Jan-Niklas Jäger über sein Buch zu den Pet Shop Boys

Eine Band mit Tiefgang

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Neil Tennant (l) und Chris Lowe von den Pet Shop Boys auf dem Bestival 2017 in Lulworth Estate/GB.
Neil Tennant (l) und Chris Lowe von den Pet Shop Boys auf dem Bestival 2017 in Lulworth Estate/GB. © imago/PA Images/David Jensen
Moderation: Martin Böttcher |
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Mit "West End Girls" oder "Always on My Mind" sind die Pet Shop Boys eine der erfolgreichsten britischen Bands geworden. Kulturjournalist Jan-Niklas Jäger hat eines der wenigen Bücher über sie – "Factually" – geschrieben.
Die Pet Shop Boys, das sind Neil Tennant und Chris Lowe. Die beiden lernten sich am 19. August 1981 in einem Elektronikladen in der Londoner Kings Road kennen, als Tennant ein Kabel für seinen Synthesizer kaufen wollte. Sie beschlossen, gemeinsam Musik zu machen und nannten sich schon bald "Pet Shop Boys" – die Jungs aus der Zoohandlung.
Es gibt ein neues Buch über diese so clevere Popband: "Factually – Pet Shop Boys in Theorie und Praxis". Geschrieben hat es der Popjournalist Jan-Niklas Jäger.
Martin Böttcher: Es gibt gar nicht so viele Bücher über die Pet Shop Boys, schon gar nicht neue Bücher. Was hat Sie getrieben, jetzt über dieses Duo zu schreiben?
Jan-Niklas Jäger: Das ist eher persönlich gefärbt. Es gibt jetzt keine große Strategie, dass wir gesagt haben, wir müssen jetzt ein Buch über sie machen. Das war eher so, dass ich vor knapp fünf Jahren zum ersten Mal angefangen habe, mich näher mit den Pet Shop Boys zu beschäftigen, nachdem ich sie live gesehen hatte und da auch schon ein paar Texte geschrieben hatte. Und ich gemerkt hatte, dass man unglaublich viel über Popmusik anhand dieser Band aufzeigen kann. Es ist auch eine super interessante Band, über die es sich lohnt, sich einmal tiefer damit zu beschäftigen. Nach dem Kontakt mit dem Verlag, war das Buch dann eine schnell beschlossene Sache.

"Es gibt unglaublich viele Referenzen in dem Werk"

Böttcher: Das ist ja keine Biographie im herkömmlichen Sinne, sondern eine Dekonstruktion. Sie sezieren das Werk der beiden, beleuchten, wie gesellschaftlichen Entwicklungen sich im Werk der Pet Shop Boys widerspiegeln. Was finden Sie am spannendsten an den Pet Shop Boys?
Jäger: Vor allem, dass sie in diesem popkulturellen Rahmen einfach sehr, sehr belesen sind. Es gibt unglaublich viele Referenzen in dem Werk der Pet Shop Boys. Das endet aber nicht bei Popmusik, sondern sie verknüpfen es auch noch mit historischen, philosophischen oder sozialgeschichtlichen Aspekten. Und schaffen es trotzdem dabei immer, eine Popband zu bleiben, die auch erfolgreich ist, die im Radio laufen kann. Obwohl da eben noch viel mehr passiert im Subtext. Und wie man das eben auf die Reihe bekommt: Einerseits ein Mainstream-Act zu sein und andererseits aber auch so subversiv zu arbeiten. Das ist ein Aspekt, der sehr interessant ist bei den Pet Shop Boys, wie sie das machen.
Böttcher: In Ihrem Buch beschreiben Sie die Pet Shop Boys als sehr "clever". Was macht sie denn so clever? Das war Sie gerade gesagt haben – diese popkulturellen, historischen und philosophischen Verweise?
Jäger: Das zum einen. Aber es muss gar nicht so sein. Das kann ich vielleicht einmal an "Always On My Mind" darstellen. Das ist ja eigentlich bekannt geworden in der Version von Elvis Presley. Das ist so eine Schmalzballade und Elvis schüttet sein Herz aus, was er alles falsch gemacht hat in dieser Beziehung. Und Elvis glaubt man das total, dass er aus seinen Fehlern gelernt hat und jetzt alles besser machen wird. Und die Pet Shop Boys die machen daraus eben diese Upbeat-Hymne mit diesem Riff. Und das klingt eigentlich viel optimistischer.
Und Neil Tennant singt das mit so einer Distanz in der Stimme. Der setzt dort keine großen Gefühle rein, sondern wahrt sich seine Distanz. Obwohl man meinen sollte, es wirkt noch kälter wegen dieser Distanz, impliziert es ja auch ein bisschen, dass man sich bei ihm nicht sicher sein kann, ob er wirklich aus seinen Fehlern gelernt hat. Und das macht es ja auch etwas menschlicher und nahbarer. Da ist eben auch eine Dialektik im Spiel und das zeigt sich in vielen Songs der Pet Shop Boys.

"Dieser Hang zur Ästhetik ist ja auch ein Statement"

Böttcher: Die Pet Shop Boys sind ja eine sehr ästhetische Band, der Klang der Musik und die Erscheinungsbilder der Videos scheinen manchmal wichtiger zu sein als der Inhalt der Musik. Ist das Pop in seiner Essenz?
Jäger: Neil Tennant spricht gerne von "Depth Through Surface" – also Tiefe durch die Oberfläche, weil Pop natürlich viel mit der Ästhetik und der Oberfläche spielt. Aber das heißt ja nicht, dass es nicht unter der Oberfläche brodeln kann. Und dieser Hang zur Ästhetik ist ja auch ein Statement und eine Herangehensweise. Im Prinzip heißt es nur, dass es wichtiger ist, wie sie die Dinge ausdrücken, als was sie ausdrücken.
Böttcher: Was ich auch noch mal sehr interessant beim Lesen Ihres Buches fand: die Pet Shop Boys und der Umgang mit Homosexualität. Die beiden haben lange Zeit gar nicht über ihre Sexualität gesprochen, es gibt aber, wenn man so will, mit dem 1993er Album "Very" ein Coming-Out-Album. Sind die Pet Shop Boys für Sie eine "schwule Band"?
Jäger: Ja, auf jeden Fall und das waren sie für sich selbst auch. Chris Lowe hat sich bis heute nicht offiziell geoutet. Er verweigert da jede Aussage, weil er der Meinung ist, das ist sein Privatleben, das geht niemanden etwas an. Sagt aber auch, dass in den Texten genug drin steckt. Und Neil Tennant hat im Zug seines Outings auch immer wieder betont, wir waren eigentlich schon immer eine schwule Band und in der schwulen Kultur drin.
Es gibt auch vom ersten Album an diese Anspielungen. Und 1993, ein Jahr später hat Neil Tennant sich dann geoutet, machen sie das Album, auf dem auch "Go West" drauf war, was ja auch noch einmal groß auf die Schwulengeschichte zurückblickt. Und aus diesem Song noch eine größere Schwulenhymne gemacht hat, als es zuvor war. Ja, es ist ein schwule Band, aber man sollte insofern damit vorsichtig sein, dass sie nicht davon begeistert sind, wenn sie nur in diese Ecke gestellt werden.
(jde)
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