Japanischer Kinderschänder sucht Belgien heim

Von Frieder Reininghaus |
Der Komponist Kris Defoort, ausgebildet als Barock- und als Jazz-Musiker, wurde 2001 durch eine mit Cross-Over-Musik versehene Video-Kammeroper bekannt: "The Woman Who Walked into Doors" (nach der Novelle von Roddy Doyle). Nun hat er ein zweites Modell experimentellen Musiktheaters zu einem riskanten Thema vorgestellt - am großen Haus der Brüsseler Nationaloper, dem Théatre de la Monnaie.
Wiederum arbeitete er mit dem Librettisten und Regisseur Guy Cassiers zusammen. Die beiden dramatisierten den Roman "Die schlafenden Schönen" von Yasunari Kawabata (1899–1972), 1994 posthum veröffentlicht. Yasunari, Nobelpreisträger des Jahres 1968, beschrieb drei nächtliche Besuche eines gealterten Herrn in einem speziellen Etablissement. Dort können Greise jeweils eine Nacht lang das Bett mit betäubten sehr jungen Mädchen teilen, ohne jedoch mit diesen sexuellen Kontakt haben zu dürfen. Die japanischen Reflexionen und Traumberichte wurden der Einfachheit halber ins Englische gebracht, in Brüssel auf Flämisch und Französisch eingespielt (sie sind also wohl für jedermann verständlich).

Die sexuellen Anregungen erscheinen stets dreifach: einerseits in Gestalt der als Traumfigur auftauchenden vorzüglichen Sopranistin Barbara Hannigan; andererseits per Video-Großaufnahmen auf einer rückwärtigen Projektionsfläche und, darüber angesiedelt, leibhaftig durch die in Laken gehüllte, sich wälzende und sich mühende stumme Darstellerin. Was sich im wirklichen Leben in der Horizontalen abspielt, setzt sie hoch artistisch in die Vertikale um – die Zuschauer sehen ihre bewegte und bewegende Bett-Tätigkeit gleichsam von oben.

Der Alte erscheint gespalten in zwei Persönlichkeiten (Schauspieler und Bariton). Zusammen sind sie Yoshio Euguchi. Den macht die Heimleiterin mit den Usancen des Hauses vertraut. Am Ende der drei kurzen Nächte kocht und serviert sie ihm jeweils Tee – und nur da kommt etwas schlurfende Bewegung in den kontemplativen Handlungsverlauf. Es sind drei Nächte, in denen der alte Herr natürlich ins Nachdenken über sich, sein Leben und Sterben gerät. In den ersten beiden Nächten befällt ihn die Lust, die Regeln zu verletzen. Es treibt ihn, das neben ihm liegende tief schlafende Kind zu entjungfern, später ein anderes zu würgen. In der dritten Nacht wird er mit dem Tod einer – wohl nicht durch Fremdeinwirkung, sondern durch eine Überdosis Schlafmittel verstorbenen – jungen Frau neben sich konfrontiert (die Leiche wird auf belgische Weise diskret entsorgt). Ob die Mädchen mit ihrer Einwilligung zu Diensten liegen, wird vom Regisseur Guy Cassiers und Kris Defoort nicht thematisiert. Die Obszönität der Altmännerphantasien fängt ruhiger Ästhetizismus auf. Wenn kompositorisch die Aura der Barockmusik beschworen wird, dann scheint die Welt dieser Phantasien, dieses Hedonismus, ganz in Ordnung.