Jan Rüger: "Helgoland"

Kleine Insel mit bunter Geschichte

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Buchcover "Helgoland" von Jan Rüger © imago/blickwinkel/Ullstein
Von Günther Wessel |
Helgoland war immer Ziel nationaler Sehnsüchte – und Beispiel der komplizierten Beziehungen zwischen Deutschland und England. In seinem Buch über die kleine Nordseeinsel verknüpft der Historiker Jan Rüger auf wunderbare Weise große Welt- mit friesischer Alltagsgeschichte.*
Es klingt ironisch, dass Hoffmann von Fallersleben 1841 das "Lied der Deutschen" auf Helgoland schrieb – gehörte die Insel doch damals zu Großbritannien und zuvor zu Dänemark. Gleichzeitig ist es auch passend, denn die Insel war immer Ziel nationaler Sehnsüchte sowie ein Beispiel für die komplizierten Beziehungen von Deutschland und England. Das beweist der in London lehrende Historiker Jan Rüger in seinem glänzend geschriebenen neuen Buch.
1807 hatte Großbritannien die Insel besetzt. Den Bewohnern war es egal, sie lebten gut vom danach einsetzenden behördlich genehmigten Schmuggel. Wegen der napoleonischen Blockade waren die Häfen auf dem Kontinent englischen Schiffen verschlossen – und so brachten diese ihre Güter nach Helgoland. Dort wurden sie umgeladen auf kleinere Boote, die bei Nacht und Nebel zum Festland segelten.

Meist nach Deutschland und bald gründete sich deshalb auf der Insel eine Handelskammer aus deutschen und englischen Kaufleuten. Das schuf eine enge politisch-wirtschaftliche Verbindung zwischen beiden Ländern - auf einer englischen Insel, wo im Alltag friesisch, in der Kirche, vor Gericht und in der Schule aber deutsch gesprochen wurde.

Deutschland und Großbritannien – ein ambivalentes Verhältnis

Jan Rüger belegt unter anderem mit dieser Zusammenarbeit seine These: Das Verhältnis England – Deutschland sei im 19. Jahrhundert, anders als manche nationale Geschichtsschreibung suggeriert, nicht generell von einem erstarkendem Antagonismus geprägt, der sich dann im Ersten Weltkrieg entlud. Nein, es sei durchweg ambivalent gewesen – es wuchsen sowohl die Gemeinsamkeiten und Interessen wie auch die Konflikte.

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts erwachte Deutschlands strategisches Interesse an der Insel, und 1890 wurde sie auch deutsch – als Gegenleistung verzichtete Berlin auf Ansprüche in Ostafrika. Die Helgoländer wurden nicht gefragt. Fühlten sie sich deutsch oder englisch? Wahrscheinlich friesisch, denn – so Rüger – die regionale Zugehörigkeit war für sie wichtiger als die staatliche. So bemühten sich staatliche Stellen, die Insulaner einzudeutschen – durch die Befreiung vom Wehrdienst oder Verzicht auf die Kopfsteuer. Doch obwohl der wehrhafte Felsen in der Nordsee schon früh als deutsches Wahrzeichen porträtiert wurde, dauerte es bis in die 1950er Jahre ehe die Helgoländer sich wirklich "deutsch" fühlten.

Als Helgoland zur Seefestung wurde

In beiden Weltkriegen wurde Helgoland zur Seefestung ausgebaut, beide Male sehr symbolträchtig gegen England gerichtet. England selbst setzte dann vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls auf Symbole: Man sprengte Hitlers Festung und nutze die Insel für ihre Bomber als Übungsziel. Deutschland forderte zwar ihre Rückgabe, doch stockten alle Verhandlungen zunächst. Erst 1952 gab England, auch um die Westintegration der Bundesrepublik zu erleichtern, die Insel zurück.

Jan Rüger ist ein faszinierendes Buch gelungen: eine detaillierte, aber nicht ausufernde, spannend erzählte Geschichtsschreibung, in der er das Kleine – das Leben auf der Insel – wundervoll mit dem Großen – der Weltgeschichte – verknüpft und die gegenseitigen Beeinflussung und Bedingtheit aufzeigt. Großartig.

Jan Rüger: Helgoland. Deutschland, England und ein Felsen in der Nordsee
Aus dem Englischen von Karl-Heinz Silber
Propyläen Verlag, Berlin 2017, 528 Seiten, 26 Euro

* In einer ersten Version wurden im Vortext versehentlich Details der Geschichte Helgolands nicht korrekt dargestellt und ein falscher Buchtitel genannt.
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