Jan Haft: Die Wiese. Lockruf in eine geheimnisvolle Welt
Penguin Verlag, München 2019
256 Seiten, 20 Euro
Der kleine Dschungel vor der Haustür
05:46 Minuten
Zwischen bunten Blüten und wogenden Gräsern tummeln sich tausende Tierarten. Im Buch "Die Wiese" feiert Naturfilmer Jan Haft eine bedrohte Vielfalt mit einer Begeisterung, die ansteckt. Nahaufnahmen zeigen Tiere und Pflanzen in all ihrer Pracht.
Sie sind rar geworden: die naturbelassenen Wiesen mit ihrem Blütenmeer und ihrer summenden Insektenschar. Auf dem Land herrscht grüne Einöde. Die meisten Wiesen und Weiden sind zu landwirtschaftlichen Nutzflächen verkommen, dienen allein der Produktion von Grünfutter. Fünf Mal im Jahr gemäht, mit Gülle und Kunstdünger übersättigt, mit Pestiziden bespritzt – da sterben die meisten Blütenpflanzen ab und die Insekten fliehen.
Dagegen lässt sich, wie der Biologe Jan Haft anhand zahlreicher Beispiele erzählt, in jenen Wiesen eine unglaubliche Miniaturwelt entdecken, die nur zwei Mal im Jahr gemäht oder vom Vieh abgegrast werden. Zwischen bunten Blüten und wogenden Gräsern tummeln sich bis zu 3.500 Tierarten, von winzigen Springschwänzen über Ameisen, Heuschrecken, Hummeln und Schmetterlingen bis zu Mäusen, Igeln und Vögeln. Die wiederum locken Raubtiere an wie Mäusebussarde, Eulen, Füchse. Zahlreiche farbige Nahaufnahmen im Buch zeigen Tiere und Pflanzen in all ihrer Pracht.
Wiesen sind auf den menschlichen Eingriff angewiesen
Es gibt drei Dutzend Wiesentypen, die jeweils eine andere Flora und Fauna aufweisen. Feuchte, nährstoffreiche Böden bringen andere Pflanzen- und Insektengemeinschaften hervor als mageres, sandiges und trockenes Erdreich. Für sie alle gilt: Nur wenn sie regelmäßig, wenn auch selten, abgefressen oder gemäht werden, kann sich ihre bunte Vielfalt einstellen. Sonst beginnen Büsche und Bäume die Flächen zu erobern. Eine Wiese ist auf den menschlichen Eingriff angewiesen.
Das Buch überrascht immer wieder mit verblüffenden Erkenntnissen. Wiesen, die überdüngt sind, zeigen im Frühling ein wahres Meer aus Löwenzahnblüten, denn die Blume liebt Stickstoff. Das reichhaltige Nektarangebot des Löwenzahns ist allerdings erstaunlich, denn er ist auf Bestäubung gar nicht angewiesen, bildet keimfähige Samen ohne Befruchtung.
Botaniker vermuten, dass das Nektarangebot eine perfide Strategie ist, um sich Konkurrenz vom Leib zu halten. Das reichhaltige Futterangebot soll die Insekten davon abhalten, die übrigen blühenden Pflanzen, die auf Bestäubung angewiesen sind, anzufliegen. Können die sich nicht vermehren, bleibt umso mehr Platz für den Löwenzahn.
Feuriges Plädoyer für Erhalt naturnaher Wiesen
Die Begeisterung des Naturfilmers ist ansteckend. Anschaulich und mit vielen kleinen Anekdoten erzählt er, wie er bereits als Junge durch die Wiesen seiner Umgebung streifte, Blätter und Blüten sammelte, Insekten mit dem Netz fing. Heute ist das verboten. Kein Kind darf mehr eine Kaulquappe fangen und im Wasserglas zu Hause zusehen, wie sie sich in einen Frosch verwandelt. Für Jan Haft ein absurder Naturschutz, denn gleichzeitig kann ein Bauer hunderte Hektar blühende Wiese in Grün-Einöde verwandeln und wird dafür auch noch mit Fördergeldern belohnt.
Sein Buch endet mit einem Aufruf für die bessere Förderung des Ökolandbaus und einer extensiven Weidewirtschaft. Der Biologe hat ein feuriges Plädoyer für den Erhalt naturnaher Wiesen geschrieben. Ein wunderbares Buch über den Miniaturdschungel vor der eigenen Haustür.