Jan Wagner: "Die Live Butterfly Show"
Hanser Berlin, Berlin 2018
93 Seiten, 18 Euro
Lyrik zum Abheben
Alltagsbeobachtungen, Reiseeindrücke und persönliche Erinnerungen verarbeitet Büchner-Preisträger Jan Wagner in seinem neuen Gedichtband "Die Live Butterfly Show". Alltagsgegenstände werden mittels kühner Bilder schillernd schön.
Als lyrische Stillleben werden Jan Wagners Gedichte oft bezeichnet. Das trifft zu und doch: Still sind diese Stillleben nicht. Immer wieder von neuem bringt der Dichter in ihnen einen Prozess in Gang, "suchend nach der richtigen kombination", wie es in dem Gedicht "champignons" aus Wagners Debütband "Probebohrung im Himmel" hieß.
Denn hier ging es nicht nur um das Rezept für ein Champignongericht, das die Großmutter mit ins Grab genommen hat, sondern auch um ein poetologisches Programm. So ist das genaue Wahrnehmen beispielsweise eines Gegenstandes nur der Auslöser für eine Assoziationskette und ein buchstäbliches Abheben bis der Dichter am Ende die richtige Kombination und damit die Harmonie von Rhythmus, Sprache und Form gefunden hat.
Der Titel "Die Live Butterfly Show" passt für seinen neuen Band mit gut 50 Gedichten, meist nur eine Seite umfassend, also perfekt. Und der Georg-Büchner-Preis, mit dem Jan Wagner im vergangenen Jahr ausgezeichnet wurde, scheint ihn geradezu beflügelt zu haben. Beim Lesen lässt sich dieser Prozess der poetischen Verwandlung nachvollziehen – von der Verpuppung bis zum Schlüpfen.
Der Titel "Die Live Butterfly Show" passt für seinen neuen Band mit gut 50 Gedichten, meist nur eine Seite umfassend, also perfekt. Und der Georg-Büchner-Preis, mit dem Jan Wagner im vergangenen Jahr ausgezeichnet wurde, scheint ihn geradezu beflügelt zu haben. Beim Lesen lässt sich dieser Prozess der poetischen Verwandlung nachvollziehen – von der Verpuppung bis zum Schlüpfen.
Ein Alltagsgegenstand wird plötzlich schillernd schön mittels kühner Bilder - oder bedrohlich, denn oft genug lauert Abgründiges im Banalen.
Alles kann auf diese Art und Weise poetisch verpuppt werden – eine Lederhose "so kolossal, dass füchse oder dachse drin siedeln könnten", ein Rettich "schwer wie ein unterschenkel apolls", der dem lyrischen Ich jegliche Kraft zu entziehen scheint, aber auch ein alternder Biker in Montana oder ein übergewichtiger Onkel "schwebt an seinen hosenträgern herein wie ein prächtiger fesselballon". Und je genauer der Dichter etwas in den Blick nimmt und sprachlich umkreist, je mehr er beim Dichten verdichtet, desto weiter öffnet sich der Raum für Assoziation und Erkenntnis.
Verse mit Humor und feinsinniger Ironie
Jan Wagner macht es einem nicht schwer, diesen Raum zu betreten, ihm dann aber in seinen oft überraschenden Wendungen zu folgen, darin liegt der Reiz. Wer sich darauf einlässt, für den verändern sich Wahrnehmung und Perspektive. Und wer sich auf diese Weise überraschen lässt, gewinnt einen neuen Blick auf die Sprache und auf Dinge, seien es die Krähen im Englischen Garten in München, Weißkohl "das gefühl an deiner hand, erschreckend kühl und wächsern, kälter als ein chorgestühl", Klatschmohn "ein augensalmiak" oder ein im Schrank gefundener Muff, der das lyrische Ich an die russische Tundra und an Permafrost denken lässt. Manches ist aus früheren Gedichtbänden vertraut: Meeresassoziationen des in Hamburg Geborenen, die Kapitäne im Ruhestand, Buddelfische oder den Polarforscher John Franklin betreffen.
Ebenso die Tatsache, dass Kindheitserinnerungen zum Gegenstand des Dichtens werden wie der Sechsjährige, der in einen Glastisch fällt: "die erste aller katastrophen". Oder Reiseeindrücke hier etwa an die Verbotene Stadt, an Kalifornien oder an den Ganges - wohl, weil Wahrnehmungen noch intensiver sein können, wenn man unterwegs ist.
Ebenso die Tatsache, dass Kindheitserinnerungen zum Gegenstand des Dichtens werden wie der Sechsjährige, der in einen Glastisch fällt: "die erste aller katastrophen". Oder Reiseeindrücke hier etwa an die Verbotene Stadt, an Kalifornien oder an den Ganges - wohl, weil Wahrnehmungen noch intensiver sein können, wenn man unterwegs ist.
Und immer wieder die Natur. Doch ein idyllischer Naturlyriker ist Jan Wagner nicht. Denn für ihn liegen auch in der Natur Idylle und Schrecken wie bei seinem bekannten Gedicht über den Giersch dicht beieinander. Wagners Kunst liegt auch darin, durch Humor und feinsinnige Ironie diesem Schrecken seine Schwere zu nehmen, ihn dadurch – wie Schmetterlinge - zum Schweben zu bringen.
Durch das Spiel mit lyrischen Formen entsteht etwas Neues
Die ganze Welt bietet Stoff, hat Jan Wagner einmal gesagt. Man muss nur genau hinschauen. Das macht seine Gedichte so faszinierend und auch zugänglich, denn diese Dinge stehen eigentlich jedem zur Verfügung ebenso wie die Sprache, das Arbeitsmittel eines Lyrikers.
Wagner, der sich in Essays viel mit der lyrischen Tradition auseinandergesetzt hat, tut dies auch ganz praktisch – beim Spiel mit Reimschemata und lyrischen Formen wie Sonett oder Haiku, die er bisweilen so verwirbelt, dass etwas Neues entsteht und das doch nie reines Spiel, sondern immer auf den Inhalt bezogen ist.
Wagner, der sich in Essays viel mit der lyrischen Tradition auseinandergesetzt hat, tut dies auch ganz praktisch – beim Spiel mit Reimschemata und lyrischen Formen wie Sonett oder Haiku, die er bisweilen so verwirbelt, dass etwas Neues entsteht und das doch nie reines Spiel, sondern immer auf den Inhalt bezogen ist.
Seinen Erfolg und die Tatsache, dass Lyrik in den letzten Jahren einen gewissen Aufschwung genommen hat, hat Jan Wagner einmal damit erklärt, dass das poetische Erleben ein universelles Grundbedürfnis sei, um die Welt mit lyrischen Mitteln fassbar zu machen.
Vermutlich macht es deshalb so viel Freude, dem Dichter bei seinem magischen Tun zu folgen, die Dinge - lyrisch verwandelt - neugierig in den Blick zu nehmen und buchstäblich abzuheben dabei.