Meister des Lichts und der Technik
Jan Vermeer gehört zu den bekanntesten holländischen Barockmalern. Eine Ausstellung im Louvre zeigt jetzt Werke Vermeers, zusammen mit der Genremalerei einiger Zeitgenossen. Über die Faszination Vermeers sprachen wir mit dem Künstler Gerhard Gutruf.
Seit der Wiener Künstler Gerhard Gutruf als Jugendlicher begann, Kunstbücher zu lesen, ist er fasziniert von den Werken Jan Vermeers.
"Von den 36 Bildern Vermeers, die wir kennen, sind wahrscheinlich 20 absolute Meisterwerke", sagte Gutruf im Deutschlandradio Kultur. Im 17. Jahrhundert, als Vermeer wirkte, habe die selbstverständliche Beherrschung des Handwerks der Malerei in Holland einen Höhepunkt erreicht.
Die Oberfläche erzeugt das Licht
"Man weiß zwar nicht genau, wer die Lehrer von Vermeer waren. Jedenfalls hat er sein Handwerk absolut beherrscht, und die Faszination, die von seinen Bildern ausgeht, ist sicher die Art der Malerei, die Oberfläche der Malerei. Man spricht immer vom Licht bei Vermeer. Das Licht wird aber erzeugt eben durch die Oberfläche der Malerei." (uko)
Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Wir machen einen Zeit- und einen Genresprung, ins Goldene Zeitalter, zur Malerei. Jan Vermeer wird als führender Künstler dieser Zeit gefeiert, ohne Unterlass in seiner Heimat, den Niederlanden, und jetzt für die nächsten drei Monate auch im Louvre in Paris. Eine Ausstellung zeigt dort Werke des Meisters aus Delft, zusammen mit der Genremalerei einiger Zeitgenossen. Wir sprechen darüber mit einem Künstler unserer Zeit, der sich Zeit seines Schaffens immer wieder mit Vermeer auseinandergesetzt hat: Gerhard Gutruf. Wir erreichen ihn in Wien. Guten Morgen!
Gerhard Gutruf: Guten Morgen aus meinem Wiener Atelier. Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Herr Gutruf, erinnern Sie sich an Ihre erste Begegnung mit Vermeer? War das eine Liebe auf den ersten Blick?
Gutruf: Das kann man nicht so sagen. Meine erste Begegnung mit Vermeer war eine in Büchern. Ich habe ab meinem 14. Lebensjahr Kunstbücher verschlungen wie zum Beispiel das Buch "Die Antwort der Bilder" von René Hugues. Das war also eine fantastische Einführung. Dann bin ich neugierig geworden und habe im kunsthistorischen Museum in Wien unseren einzigen Vermeer genauer betrachtet, und das Bild hat mich von Anfang an fasziniert.
"20 absolute Meisterwerke"
Frenzel: Welches Bild war das?
Gutruf: Es ist die "Malkunst". Das ist das einzige Bild, dass wir von Vermeer in Wien haben. Es ist das Hauptwerk, kann man sagen.
Frenzel: Ich hatte vor zwei Wochen das Vergnügen, mit unserem Bundespräsidenten, also dem deutschen, Joachim Gauck, im Mauritshuis in Den Haag zu sein. Da wurde ihm ganz stolz das "Mädchen mit dem Perlenohrring" präsentiert, und er drehte sich um, drehte sich dann zur Stadtansicht von Delft und war ganz augenscheinlich davon viel mehr begeistert. Können Sie da selbst eine Wertung vornehmen, wenn Sie diesen Vergleich vor sich haben?
Gutruf: Ich würde da keine Wertung vornehmen. Dem einen gefällt eine Landschaft mehr, einem anderen ein Porträt oder ein Bild von einem jungen Mädchen. Von den 36 Bildern Vermeers, die wir kennen, sind wahrscheinlich 20 absolute Meisterwerke, und es kommt dann auf den persönlichen Geschmack an.
Frenzel: Was macht denn das Besondere seiner Arbeit aus?
Gutruf: Das sind mehrere Dinge. Ich würde sagen, es ist natürlich die selbstverständliche Beherrschung eines Handwerks, dass im 17. Jahrhundert, das ja das Goldene Zeitalter genannt wird in Holland, einen Höhepunkt erreicht hatte. Man weiß zwar nicht genau, wer die Lehrer von Vermeer waren. Jedenfalls hat er sein Handwerk absolut beherrscht, und die Faszination, die von seinen Bildern ausgeht, ist sicher die Art der Malerei, die Oberfläche der Malerei. Man spricht immer vom Licht bei Vermeer. Das Licht wird aber erzeugt eben durch die Oberfläche der Malerei.
Vermeer nutzte keine Camera Obscura
Frenzel: Es gibt ja immer wieder Debatten darum, wie er zu diesen Ergebnissen kam, ob er möglicherweise eine Camera Obscura eingesetzt hat. Sie haben dem immer widersprochen. Warum eigentlich?
Gutruf: Mir war diese Theorie immer suspekt, denn ein Meister wie Vermeer, der also sein Handwerk beherrscht hat, der die Perspektive studiert hat und so weiter, hat es nicht nötig gehabt, als Hilfsmittel die Camera Obscura zu verwenden. Selbstverständlich hat er die Camera Obscura gekannt, er war aber ja kein Freund von Leeuwenhoek und so weiter, der dann auch sein Nachlassverwalter war. Er hat sicher fasziniert studiert die optischen Phänomene, die mit Hilfe eine Camera Obscura erzeugt werden konnten. Aber als Hilfsmittel zur Konstruktion eines Bildes erscheint mir das jetzt von der praktischen Seite her gerade für Vermeer nicht sehr wahrscheinlich.
Frenzel: Herr Gutruf, Sie haben sich ja nicht nur theoretisch mit Vermeer auseinandergesetzt, sondern selbst Kunst gemacht. Ich habe mal einige Bilder gesehen. Da musste ich an einen anderen Holländer denken, jüngeren Datums. Piet Mondrian – ist das Ihre Weitererzählung?
Millimetergenaue Konstruktionen
Gutruf: Nein. Er versucht, ehrlich gesagt, die innere Struktur von Vermeer zu erforschen. Und da kommen wir wieder auf das Problem der Camera Obscura. Die Camera Obscura liefert ja ein seitenverkehrtes, auf dem Kopf stehendes Bild, noch dazu sehr unscharf oder in vielen Bereichen unscharf. Es kann dann nachgeschärft werden durch Linsen. Aber dieser Aufwand wäre für Vermeer meines Erachtens also vollkommen absurd gewesen, weil er ja diese einfachen Objekte, die in einem Interieur zu sehen sind, praktisch konstruiert hat. Man hat im Wiener Bild sogar Einstichlöcher für die Konstruktion der Zentralperspektive gefunden. Zwei Einstichlöcher, eines im Hauptzentralpunkt, wo die Linien zusammenlaufen unter der Landkarte. Und diese Konstruktion der Fußbodenfliesen ist auf den Millimeter genau.
Frenzel: Magie und Mathematik kann man also sagen bei Jan Vermeer. Der Künstler Gerhard Gutruf. Ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch!
Gutruf: Sehr gern. Ich hoffe, es ist was Gescheites herausgekommen. Alles Gute!
Frenzel: Einen guten Tag nach Wien!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.