Janz schön verändert, wa?!

Von Claus Stephan Rehfeld · 06.04.2009
Da will einer nach Berlin reisen, greift zur Karte und findet dort einen Ort Namens "Sumpfstadt". Er dreht und wendet den "Atlas der wahren Namen" (1), doch Sumpfstadt rückt nicht vom Fleck, jedenfalls nicht auf der "Etymologischen Karte Deutschland" (2). Veraltet ist sie nicht, weil noch recht neu. Der Berlin-Reisende stutzt, aber nur kurz. Lage und Umrisse von "Sumpfstadt" entsprechen seinem Reiseziel.
Und warum Hellersdorf nun "Dorf des schützenden Kämpfers" (3) heißt und Reinickendorf "Dorf des harten Schicksals" (4) – dies wird er schon noch heraus bekommen. Da, wo jetzt "Sprühwasser" (5) fließt und eine Pfütze "See des Volkssieges" (6) heißt. Eine etwas überraschende Poesie für die dort Wohnenden, die gemeinhin für ihre "Schnauze mit Herz" (7) bekannt sind. Ja, ja, der Ort hat sich janz schön verändert – wie der nun folgende Reisebericht bestätigt.

"Wir waren in 'Sumpfstadt'! Mittenmang, wie es so heißt. Am Potsdamer Platz!"

Als wir vom Westteil der Stadt kommend ein Visum für den Ostteil erbaten, da versagte uns ein Herr in DDR-Grenzuniform selbiges. Nein, keine Einreise, nix Feldstudien. Er zeigte er uns, wo der Stempel hängt. Nein, kein Bericht und so. Dies verstanden wir nicht, wohl aber, uns dennoch ein Einreisevisum zu beschaffen. Eine hübsche Sumpfstädterin bat ihn um ein Visum (8) … und überließ es uns dann. Hier, sehen Sie: Deutsche Demokratische Republik.

DDR-Visum.

Für Sumpfstadt-Ost.

Stempel der Alliierten und Senat Sumpfstadt-West.

Einreisedatum 31. Oktober 2008.

"Wat hier jelacht wird, det lache ick."(9)

Ja, ja, "Sumpfstadt". Aber der Reihe nach.

Kapitel 1: Poesie der Vergangenheit

"Waren Sie mit der Karte unterwegs?"

Herr Hormes. Er hat den "Atlas der wahren Namen" verfasst. Ihm verdanken wir die Feldstudien in Sumpfstadt.

"Das ist doch schön hier, ne. 'Drachendorf'." (10)"

"Drachendorf" in Sumpfstadt. Herr Hormes hat mal in Sumpfstadt studiert, genauer im Ortsteil "Thalheim". (11)

""Ja, war schön. Wir sind dann nach 'Niedersumpfwiesen' (12) umgezogen."

16 Jahre Sumpfstadt. Studium, Arbeit, Frau.

"Dann sind wir gleich nach 'Untereichen' (13) weitergezogen."

Immernoch in Sumpfstadt. Hauptstadt von Germany.

"Na, das ist das 'Volksland', also 'Tiuti', althochdeutsch das 'Volk', das 'Volksland'."

Könnte man auch mit "Wurfspießmänner" (14) übersetzen.

"Also Sprachforschung, Etymologie, was jetzt Ortsnamen angeht, ist eine der schwierigsten Disziplinen innerhalb der Sprachforschung überhaupt, weil man muss letztendlich schauen, wie hieß der Ort früher?"

Sumpfstadt. Altpolabisch brl-, also: Sumpf. (15) Und die Sumpfstädter?

"Die Ickes und Det-is? Naja, klar, die echten und die wahren, die gibt es noch immer. Die lassen sich auch nicht erschüttern."

Ja, ja, der Sumpfstädter …

"Lebenslauf, ick erwarte Dir." (16)

1. Merkzettel

Während wir uns auf die etymologische Karte von "Sumpfstadt" konzentrieren, repetieren wir schnell noch einige Merkzettel über diese ungewöhnliche Dorfansammlung. (17)

Als die Stadt das erste Mal geteilt wurde, lebten noch viele "Spree-Athener" (18) dort. Das war im Mittelalter. Nach der zweiten Teilung waren sie im Westteil eine Minderheit. Vorbei war auch die Zeit Frontstadt, Inselstadt, Halb- und Doppelstadt. Dann wuchs in Sumpfstadt zusammen, was es dort halt so gab.

Der Flecken war immer schon ein Grenzgebiet. (19) Plattdeutsche Maulfaulheit trat gegen die Obersächsische Gusche an, die Märkische Zunge tauschte sich regelmäßig mit der Sumpfstädter "Schnauze" (20) aus. Die zweite deutsche Lautverschiebung verschob hier nicht viel.

Der Sumpfstädter parliert gerne und gekonnt. Er ist "nich uff ’t Maul jefallen". (21) Neben Altpolabisch spricht er fließend Slawisch, siehe "Kiez" (22), nimmt Latein einen Schluck "aus die Pulle" (23), hilft anderen gerne Französisch aus die "Bredullje" (24), beißt in die obersächsische "Stulle" (25), mag hebräisch keene feinen "Pinkel" (26) nich. Die Beispiele müssen reichen, die Sendezeit ist begrenzt.

Seine Sprachgewandtheit ist legendär, er ist eher bescheiden zu nennen. Der echte Sumpfstädter liebt partout "keen Jetue nich". (27)

Kapitel 2: Ein ungewöhnlicher Saund

"Es hat irgendetwas mit dem Saund zu tun, dem Saund, den mir draufhaben, der ist immer … kannste machen, was de willst." (Lacht)."

Auf dem Berg der "Überlegung und des Ruhmes" (28), hierorts auch "Prenzlberg" oder "Brezlberg" (29) genannt. Früher eine Hochburg des Sumpfstädter Dialektes, heute in der Hand von "Außerhalbschen" (30), also Schwaben, Rheinländern, Sachsen …

"Wenn er nach Sumpfstadt kommt, ist es völlig klar, da muss er sich erschtemal orientieren, weil das ja eine große Stadt ist, die Sumpfstadt. Und deswegen, er selber kommt aus einem Dorf, und das ist völlig klar, dass er da in der großen Stadt erschtemal denkt: Oh, die sind ja alle viel klüger! Viel witziger! Haben ja oben auf der Kirsche mehr als er."

Also den Sumpfstädter Dialekt haben wir uns irgendwie anders vorgestellt …

"Das hat was damit zu tun, dass die Sumpfstädter ja fürchterlich … Sie sind schnell fertig mit dem Wort und kanzeln jemanden ab. Und so was gloobt der Sachse eijentlich gar nicht und denkt sich immer: Nee, so meent der das gar nich."

Wir nicken.

"Nee, der meent das nich, das kann gar nich sein. Da sagt er: 'Männiken, ick hau dir gleich eene!' Da sagt er: Nee, nee, so meinst du das nich, ne. Und das hat natürlich was damit zutun, dass der Sachse sofort versöhnen will. Er ist ja ein Versöhnler."

Gut, gut. Und der Sumpfstädter lässt Angeber lässig auflaufen. So mit Fragen wie "Und mitte Ohrn könnse nischt?" (31)

"Nee, mir tun das nich machen."

Wir sind überrascht zu nennen.

"Also wenn ich in meiner Heimat mal etwas Sumpfstädtisches benutze und sare 'Icke gloob det nich' oder sowas, dann wirkt das sehr weltläufig und die sind ganz erstaunt und sagen: 'Du bist wohl, schätze ich, gar nich mehr von hier?'"

Äh, wir sind doch hier in "Sumpfstadt", im Rayon … hier … auf dem "Berg der Überlegung und des Ruhmes"? Gerühmt als Hochburg des hiesigen Dialekts.

"Also mir kommt es sehr komisch vor, wie hier die Leute reden. Die reden entweder Hochdeutsch oder sie reden Schwäbisch oder Türkisch oder Englisch. Englisch wird viel gesprochen."

So à la: I’m speaking Deutsch?

"Wirklich Sumpfstädtern kann keener mehr."

2. Merkzettel

Lange behauptete sich der Ost-Sumpfstädter in seinem Distrikt gegen die sächsische Zunge. Dann fiel die Stadtmauer. Und er wunderte sich, dass im Westteil von Sumpfstadt "keen Aas" (32) mehr berlinerte. Da wurde geschwäbelt, gebayert und getürkt, echte Sumpfstädter gab es nur noch in einigen zugewiesenen Reservaten.

Und kaum war die Stadtmauer ein einziges openes dor, da wurde Ost-Sumpfstadt von der Mitte der Gesellschaft im Sturm besetzt, von der "Einkoofsjesellschaft". Geldmäßig, mental, zungenmäßig.

Der "Sonnahmd" wurde abgeschafft, der Samstag hielt Einzug. Plötzlich war es nicht mehr "dreiviertel ölwe" (33), sondern Viertel vor Elf. Und der "Frisör" schnippelte plötzlich in einer Hair-Factory. Nun, viele Ureinwohner packten ihre Sachen und zogen in Trecks wegwärts.

Ach ja, beim Fall der Stadtmauer sollen kaum echte Sumpfstädter anwesend gewesen seien, aber viele "anjelernte" (34), "Rucksackberliner" (35) genannt. Identifiziert wurden sie am Gebrauch des Wortes "Wahnsinn". D a s hätte ein Sumpfstädter nie gesagt! Und gerufen schon gar nicht! Er hätte höchstens "Na kiek mal an" (36) jesacht.

Kapitel 3: Klare Auskünfte

Mit der Rennpappe, also dem Trabi, verschwand peu à peu der heimische Dialekt … in Ost-Sumpfstadt. Er steht dort mittlerweile auf der Liste der bedrohten Sprachen. In West-Sumpfstadt ist er bereits auf der Liste der aussterbenden Sprachen vermerkt.

"Hörn se mir bloß uff mit diesem Verein. Ick hab die Schnauze voll davon. N’ schön’ Tach noch." (Knallt Tür zu)."

Dieser einmalige "ach"-Laut! Wunderschön. Ein Ureinwohner! Unsere Botanisiertrommel für heimisches Sprachgut füllt sich etwas.

"Wir haben eijentlich jenauso gesprochen wie alle anderen ooch." (Lacht)."

Ah ja … Nun, der Austausch zwischen eingeborener Zunge und fremdwärtiger Kiemenstellung ist beschränkt zu nennen.

"Ick kenn nur Vokabeln, mit denen ick mich beschäftige."

Auf dem "Kreuzberg" (37), an der Waterloobrücke, brachte ein hiesiger Zungenträger die neuere Entwicklung auf den Punkt.

"Ob det ein Berliner ist, der Ausländer, der det jemacht hat, weeß ick nich, ob der die deutsche Staatsangehörigkeit hat, weiß ick nich."

Ja, ja, es gibt der Beispiele mehrere, da sich der Eingeborene "als Berliner da irgendwie fremd" (38) fühlt.

3. Merkzettel

Verloren sitzen wir in der Linie 1, blättern einsam in einem Dokument eines untergehenden Dialektes - Sumpfstädtisch. Hier, sehen Sie? "Brandenburg-Berlinisches Wörterbuch" (39). Eine Rarität - das Buch, die Sprachträger, lebende Sprachträger. Restexemplare sozusagen - wie der Teil des Wörterbuches, den wir von einer freundlichen Germanistin zugespielt bekamen. Sie künden dem Ethnologen von großer Vergangenheit. Sprachlich, menschlich, kulturell.

Der "komplizierte linguistische Regelapparat" (40) perlte am Ureinwohner ab. "Feine Verästelungen und Differenzierungen der sprachlichen Variation" (41) konnten nicht nur Sprachforscher, sondern auch hiesige Sprachträger "nicht immer berücksichtigen". (42)

Für Sie daheim zum Mitschreiben: Aus "dat" und "det" wurden "dit" und das feinere "dis". Folgenreich war der Austausch des Verschlusslautes g "jejen" den Reibelaut j. "Mutich" wechselte er die Endung ig- gegen –ich aus. "Uff" Diphtonge steht er "ooch". nd beim Einsatz von "ick" und "icke" hält er sich nahe an den französischen Gebrauch von je und moi. (43)

Das "Brandenburg-Berlinische Wörterbuch" und andere Literatur, die wir zwischen die Finger bekamen, lassen sich wie folgt bündeln:

Das Alphabet beginnt mit "Icke" und endet mit "Mir kann Keener" (44).

Den Überlieferungen zufolge hatte der Sumpfstädter grundsätzlich das erste Rederecht und das letzte Wort. (45)

Herzensgüte verpackt er sehr sorgfältig und gekonnt in netten Bildern.

Kapitel 4: Meister des Wortduells

"Ich nehme mal so aus dem Bereich der Drohungen, die sind im alten Berlinischen noch immer so recht verbindlich, sehr derb, sehr bildlich, aber man merkt, dass sie eigentlich nicht so grob gemeint ist, nich."

Herr Doktor Wiese, ein "anjelernter" Sumpfstädter.

"Krist eens uff’n Deez, detste durch de Rippen kiekst wie der Affe durch ’t Jitter." (46)

So um 1920. Viel "Tamtam" (47), aber nicht ganz ernst gemeint. Herr Wiese arbeitete am Brandenburg-Berlinischen Wörterbuch mit.

"Een Hieb, und du stehst in’t Hemde da, der zweete Hieb is Leichenschändung."" (48)

Sumpfstädtisch - eine bildhafte Sprache. Damals.

"Dir hau ick eene, dette in keen’ Sarch rinpaßt. (49) Dir stech ick mit ’n jefrornen Waschlappen dot." (50)

Macht heute keiner mehr, also so reden. In "Sumpfsiedeln" (51), vormals Marzahn, und andernorts wird jetzt mehr gehandelt.

"Das sind so nette Drohungen, aber von denen man eigentlich merkt, es passiert nichts. Heute passiert gleich was! Da wird gar nicht mehr gedroht, ja."

4. Merkzettel

Der Deutsche hat gemeinhin so um die 500 Sprüche auf der Pfanne, der Sumpfstädter mag darüber "inwendich" (52) nur milde lächeln. Er ist nicht "mit’n Klammerbeutel jepudert" (53), "ammesiert sich wie Bolle" (54) über "Fannkuchen mit Beene" (55), und wer ihm blöd kommt, den bittet er freundlich: "Spuck mal hin, wo de liejen willst!" (56)

Die Sprache der Großstadt, der Dialekt - Ausdruck von Identität und Selbstbehauptungswillen. In der Zeit des Vormärz war der Zungenschlag die Sprache des Protestes, zu DDR-Zeiten pflegten gar noch Intellektuelle in Ost-Sumpfstadt den linguistischen Protest. Der lokale Typus ist nicht mit "de Fresse uff die Schnauze jefall’n" (57), mag partout nicht wie gedruckt reden … wie Politiker und Zeitungen und so.

Ihm "wird nich imponiert". (58) Auch nicht sprachlich, er ist sein eigener Souverän. Dies definiert schon Verhaltensregel Nummer 1: Der Sumpfstädter "sacht immer mir, ooch wenn’t richtig is". (59) Und nur er weiß seinen "Akkudativ" (60) elegant zu händeln.

Wiewohl, mir müssen kurz innehalten und seiner gedenken. Selten nur stießen wir auf echtes Exemplar der Gattung. Dabei ist es leicht ausmachen. Es faßt sich an die "Plotze" (61), so sich jemand in seiner Umgebung "an" Weihnachten oder "in" 2008 oder "unter" der Woche aufhält. Und bei Spasss hört beim ihm der Spaß auf. "Ooch keen Berlina, wa". (62)

Das Wanderungsproblem wurde uns mental-akustisch vorgeführt. Weniger geografisch, wiewohl die Stadtlage vor 556 Millionen Jahren noch in der heutigen Ost-Antarktis zu orten war. (63) Nein, der Flecken war immer schon ein Ort der Zuzügler, Durchwanderer, Abreisenden - und gelegentlich der Hierbleiber. (64)

Letztere pflegen ausgiebig den Gedanken der Toleranz und der Hilfsbereitschaft. Eine feine Dame aus dem "Dorf des schützenden Kämpfers" (65), auf veralteten Karten Hellersdorf genannt, erzählte uns gar viele Onkel-Fritz-Sprüche, die das bezeugen. Fiel jemand hin, dann pflegte der Onkel Fritz teilnehmend zu äußern: "Komm her, ick heb dir uff". (66)

Intoleranz kennt der gebürtige Sumpfstädter nicht, da bekäme seine "Tapete Jänsehaut" (67). Das Türksprech schätzt er wegen des enormen "lyrischen Potenzials". Beim Schwaben hat er es noch nicht entdeckt. Jedenfalls entnahmen wir dies diversen Aushängen auf dem "Berg der Überlegung und des Ruhmes".

Kapitel 5: Nun sind sie wieder da

"Det jefällt mir ooch, ja. (Lacht)."

Und "nu ran an’n Sarch un mitjeweent" (68) hatten wir unseren Informanten mittleren Jahrganges gebeten.

"Die armen Schwaben. (Lacht)."

Wir haben bei "Bemme" (69) und "Muckefuck" (70) von den Zetteln erzählt, die den Nachfahren der Sueben (71) nahelegten, doch wieder die Heimreise anzutreten.

"Dann wäre in meinem Bekanntenkreis keiner mehr da, der mit bei Umzügen hilft. Und der einzige Dialekt war Schwäbisch uff de Trepp."

Ja, lang ist es her, da siedelten die Sueben auf Sumpfstädter Areal, zogen dann aber weiter und besiedelten, was heute Schwaben heißt. Und nun sind sie wieder da, wo sie nicht blieben … damals.

"Na, so ist det aba: Erst haun se ab und denn kommt die dicke Tante zurück. Wer willn dit? (Lacht)."

Früher bezeichnete der Hiesige derlei als "pucklige Verwandtschaft". (72)

"Am lustigsten war det, eigentlich die größte Schweinerei in Berlin ist, dass der Pfannkuchen jetzt in Berlin schon als Berliner verkooft wird."

Und Herr Klein erzählt dann jene schöne Geschichte, der er auf dem "Berg der Überlegung und des Ruhmes" teilhaftig wurde.

"Sonnabends steht da ’ne Schlange wie zu Ostzeiten beim Bäcker. Und denn kamen irgendwelche Typen rein, kamen wirklich aus allen Bezirken, und hatten sich da angestellt. Und dann meinte der eene zu der Bäckersfrau: Hätt’ gern 10 Schrippen und zwei Berliner. Und da dreht sich die Frau um und meint: Denn suchen se sich eenen aus, hier stehn jenuch rum. (Lacht)."

Im vormaligen "Richardsdorp" (73), es geriet als Rixdorf in Verruf und wurde in Neukölln getauft, fiel ihm auf, dass es nur noch marginale Unterschiede gebe zwischen Antalya und dem "Berg der Überlegung und des Ruhmes".

"Berliner Dialekt haste da ooch nich doll jehört, det war eher Antalya. Dort sitzen alte Leute am Tach und trinken Kaffee, im Prenzlauer Berg sitzen am Tag junge Leute und trinken Kaffee."

Aus den "neuen Bezirken" (74), wie der Ost-Sumpfstädter Westzuzügler sprachlich markiert.

"Im Westteil ist vielleicht Sumpf, wir sind auf Sand gebaut."

Kurzes Nachspiel

Da auf Sumpf, dort auf Sand – egal, einige stadtgewordene Dörfer suchten wir auf, der etymologische "Atlas der wahren Namen" führte uns dorthin. Zum Beispiel nach "Klagedorf" (75), wahrscheinlich von althochdeutsch "kara", "Klage, Kummer, Trauer" abgeleitet, aber als Karow bekannter.

Am "Männerdorf" (76), möglicherweise vom altnordischen "gautar", gleich "Männer", fuhren wir vorbei, also an Gatow. Das "Dorf des harten Schicksals" (77) mieden wir, die Reinickendorfer werden es uns nachsehen.

Wir nahmen den "Atlas der wahren Namen" beim Wort und die Ortsnamen wie -befindlichkeiten bei der Wurzel, bei der Wortwurzel.

Dort, in Sumpfstadt: "Hier is keen Himmel, hier is nur Wetter". (78) Da, über der Sprachinsel, auf der sich immer mehr "Auswärtsche" niederlassen … und irgendwie heimisch fühlen.

"Eine Jeschichte fällt mir noch ein. Und zwar war es zu Ost-Zeiten am Müggelsee. Da war ein riesen Campingplatz. Und Samstags früh war der Konsum auf, und da stand nun das gesamte Campervolk. Eine ätzend lange Schlange. Und plötzlich steht ein Ehepaar in der Schlange und da sagt die Frau zu ihrem Mann: (Sächsisch) 'Du, mir Berliner, mir kriegen nachher gar nischt mehr.' (Lacht herzhaft). Tosendes Gelächter, die Schlange ist bald zusammengebrochen. (Lacht). 'Du, mir Berliner, mir kriegen gar nischt mehr.' (Lacht herzhaft)."

Literatur- und Quellenverzeichnis

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Die Berliner und ihr Witz
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Laverrenz, Victor
Die Denkmäler Berlins und der Volkswitz
Hofmann & Comp., Berlin, 1900

Opprower / Cürlis
Im Spitznamen des Volkes
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Seyfried, Gerhard
Wo soll das alles enden (1)
Rotbuch Verlag, Berlin, 1982

Hinweis: Detailliertes Quellenverzeichnis auf Nachfrage möglich