Jaron Lanier: Anbruch einer neuen Zeit. Wie Virtual Reality unser Leben und unsere Gesellschaft verändert
aus dem amerikanischen Englisch von Sigrid Schmid und Heike Schlatterer
Hoffmann und Campe, München 2018
448 Seiten, 25,00 Euro
Virtuelle Realität als Erweiterung der inneren Wahrnehmung
Jaron Lanier, bekannter Kritiker des Silicon Valley, war einer der ersten Pioniere der virtuellen Realität. Was diese für ihn bedeutet, erklärt er, angereichert mit Anekdoten aus der Tech-Welt, in „Anbruch einer neuen Zeit“.
Jaron Lanier ist in der Tech-Branche ein großer Name: Er hat als einer der Ersten zu Beginn der 80er-Jahre virtuelle Realitäten technisch umgesetzt hat – sein Datenhandschuh und die Datenbrille "EyePhone" etwa erlaubten es schon damals, in künstlich erzeugte Welten einzutauchen.
Er ist aber auch einer der Ersten gewesen, die sich kritisch mit dieser neuen Technik auseinander gesetzt haben. Und das macht er bis heute. Erst vor wenigen Monaten riet Lanier Nutzern sozialer Netzwerke, umgehend ihre Accounts zu löschen, da soziale Medien seiner Meinung nach zur "Zersetzung der Menschheit" führen.
Jetzt ist sein neustes Buch erschienen. "Anbruch einer neuen Zeit" heißt es und lässt einen klugen, sehr persönlichen Blick auf diesen Mann zu.
Subjektive Sicht auf das Thema
Denn Jaron Lanier hat eine Art autobiographische Erzählung geschrieben, die er geschickt mit theoretischen Erklärungen und philosophischen Betrachtungen über die Wirkungsweise virtueller Realitäten verwebt. Dabei betont der US-Amerikaner immer wieder: Ihm gehe es um seine subjektive Sicht auf das Thema. Und genau diese Offenherzigkeit macht dieses Buch berührend und spannend.
Denn offen wie nie zuvor lässt der US-Amerikaner einen Blick auf sein Innerstes zu. Etwa, wie er getrieben ist von Einsamkeit und vom Schatten der Vergangenheit. Ein Teil seiner Familie wurde im Holocaust ermordet. Seine Mutter starb früh bei einem Autounfall. In der Schulklasse im mexikanischen Ciudad Juárez war Jaron Lanier ein Außenseiter. Schnell versteht man so, wie daraus die Sehnsucht nach einer anderen Welt entstand und was sich Lanier von ihr erwartete.
Äußerst unterhaltsam hingegen liest sich seine Zeitreise ins Silicon Valley, als dort vom späteren Reichtum noch nichts zu sehen war und Hacker noch im Imbiss naiv über ihren Einstieg ins Computerbusiness diskutierten.
Anekdoten aus dem Silicon Valley
Lanier stellt eine solche Diskussion nach. Er kam in den 80er-Jahren ins Tal und fand, anfangs noch ein Exot, bald weitere "Verrückte" für sein VR-Startup "VPL Research". Die Diskussionen um die Ausrichtung der Firma, der ständige Kampf gegen zu langsame Computer, die Konfrontation mit windigen Geschäftsleuten und schließlich sein Ausstieg Anfang der 90er – bei all dem klingt auch immer durch, wie er dabei zu dem Kritiker geworden ist, als den man ihn heute kennt.
Der für das aufstrebende Silicon Valley typische "Männlichkeitswahn" der "Wirtschaftsführer" lag ihm einfach nicht, bekennt er freimütig. Aber auch Laniers Verständnis von Virtueller Realität hat nichts mit dem Machtstreben der Tech-Eliten zu tun, die den Menschen am liebsten durch Algorithmen ersetzen würden.
Über 50 Definitionen davon, was Virtuelle Realität ist, trägt er zusammen. Die wichtigste: Virtuelle Realität brauche den Menschen, denn immer gehe es um die Erweiterung der inneren Wahrnehmung mithilfe technischer Mittel. Dieser Blick, der den Menschen nicht als Anhängsel von Technik begreift, zieht sich wohltuend durch das ganze Buch. Gut aber auch, dass es einem den Menschen Jaron Lanier nahe bringt.