Jared Diamond: "Krise: Wie Nationen sich erneuern können"

Wenn ganze Staaten auf die Couch müssen

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Montage: Buchcover von "Krise: Wie Nationen sich erneuern können" und eine US-Flagge, die an einer Straße weht.
Die aktuelle Unfähigkeit zum Kompromiss verhindere wichtige Anpassungen der USA, schreibt Jared Diamond. © S. Fischer Verlag / imago / Norbert Schmidt
Von Volkart Wildermuth · 05.06.2019
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Es gibt individuelle Krisen, denen man mit entsprechender Therapie begegnen kann. Das gilt auch für Staaten, schreibt der Autor Jared Diamond und zeigt zwölf Konzepte zur Bewältigung auf. Die Zukunft sieht er durchaus hoffnungsvoll - aber nicht überall.
Vorweg: "Krise" ist ein Alterswerk. Es überzeugt weniger auf der Ebene einer umfassenden wissenschaftlichen Theorie, als auf dem Feld einzelner Beobachtungen und Analysen. Und die machen natürlich neugierig, wenn der Autor Jared Diamond heißt. Mit über 80 Jahren hat sich der Pulitzerpreisträger eines neuen Themas angenommen: Von Evolutionsbiologie und Biogeographie schreibt er heute über Politik und Geschichte.

Zwölf Konzepte für Krisentherapie

Krisen, so Diamond, erleiden nicht nur Einzelpersonen, sondern Teams, Wirtschaftszweige, Staaten oder die ganze Welt. Und so könne man alle nach ähnlichen Mustern beheben.
Er selbst nutzt zwölf Konzepte aus der individuellen Krisentherapie, um so eine ganze Nation auf die Couch zu legen.
Das Annehmen von Verantwortung, selektive Veränderung, das Zulassen von Hilfe würden auch hier helfen, schreibt er. Und erprobt diesen Ansatz dann am Finnischen Winterkrieg, an der erzwungenen Öffnung Japans, den Diktaturen in Chile und Indonesien, Nachkriegsdeutschland und der asiatischen Wende in Australien.
Das klingt nach einer zufälligen Liste, aber in fast all diesen Ländern hat Jared Diamond länger gelebt und geforscht. Er spricht die Sprachen, kennt die Umstände. So kann er den Umgang mit der jeweiligen Krise nah beleuchten und gleichzeitig zurücktreten, um größere Verbindungen herzustellen.

"Finnlandisierung" gutes Beispiel für gelungene Anpassung

In Finnland etwa hat Diamond ein starkes Nationalgefühl erlebt, eins, das es dem Land 1939 erlaubte, sich lange gegen den sowjetischen Angriff zu behaupten. Später verfolgte das Land einen sehr vorsichtigen Umgang mit der UDSSR und später dann mit Russland. Das wurde als "Finnlandisierung" vielfach geschmäht.
Für Jared Diamond ist das aber Beispiel für eine gelungene selektive Anpassung. Vielleicht wurde die Pressefreiheit gelegentlich eingeschränkt, so der Autor, dafür konnte Finnland im Kern aber ein demokratisches Land bleiben, trotz der langen Grenze mit einem übermächtigen Nachbarn.

Hoffnungsvoller Blick auf Zukunft

Der persönliche Ansatz macht die Berichte spannend und informativ, beschränkt aber zugleich den Blick. So berücksichtigt Jared Diamond, wenn er auf Deutschland schaut, eben nur die westliche Perspektive. Dabei hätte sich hier der Vergleich Marshallplan im Westen mit Reparationen im Osten aufgedrängt.
Im Detail ist "Krise. Wie Nationen sich erneuern könne" immer spannend. Dagegen wirkt der ständige Bezug auf die zwölf Faktoren der Krisenintervention oft mehr angestrengt als erhellend. Da ist es gut, dass Jared Diamond das letzte Drittel seines Buches künftigen Herausforderungen widmet.
Für die USA sieht er schwarz, die aktuelle Unfähigkeit zum Kompromiss verhindere wichtige Anpassungen. Die Zukunft der Welt als Ganzes sieht er dagegen hoffnungsvoller. Schließlich habe die Ausrottung der Pocken oder das FCKW-Verbot gezeigt, dass globales Handeln möglich sei.
"Das Wissen, welche Veränderungen in der Vergangenheit funktioniert haben oder nicht, kann uns als Wegweiser dienen." Und so helfen Diamonds Einzelbeispiele dann auch den Lesern, den Blick auf die aktuelle Politik zu schärfen.

Jared Diamond: "Krise: Wie Nationen sich erneuern können"
übersetzt von Sebastian Vogel und Susanne Warmuth
S. Fischer, Frankfurt/Main 2019
600 Seiten, 26 Euro.

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