Janine di Giovanni: "Der Morgen als sie uns holten. Berichte aus Syrien"
Übersetzt aus dem Englischen von Susanne Röckel
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2016,
250 Seiten, 22 Euro.
Als Kriegsreporterin in Syrien
Verstörend genau beschreibt die US-amerikanische Kriegsreporterin Janine di Giovanni in ihrem Buch "Der Morgen als sie uns holten", wie der Syrien-Konflikt das Land und seine Menschen zerstört. Viel Raum für Hoffnung lässt sie nicht.
Der Morgen, an dem Nada aus der syrischen Hafenstadt Latakia von der Geheimpolizei des Assad-Regimes geholt wurde, war irgendwann im Juni 2012. Sie war gewarnt worden, sie wusste aber nicht, wohin sie fliehen sollte. Während in Damaskus vordergründig die Welt noch in Ordnung schien – Cafés und Restaurants waren voll, die Geheimpolizei war überaus präsent, und das Leben in der Hauptstadt glich einem Tanz auf dem Vulkan – waren anderswo schon Tausende in Haft: in Folterkellern des Assad-Regimes.
Dort landete auch Nada, sie wurde geschlagen, bedroht, psychisch gefoltert. Janine di Giovanni erzählt von organisierten Vergewaltigungen, um Menschen zu brechen, von dem Bäcker Mohammed, der in Aleppo von der Regierung mit Entführung und Mord bedroht wurde, weil er für die Aufständischen Brot buk, und von Hussein, der in Homs die Proteste gegen Assad mit organisierte, nach seiner Inhaftierung täglich geprügelt wurde und nachts auf die Leiber seiner totgeprügelten Kameraden geworfen wurde. Gerettet wurde er von einem regierungstreuen Arzt, der ihm die Flucht ermöglichte.
Das war 2012, am Beginn des Krieges, als Janine di Giovanni ihre längste Reise durch Syrien unternahm. Innerhalb weniger Monate radikalisierte sich der Konflikt, und der Bürgerkrieg änderte die Menschen. Das Land, in dem unterschiedliche ethnische Gruppen gut miteinander gelebt hatten, spaltete sich.
Jeder sei nun der Feind des anderen, erzählte man der Autorin, und Menschen, die sich noch wenige Jahre zuvor alle Syrer genannt hatten, bezeichnen sich nun als Alawiten, Christen, Sunniten, Schiiten oder Drusen.
Langeweile und Stress, endloses Warten, ewige Unsicherheit
Janine di Giovanni zeigt eindringlich, was der Krieg vor Ort bedeutet: Langeweile und Stress, endloses Warten, ewige Unsicherheit, Angst vor Heckenschützen und Fassbomben, Trümmer, gigantische Müllhalden, Hungern, Schwitzen und Frieren.
Er bedeutet die Rückkehr von Krankheiten wie Polio, Typhus und Cholera und den Verlust von Freunden – Janine di Giovanni nimmt in ihrem Buch bewegend Abschied von ihrem Landsmann und Kollegen Steve Sotloff, der im August 2013 in Syrien entführt und im September 2014 von Mördern des Islamischen Staate getötet wurde.
Die Autorin mutet ihren Lesern einiges zu. Sie schreibt über Schmerz, Folter, Vergewaltigung und Tod, und sie erzählt detailliert und lakonisch. Nie voyeuristisch, meist mitfühlend und so genau, dass es einem kaum gelingt, eine Distanz zu den geschilderten Grausamkeiten zu halten.
Viel Raum für Hoffnung bleibt da nicht. Die ist ein Buch, das einen nicht loslässt, ein wichtiges Buch.