Ex-Botschafter Janusz Reiter
Der Publizist Janusz Reiter ist nach wie vor als Experte für die deutsch-polnischen Beziehungen gefragt. © picture alliance / dpa / Eventpress
"Gleichgültig ist Deutschland niemandem in Polen"
34:40 Minuten
Vom Staatsfeind zum Diplomaten: Janusz Reiter war Polens erster Botschafter in Deutschland nach der Wende, zuvor war er im Visier der polnischen Staatssicherheit. Bis heute ist er ein gefragter Experte für die deutsch-polnischen Beziehungen.
Janusz Reiter wollte hinaus in die Welt, schon als Kind, das in den 1950er-Jahren in einer verschlafenen nordpolnischen Kleinstadt aufwuchs. Die Welt, das war zuerst einmal die Literatur – er habe „viel zu früh viel zu schwierige Bücher gelesen“, erinnert sich der ehemalige polnische Botschafter in Deutschland.
Als Student faszinierte ihn dann die deutschsprachige Literatur, was man seinem erlesenen Deutsch bis heute anhört. Und Deutschland wurde für Janusz Reiter zu einem Lebensthema. Zunächst als Journalist, dann als Diplomat.
Unter Beobachtung der Staatssicherheit
Mit dem Journalismus hatte er in Polen noch zu realsozialistischen Zeiten begonnen. Doch als 1981 in seiner Heimat das Kriegsrecht verhängt wurde, verlor er seine Arbeit, wurde rund um die Uhr von der Staatssicherheit beobachtet, konnte nur noch unter Pseudonym publizieren – alles wegen seines Engagements in der Solidarność-Bewegung.
Dieses Engagement brachte ihm aber nach der Wende einen Job als Top-Diplomat ein: Polens erster frei gewählter Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki schickte Reiter 1990 als Botschafter nach Bonn. Sehr spannende Zeiten waren das, erinnert sich Reiter – Deutschland und Polen söhnten sich aus, schlossen Grenz- und Nachbarschaftsverträge.
Deutschland: ein herausfordernder Nachbar
Bis heute ist der 69-jährige in beiden Ländern ein gefragter Experte für die deutsch-polnischen Beziehungen, der in führenden Zeitungen publiziert. Gleichgültig sei Deutschland niemandem in Polen, sagt Janusz Reiter, die Menschen seien entweder fasziniert von Deutschland oder hätten Befürchtungen. Nachbar der Deutschen zu sein sei herausfordernd, aber auch eine Chance.
Doch das Verhältnis vieler Polen zu Deutschland und der EU hat sich eingetrübt. „Manche Leute in Polen haben Angst vor der eigenen Courage bekommen“, sagt Reiter. Die anfängliche Euphorie nach dem Beitritt Polens zu EU und NATO sei der Erkenntnis gewichen, dass Europa auch Wettbewerb bedeute.
„Der Rechtsstaat darf nicht zur Disposition stehen“
Beim aktuellen Streit zwischen der EU und der Warschauer Regierung um die Rechtsstaatlichkeit in Polen stellt sich Reiter klar auf die Brüsseler Seite: „Der Rechtsstaat darf nicht zur Disposition stehen“ - sonst könne die EU nicht funktionieren.
Das gegenwärtige Flüchtlingsdrama an der Grenze zwischen Polen und Belarus betrachtet Reiter hingegen mit gemischten Gefühlen. Natürlich müsse man den Geflüchteten helfen, meint er. Doch Europa könne nicht alle Menschen aufnehmen, die dies wünschten.