Jan Philipp Albrecht: Automatische Filter wären Zensur

Jan-Philipp Albrecht im Gespräch mit Marietta Schwarz |
Im Kampf gegen gewaltverherrlichende und jugendgefährdende Angebote im Internet hält der grüne Europapolitiker Jan Philipp Albrecht internationale Standards für die Löschung von Inhalten für unumgänglich. Zugleich sei eine Einzelfallprüfung bei Löschungen nötig.
Marietta Schwarz: 92 Prozent der 12- bis 19-Jährigen, also fast alle Jugendlichen, besitzen ein eigenes Handy. Und was sie genau damit treiben, das entzieht sich doch mitunter der Kontrolle ihrer Eltern. Besonders auf den freien Zugang zum Internet haben die Erziehungsberechtigten kaum noch Einfluss, und die mobilen Geräte, Handys, aber auch die sogenannten Netbooks, die können fast alles, was der große Computer zu Hause auch kann. Die Nachfrage unter den Jugendlichen steigt nach solchen Geräten und die Betreiber reagieren inzwischen mit Internet-Flatrates fürs Handy. Es wird hoch- und runtergeladen, was das Zeug hält: selbst gedrehte Filmchen, aber auch Gewaltvideos und Pornografie. Eltern und Jugendschutz, manche Politiker auch fordern deshalb mehr Kontrollmöglichkeiten fürs mobile Web, doch die Umsetzung ist schwierig.
Am Telefon bin ich jetzt verbunden mit dem Grünen-Europapolitiker Jan-Philipp Albrecht, Mitglied im Ausschuss für Innen und Recht. Guten Morgen!

Jan-Philipp Albrecht: Guten Morgen!

Schwarz: Herr Albrecht, das ist ja unter Umständen nicht schön, was da im mobilen Internet alles getrieben werden kann und auch getrieben wird. Wer ist denn da in der Pflicht?

Albrecht: In der Pflicht sind meines Erachtens zuallererst diejenigen, die mit den Jugendlichen direkten Kontakt haben. Das sind die Eltern, das sind die Lehrer, das sind auch die Jugendlichen selbst untereinander. Da steht für mich im Vordergrund, dass die Ursachen dieser Situation und die Herkunft solcher Inhalte überhaupt erstmal angegangen wird und bekämpft wird. Das muss erst mal im Vordergrund stehen.

Schwarz: Aber jetzt kann man ja relativ leicht nachvollziehen, dass sich die Kontrolle der Eltern über ihre Kinder, über ihre Heranwachsenden ja auch mehr und mehr entzieht.

Albrecht: Richtig. Das ist auch mit dem Internet nicht einfacher geworden, weil sich natürlich die Jugendlichen zum Teil in Bereichen bewegen, in denen zum Beispiel Lehrer und Eltern nur begrenzten Zugang haben – sei es dadurch, dass sie vielleicht nicht die Nähe dazu besitzen, sei es auch dadurch, dass sie nicht die technischen Möglichkeiten kennen -, und ich glaube, dass es da wichtig ist, dass einerseits den Schülern deutlich gemacht wird, dass so was zum Beispiel im Unterricht nicht geduldet wird, und ich finde, da kann man durchaus etwas stärker sagen, Handys im Unterricht wollen wir nicht dulden, oder auch während der Schulzeit nicht. Da gibt es meines Erachtens auch schon strengere Regelungen, die ich nicht für falsch halte, falls es dazu kommt, dass solche Sachen vermehrt auftreten.

Schwarz: Das hört sich jetzt so an, als ob Sie mit den bestehenden gesetzlichen Regelungen eigentlich ganz einverstanden sind und dass man da einfach irgendwie vielleicht in der Praxis da noch ein bisschen üben muss. Habe ich das richtig verstanden?

Albrecht: Nein, ich glaube, dass es durchaus richtig ist, sich darüber Gedanken zu machen, wie im Internet stärker eine Aufmerksamkeit geschaffen wird, auch durch die Behörden, wo solche Inhalte hochgeladen werden, und dass es da vielleicht bessere Ausstattungen geben muss für die Behörden, wenn es darum geht, solche Inhalte aufzuspüren und aus dem Internet zu entfernen. Aber so was darf meines Erachtens eben nicht automatisiert durch Filtersysteme erfolgen, die nach irgendwelchen Parametern vorgehen, sondern das muss direkt durch die Erkenntnis erfolgen, dass ein Beamter sieht, da ist etwas, das muss auf jeden Fall entfernt werden, muss auf jeden Fall gelöscht werden, weil es eben gewaltverherrlichendes oder jugendgefährdendes Material darstellt. Und ich glaube, da gibt es noch einige Möglichkeiten, durch eine bessere Ausstattung etwas zu erreichen.

Schwarz: Die Ministerpräsidenten der Länder streben jetzt eine Altersklassifizierung auf freiwilliger Basis an. Das haben wir gerade gehört. Kann das funktionieren?

Albrecht: Es geht in die richtige Richtung. Ich glaube aber, dass es nicht dazu kommen darf, dass plötzlich willkürlich Inhalte unter bestimmte Altersgrenzen fallen, sondern dass so was auch überprüft werden muss und dass auch immer wieder gesehen werden muss, ist das jetzt tatsächlich für die Altersstufe Jugend gefährdendes Material oder nicht, weil sollte das zu einem Automatismus verkommen, der von Seiten der Behörden frei betrieben werden kann, dann ist die Gefahr, dass darunter auch Inhalte fallen, die überhaupt nicht problematisch sind, relativ groß, und das geht dann relativ schnell natürlich in Richtung Zensur, und das wollen wir eigentlich in Europa nicht.

Schwarz: Herr Albrecht, wir sprechen jetzt mit Ihnen auch als Europapolitiker. Ist da nicht auch irgendwie ein Ansatz aus der EU gefragt, eine einheitliche Regelung? Wenn da so die Ministerpräsidenten der Länder kommen, die dann mal Zugriff oder Änderungen im globalen Internet haben wollen, dann hört sich das natürlich nicht so richtig überzeugend an. Müsste da die EU nicht etwas tun?

Albrecht: Ja. Das Problem ist halt, dass hier versucht wird, das globale Internet in nationale Internet-Regime wieder zu zersplittern und das eigene Recht ohne Weiteres in einem global funktionierenden Netz anzuwenden. Das funktioniert aber so nicht mehr und ich glaube, dass es richtiger wäre, sich dieser Realität zu stellen und auf europäische und auch internationale Standards zu setzen, die deutlich machen, in welchen Fällen eine solche Löschung und eine solche Maßnahme greifen muss, und vor allen Dingen welche Mechanismen dazu führen, dass überhaupt verhindert wird, dass solche Inhalte im Internet bleiben können. Ich glaube, da geht es vor allen Dingen darum, zu schauen: Können wir so etwas einrichten, wie zum Beispiel Beamte, die sich verstärkt mit der Ursachenbekämpfung im Internet beschäftigen, aber auch damit, dass verpflichtend zum Beispiel Medienunterricht eingeführt wird, der dazu führt, dass die Frage, wie gehe ich mit dem Internet um, welche Inhalte finde ich wo und welche sollte ich vielleicht eher meiden, auch stärker dieser Schwerpunkt gesetzt wird.

Schwarz: Sie haben sich eben gegen das Filtern ausgesprochen, gegen das Filtern von Inhalten. Aber eigentlich ist es doch gar keine schlechte Maßnahme. Man könnte dann einfach den entsprechenden Zugang für die eigenen Kinder freischalten, was fürs mobile, aber sogar auch fürs Internet, für den Internet-Zugang zu Hause gilt. Was ist daran auszusetzen?

Albrecht: Sicherlich ist an der Tatsache, dass ich als Verantwortlicher für meine Kinder zum Beispiel jetzt die Möglichkeit habe, an dem Computer, der benutzt wird, etwas runterzuregulieren. Das gibt es ja auch bisher schon, aber das erfolgt eben an dem Computer selber, das erfolgt dort, wo ich es einstelle, und es erfolgt nicht grundsätzlich beim Zugriff auf das Internet. Das heißt also, die Frage ist: Kriegen wir es hin, dass es bewusst runtergeregelt werden kann, anstatt dass wir im Internet sozusagen automatische Filter einrichten, die dafür sorgen, dass gegebenenfalls auch eine Zensur passieren kann.

Schwarz: Der Grünen-Europapolitiker Jan-Philipp Albrecht, Mitglied im Ausschuss für Innen und Recht. Vielen Dank, Herr Albrecht, für das Gespräch!

Albrecht: Gerne!