Jarett Kobek: Ich hasse dieses Internet
Aus dem Amerikanischen von Eva Kemper
Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2016
366 Seiten, 20 Euro
Wütende Abrechnung mit den Sozialen Medien
Jarett Kobek war bis vor kurzem einer der vielen Thirty-Somethings, die sich in der Kreativszene Kaliforniens durchschlagen. Jetzt rechnet er ab: "Ich hasse dieses Internet" nennt er seinen lakonisch-bissigen Roman - und hat einige Punches parat.
Jarett Kobek kannte bis vor wenigen Monaten noch kein Mensch. Er war einer der vielen Thirty-Somethings, die sich in der Kreativszene Kaliforniens durchschlagen. Dann schrieb Kobek, 38, einen Roman und gab ihm einen ziemlich eingängigen Titel. "Ich hasse dieses Internet" kam in den USA groß heraus. Die deutsche Übersetzung führt nun schon den Status eines Kultbuchs mit sich.
Das liegt weniger am Thema als an der Machart des Buches. In manchen Besprechungen liest man etwas von einem "Wutanfall". Das trifft es aber nicht richtig. Wut schon, aber nicht Anfall. So unerbittlich diese 360-seitige Abrechnung vor allem mit Facebook und Twitter auch ist, sie hat nichts Unkontrolliertes. Jarett Kobek hat sich ganz bewusst auf die Suche gemacht, wie man die sozialen Medien literarisch in den Griff bekommen kann.
Runde Figuren oder Dialoge, in denen das Für und Wider der sozialen Netzwerke erörtert wird, sucht man vergeblich. Die eingeübten Verfahren des realistischen Romans, sogenannte "gute Romane" überhaupt sind für Kobek sowieso nur dazu konstruiert worden, die weiße Mittelklasse am Ruder zu lassen.
Dafür ist Kobek ein Meister der schnellen, verblüffenden Bonmots, mit denen er freigiebig um sich wirft. "Walt Disney war Amerikas beliebtester Antisemit und Rassist" ist so eine Bemerkung. Disney ist einer der Lieblingsgegner Kobeks, weil er das kreative Potential seiner Zeichner und Autoren hemmungslos ausgebeutet hat – so wie Facebook und Twitter, darauf läuft vieles im Roman hinaus, heute die kreative Energie ihrer Mitarbeiter und Benutzer ausbeuten. Egal, was die posten, die Konzerne verdienen am Ende ihr Geld mit Werbung.
Wie die sozialen Medien Existenzen zerstören
Es gibt einen Plot um einen Shitstorm, dem sich die Hauptfigur Adeline ausgesetzt sieht. Es gibt Fallgeschichten von Menschen, in denen die sozialen Medien Existenzen zerstören (sehr bewegend: Ellens Geschichte). Es gibt Einblicke in die Gentrifizierung von San Francisco, wo gutverdienende Google-Mitarbeiter längst die Innenstadt besetzen.
Das Herz des Buches aber ist die kommentierende Erzählspur, auf der die Phänomene so lakonisch wie bissig auf den Punkt gebracht werden: Das Internet ist "intellektueller Feudalismus auf der Basis von technischen Neuerungen, die als Kultur getarnt daherkommen" heißt es, gegen das vermeintlich Egalitäre der neuen Technik gesetzt. Wenn man den neuen Internet-Geldadel betrachtet, mit Facebook-Gründer Mark Zuckerberg an der Spitze, ist da etwas dran.
Dem Internet gegenüber ist Kobek insgesamt natürlich ungerecht. Er lässt einfach alles weg, was nützlich an ihm ist. Aber wer will schon Ausgewogenheit von einem Roman? Zumal wenn er, wie dieser hier, immer wieder einen guten Punch hat. Die Hippies der Sechziger hätten Erleuchtung mit partizipatorischem Kapitalismus verwechselt, schreibt Kobek, und nun werde die Erschaffung neuen Kapitals eben mit dem Narrativ begleitet, das würde "die Welt verändern und Menschen helfen, ihr Potenzial voll zu entfalten". Das ist schon sehr böse.
Es gibt viele gute Kalauer in dem Buch. Besonders gut ist Jarett Kobek aber darin, einen fremden Blick auf so etwas eben nur vermeintlich längst Selbstverständliches wie das Internet zu werfen.