Jana Hensel über den Umgang mit dem DDR-Alltag

"Da sind Demütigungen und Verletzungen geblieben"

Die Schriftstellerin Jana Hensel
Die Autorin Jana Hensel © dpa-Zentralbild / Karlheinz Schindler
Jana Hensel im Gespräch mit Winfried Sträter |
Die Autorin Jana Hensel ist vor 15 Jahren mit ihrem Buch "Zonenkinder" bekannt geworden. Bis heute beschäftigt sie sich mit der DDR. Um den Erfolg von Pegida und der AfD in den neuen Bundesländern zu verstehen, müsse man sich auch mit der Wende und Nachwendezeit auseinandersetzen, sagt sie.
Die Annäherung an den DDR-Alltag ist gar nicht so leicht. Nicht nur, weil das Land so anders war, sondern auch, weil die Erinnerung daran so umkämpft war. Viele, die als DDR-Bürger die Zeit selbst erlebt hatten, wehrten sich, wenn jemand ihr Bild von der eigenen Vergangenheit in Frage stellte. Und Historiker hatten jahrelang mit dem Vorwurf zu kämpfen, dass die Frage nach dem DDR-Alltag schon eine Verharmlosung des SED-Regimes sei. Inzwischen scheinen sich einige Verkrampfungen im Umgang mit dem privaten DDR-Geschichte gelöst zu haben.

Harte Vorwürfe wegen "Zonenkinder"

Jana Hensel hat dies selbst erfahren. Sie war 13 Jahre alt, als die Mauer fiel und die DDR unterging. 2002 veröffentlichte sie den Bestseller "Zonenkinder", ein Buch über ihre Erinnerungen an die DDR und die harte Zeit des großen Umbruchs nach 1989 – und sie war verblüfft, welche Aufregung dieses Buch verursachte.
"Man kann sich das heute gar nicht mehr richtig vorstellen. Aber tatsächlich, als Zonenkinder erschien, gab es eine riesige Debatte um dieses Buch. Mir wurden sehr harte Vorwürfe gemacht. Man würde sozusagen die DDR als Unrechtsstaat verharmlosen, wenn man sich über Kindheitserinnerungen beugt. Mir wurde vorgeworfen, mit einem Weichzeichner die Wirklichkeit zu beschönigen."
Sie habe die Ambivalenzen des Lebens in der DDR thematisiert: dass die DDR eine sehr politisch durchwebte Gesellschaft war, bis in den Alltag.
"Wenn man in den Urlaub fuhr, fuhren die meisten in Betriebsferienheime des Gewerkschaftsbundes FDGB, wenn man in der Freizeit Sport trieb, tat man das in Betriebssportgemeinschaften. Das Politische hatte Strukturen, die konkret auf den Alltag der Menschen eingewirkt haben."

Eine Flucht, um die Ideologie hinter sich zu lassen

Alltagskultur in der DDR sei auch eine "Immer-weg-Bewegung" gewesen, sagte Jana Hensel im Deutschlandfunk Kultur, eine Flucht, um die Ideologie hinter sich zu lassen.
"Man musste sich diese Freiräume erkämpfen und hat es mit Freude getan."
Als man angefangen habe, sich nach 1990 an den DDR-Alltag zu erinnern, gab es den Vorwurf der Ostalgie. Aber heute würden die Leute auch etwas vermissen, so Jana Hensel: "dass Leute einen Platz hatten in der Gesellschaft. Ich glaube, dass es heute noch immer eine Sehnsucht gibt, einen Platz in dieser Gesellschaft zu haben. Und das hat die DDR den Leuten auf jeden Fall vermittelt."

Neuen Länder seien ein signifikant anderer Raum

Romane und Fernsehserien hätten in den letzten Jahren viel dazu beigetragen, dass man sich der DDR-Alltagsgeschichte annähern kann. Auf die Frage, woher die Wut auf den öffentlichen Plätzen im Osten Deutschlands kommt, sagte Jana Hensel, dass man sich auf jeden Fall mit der DDR, der Wende und der Nachwendezeit auseinandersetzen muss, wenn man Phänomene wie Pegida verstehen will. Die fünf neuen Länder seien immer noch ein signifikant anderer Raum in Deutschland:
"Es ist eine Gesellschaft, in der es keine hohen Vermögen gibt, die nach 1989 einen radikalen Abbau ihrer ganzen ökonomischen Strukturen erlebt hat. Da sind Demütigungen, Verletzungen, Irritationen geblieben, und ich glaube, dass wir Pegida auch erklären können, indem wir schauen müssen, ob nicht hier noch einmal diese Verletzungen und Demütigungen thematisiert und auf die Straße gebracht worden sind."
Hensel betont, dass sie weder für Pegida noch AfD Sympathien habe, "aber ich glaube, dass die Suche nach Gründen dafür differenzierter sein muss und ich glaube, dass es andere Gründe sind als in Westdeutschland".
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