Platz ist. Von Sebastian Engelbrecht
Jan Böhmermann ist wohl der intelligenteste Satiriker in Deutschland – und der wirkmächtigste. Im Kräftemessen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan hat Böhmermann gezeigt, dass hinter seiner Satire ein ernster Anspruch steht.
Debatte über die Demokratie
Böhmermann will nicht nur blödeln. Mit seinem Gedicht über den türkischen Despoten hat er einen Verächter der Demokratie frontal angegriffen. Als machtloser Comedian hat er den türkischen Herrscher durch den Kakao gezogen und herausgefordert. Außerdem hat er eine ernste und nützliche Debatte ausgelöst, wie weit Meinungsfreiheit in der Demokratie reicht.
Indem Jan Böhmermann jetzt die SPD verulkt, zieht er das falsche Register. Der Abstieg der SPD – in manchen Regionen von der Volks- zur Splitterpartei – ist tragisch. Denn die Partei, man mag zu ihr stehen, wie man will, kämpft seit 156 Jahren um soziale Gerechtigkeit und hat auf diesem Weg viel erreicht.
Böhmermann soll in die AfD
Jetzt liegt sie trotz ihrer ehrwürdigen Tradition und ihrer historischen Verdienste am Boden. Und Böhmermann tritt auf sie ein. Er ist in die Partei eingetreten, vielleicht kandidiert er sogar für den Vorsitz. So blödelt er über den Niedergang einer Partei, die lange eine Säule der Demokratie in Deutschland war. Er zieht sie in den Dreck.
Dem emanzipatorischen Geist des Satirikers Böhmermann wäre es angemessen, wenn er in die AfD einträte. Dort gäbe es viel zu enttarnen: Pseudobürgerlichkeit, Antisemitismus und Rechtsradikalismus. Der SPD den Ernst abzusprechen, gerade ihren politischen Sinn zu bestreiten – das zielt auf die Demokratie in Deutschland. Deren Krise ist bitterer Ernst.
Pro – oder warum man Böhmermann ernst nehmen sollte. Von Vladimir Balzer
Da glaubt jemand an die SPD und das ist gut so. Die Partei, in der größten Krise seit 1945, sollte sich freuen. Und zwar über jedes neue Mitglied. In diesem Fall also Jan Böhmermann. Ein Sozialdemokrat mit eigener Fernsehshow. Ein Mann mit Reichweite. Einer, der bei Twitter mehr als zwei Millionen Menschen erreicht. Welches Neumitglied kann das von sich behaupten?
Auf Twitter eine Macht
Ein Tweet erreicht also vier mal so viele Menschen wie die SPD Mitglieder hat. Oder um es noch mal deutlicher zu machen. Die jetzige SPD-Vorsitzende Malu Dreyer hat gar keinen Twitter-Account; ihr Landesverband Rheinland Pfalz hat 13.000 Follower. Dreizehntausend.
Okay – ein Twitter-Account ist noch kein Qualitätsmerkmal für einen Parteivorsitz. Aber was bitte spricht gegen Böhmermann, was für die anderen Kandidaten sprechen würde? Können die zahlreich angetretenen Paare der Partei neue Energien zuführen? Können sie Jüngere ansprechen? Können Sie Wahlen gewinnen? Und woher bitte wissen die Kritiker Böhmermanns eigentlich, dass er es nicht ernst meint, nur weil er Satiriker ist?
Neumitglied mit Chancen
Satire funktioniert nämlich nur, wenn man den Gegenstand dieser Satire ernst nimmt. Aus Gleichgültigkeit entsteht keine Kunst – und schon gar nicht Satire. Wenn man Böhmermann beobachtet, dann weiß man, dass er links der Mitte steht. Man sollte dem Neumitglied Böhmermann also einfach mal eine Chance geben. Denn die hat er.
Auch wenn die SPD-Mitglieder sich für ein Spitzenpaar entscheiden: Der Parteitag Anfang Dezember könnte rein theoretisch Böhmermann zum Vorsitzenden machen. Da kann ich nur sagen, wir haben schon vieles in der Politik für unmöglich gehalten. Es wäre auch mal ein Generationenwechsel: Gabriel geht, Böhmermann kommt. Und wenn das für die SPD keine gute Nachricht ist, dann weiß ich auch nicht mehr.