Jasmin für No. 5
Kaum ein Parfümhersteller nutzt noch natürliche Rohstoffe. In der ehemaligen Parfümpflanzen-Hochburg Grasse baut noch ein einziger Hersteller Jasmin an - dank eines Exklusivvertrages mit Chanel. Für das berühmte "No. 5" pflücken etwa 60 Menschen von August bis Oktober mühsam kiloweise Blüten.
Es kitzelt in der Nase. Ein süßer Duft, blumig. Er wird stärker, durchtränkt die Luft. Jetzt erst tauchen die hüfthohen Sträucher auf, sie sind mit weißen Blüten übersäht. Jasmin. Ein ganzes Feld, inmitten der Talsohle südlich von Grasse. Ein alter Mann mit karierter Schiebermütze geht die Hecken ab: Joseph Mul ist der Besitzer der Plantage:
"Die Knospen platzen in der Nacht auf. Morgens früh müssen wir sie möglichst rasch einsammeln, bevor sie vom Wetter angegriffen werden und die Blüte ihre flüchtigen Duftstoffe verliert."
Etwa 60 Menschen, überwiegend Frauen, arbeiten in gebückter Haltung auf dem Feld. Viele tragen geblümte Kittel und Kopftücher, auf die sie noch einen Strohhut gesetzt haben, um sich vor der Sonne zu schützen. Sie werfen die Blüten in einen Korb. Das sieht malerisch aus, aber die Gesichter sind müde: Sechs Stunden Pflücken am Tag - da schmerzt der Rücken. Mul begrüßt seine Leute.
"Alles in Ordnung? Die Blüte ist ein bisschen trocken heute früh, nicht wahr? Der Wind hat sie versengt ... Nun ja, nächste Nacht gehen wieder neue Knospen auf ..."
Der 73-Jährige zupft eine Blüte ab. Sie ist klein und unscheinbar:
"Diese Ernte, das ist Ameisenarbeit! Die besten Pflückerinnen schaffen zwischen 300 und 800 Gramm pro Stunde. Wenn man weiß, dass wir für einen halben Liter "Essence Absolue", also für den reinen Jasminextrakt, 330 Kilo Blüten brauchen, dann kann man sich vorstellen, wie teuer dieser Rohstoff ist."
Mul hat Glück. Sein Absatz ist gesichert, egal wie teuer der Anbau kommt. Die Kollegen haben es nicht so gut. Der Blumenzüchter deutet in die weite Landschaft: Über Tal und Hügel verstreut - überall sind neue Häuser zu sehen. Bis in die 1940er Jahre waren auch dort Felder. Damals wurde in Grasse noch der gesamte Jasmin für die französische Parfümindustrie angebaut, sagt er. Doch steigende Lohnkosten und teure Bodenpreise führten dazu, dass die Ländereien verkauft wurden:
"In Grasse ist die Jasminproduktion weitgehend verschwunden. Ein neuer Parfümhersteller würde hier keinen Jasmin mehr bekommen. Dass mein Unternehmen heute noch dreieinhalb Hektar Jasmin anbauen kann, habe ich allein dem Haus Chanel zu verdanken."
Um sich den Jasmin aus der Provence zu sichern, hat Chanel vor über 30 Jahren einen Exklusivvertrag mit der Firma Mul geschlossen: Seither baut der Landwirt so viel Jasmin und auch Mairose an, wie der Modekonzern braucht, um sein ältestes Parfüm herzustellen: Chanel Nummer 5. Denn der Klassiker wird auch heute noch mit denselben Ingredienzien hergestellt wie vor 91 Jahren.
Es ist 13 Uhr. Die Pflückerinnen stellen sich mit ihren Körben vor einem kleinen Betonbau auf, um ihre Tagesernte wiegen zu lassen, der süße Duft erfüllt den kahlen Raum. Joseph Mul steht hinter einem Laptop und notiert das Gewicht. Sein Schwiegersohn händigt jeder Frau eine Art Kassenzettel aus, auf dem ihr Ertrag notiert ist.
Die Erträge schwanken zwischen 1,4 Kilogramm und etwas über zwei Kilo. Ein Mann mittleren Alters schaut beim Wiegen zu. Christopher Sheldrake, schlank, die blonden Haare hat er aus der Stirn gekämmt. In nachtblauem Polohemd und schmaler Hose sieht er schlicht und elegant aus. Der Brite ist Parfümeur bei Chanel, er ist aus Paris angereist:
"Ich komme zweimal im Jahr nach Grasse. Im Frühling, wenn die Mairose blüht, und im Sommer zur Jasminernte. Es ist wichtig, dass ich regelmäßig mit Joseph Mul und den anderen Experten vor Ort spreche. Wir nehmen hier immer wieder neue Projekte in Angriff, um die natürlichen Rohstoffe noch besser verarbeiten zu können."
Sheldrake leitet die Forschungs- und Entwicklungsabteilung der Parfümerie des Hauses. In seiner Branche, sagt er, spielen synthetische Moleküle eine immer größere Rolle. Denn meistens sind sie billiger und leichter erhältlich als natürliche Moleküle. Und: Die synthetischen Duftbausteine besitzen Nuancen, die es in der Natur nicht gibt. Dadurch verleihen sie den Parfümeuren unendlich große Gestaltungsfreiheit. Auch in "Chanel Nummer 5" sind synthetische Inhaltsstoffe enthalten:
"Das Parfüm ist ein Akkord aus Jasmin, Mairose und Ylang Ylang. Diese drei Blumen bilden ein reichhaltiges Bouquet. Hinzu kommen Vanille, Sandelholz, Vetiver und, ganz wichtig, die Aldehyde. Sie geben diesem Parfüm einen abstrakten Charakter. Das war damals, als es kreiert wurde, die große Neuheit."
Der Parfümeur geht in eine kleine Fabrik am Rand der Blumenfelder. Dort beobachtet er, wie der Betreiber der Anlage die wertvollen Jasminblüten in einen Tank schüttet und dann mit einer Heugabel in dem Haufen stochert, bis die Blüten gleichmäßig verteilt sind. Anschließend wird der Jasmin in einem Lösungsmittel gebadet, an das er Riechstoffe und Blütenwachs abgibt. 24 Stunden später sind die einst weißen Blüten eine ausgelaugte bräunliche Masse und enden im Müll. Das Lösungsmittel aber wird im Kessel erhitzt, bis es verdampft.
Um zu zeigen, was dann passiert, zieht Sheldrake eine kleine Dose aus der Tasche: Sie enthält eine hellbraune wachsartige Masse. Das ist das so genannte Concrète. Eine solche Paste aus ätherischem Öl und Wachs sammelt sich im Kessel an. Wenn genug Concrète zusammen gekommen ist, wird das Wachs mit Alkohol herausgelöst. So entsteht die "Essence Absolue", reiner Jasminextrakt:
"Ohne natürliche Rohstoffe wäre Chanel Nummer 5 nicht das, was es ist. Denn die Natur besitzt eine Magie, die wir bei den synthetischen Duftstoffen nie erreichen können. Und was den Jasmin betrifft: Der Jasmin aus Grasse hat eine Duftnote, die man sonst nicht findet. Ich sage nicht, dass er besser ist, nur anders: der Duft ist süßer, reicher, wärmer und abgerundeter."
Ein Liter Jasminessenz aus Grasse kostet vierzigtausend Euro. Damit ist das "Absolue" fast so teuer wie Gold.
"Die Knospen platzen in der Nacht auf. Morgens früh müssen wir sie möglichst rasch einsammeln, bevor sie vom Wetter angegriffen werden und die Blüte ihre flüchtigen Duftstoffe verliert."
Etwa 60 Menschen, überwiegend Frauen, arbeiten in gebückter Haltung auf dem Feld. Viele tragen geblümte Kittel und Kopftücher, auf die sie noch einen Strohhut gesetzt haben, um sich vor der Sonne zu schützen. Sie werfen die Blüten in einen Korb. Das sieht malerisch aus, aber die Gesichter sind müde: Sechs Stunden Pflücken am Tag - da schmerzt der Rücken. Mul begrüßt seine Leute.
"Alles in Ordnung? Die Blüte ist ein bisschen trocken heute früh, nicht wahr? Der Wind hat sie versengt ... Nun ja, nächste Nacht gehen wieder neue Knospen auf ..."
Der 73-Jährige zupft eine Blüte ab. Sie ist klein und unscheinbar:
"Diese Ernte, das ist Ameisenarbeit! Die besten Pflückerinnen schaffen zwischen 300 und 800 Gramm pro Stunde. Wenn man weiß, dass wir für einen halben Liter "Essence Absolue", also für den reinen Jasminextrakt, 330 Kilo Blüten brauchen, dann kann man sich vorstellen, wie teuer dieser Rohstoff ist."
Mul hat Glück. Sein Absatz ist gesichert, egal wie teuer der Anbau kommt. Die Kollegen haben es nicht so gut. Der Blumenzüchter deutet in die weite Landschaft: Über Tal und Hügel verstreut - überall sind neue Häuser zu sehen. Bis in die 1940er Jahre waren auch dort Felder. Damals wurde in Grasse noch der gesamte Jasmin für die französische Parfümindustrie angebaut, sagt er. Doch steigende Lohnkosten und teure Bodenpreise führten dazu, dass die Ländereien verkauft wurden:
"In Grasse ist die Jasminproduktion weitgehend verschwunden. Ein neuer Parfümhersteller würde hier keinen Jasmin mehr bekommen. Dass mein Unternehmen heute noch dreieinhalb Hektar Jasmin anbauen kann, habe ich allein dem Haus Chanel zu verdanken."
Um sich den Jasmin aus der Provence zu sichern, hat Chanel vor über 30 Jahren einen Exklusivvertrag mit der Firma Mul geschlossen: Seither baut der Landwirt so viel Jasmin und auch Mairose an, wie der Modekonzern braucht, um sein ältestes Parfüm herzustellen: Chanel Nummer 5. Denn der Klassiker wird auch heute noch mit denselben Ingredienzien hergestellt wie vor 91 Jahren.
Es ist 13 Uhr. Die Pflückerinnen stellen sich mit ihren Körben vor einem kleinen Betonbau auf, um ihre Tagesernte wiegen zu lassen, der süße Duft erfüllt den kahlen Raum. Joseph Mul steht hinter einem Laptop und notiert das Gewicht. Sein Schwiegersohn händigt jeder Frau eine Art Kassenzettel aus, auf dem ihr Ertrag notiert ist.
Die Erträge schwanken zwischen 1,4 Kilogramm und etwas über zwei Kilo. Ein Mann mittleren Alters schaut beim Wiegen zu. Christopher Sheldrake, schlank, die blonden Haare hat er aus der Stirn gekämmt. In nachtblauem Polohemd und schmaler Hose sieht er schlicht und elegant aus. Der Brite ist Parfümeur bei Chanel, er ist aus Paris angereist:
"Ich komme zweimal im Jahr nach Grasse. Im Frühling, wenn die Mairose blüht, und im Sommer zur Jasminernte. Es ist wichtig, dass ich regelmäßig mit Joseph Mul und den anderen Experten vor Ort spreche. Wir nehmen hier immer wieder neue Projekte in Angriff, um die natürlichen Rohstoffe noch besser verarbeiten zu können."
Sheldrake leitet die Forschungs- und Entwicklungsabteilung der Parfümerie des Hauses. In seiner Branche, sagt er, spielen synthetische Moleküle eine immer größere Rolle. Denn meistens sind sie billiger und leichter erhältlich als natürliche Moleküle. Und: Die synthetischen Duftbausteine besitzen Nuancen, die es in der Natur nicht gibt. Dadurch verleihen sie den Parfümeuren unendlich große Gestaltungsfreiheit. Auch in "Chanel Nummer 5" sind synthetische Inhaltsstoffe enthalten:
"Das Parfüm ist ein Akkord aus Jasmin, Mairose und Ylang Ylang. Diese drei Blumen bilden ein reichhaltiges Bouquet. Hinzu kommen Vanille, Sandelholz, Vetiver und, ganz wichtig, die Aldehyde. Sie geben diesem Parfüm einen abstrakten Charakter. Das war damals, als es kreiert wurde, die große Neuheit."
Der Parfümeur geht in eine kleine Fabrik am Rand der Blumenfelder. Dort beobachtet er, wie der Betreiber der Anlage die wertvollen Jasminblüten in einen Tank schüttet und dann mit einer Heugabel in dem Haufen stochert, bis die Blüten gleichmäßig verteilt sind. Anschließend wird der Jasmin in einem Lösungsmittel gebadet, an das er Riechstoffe und Blütenwachs abgibt. 24 Stunden später sind die einst weißen Blüten eine ausgelaugte bräunliche Masse und enden im Müll. Das Lösungsmittel aber wird im Kessel erhitzt, bis es verdampft.
Um zu zeigen, was dann passiert, zieht Sheldrake eine kleine Dose aus der Tasche: Sie enthält eine hellbraune wachsartige Masse. Das ist das so genannte Concrète. Eine solche Paste aus ätherischem Öl und Wachs sammelt sich im Kessel an. Wenn genug Concrète zusammen gekommen ist, wird das Wachs mit Alkohol herausgelöst. So entsteht die "Essence Absolue", reiner Jasminextrakt:
"Ohne natürliche Rohstoffe wäre Chanel Nummer 5 nicht das, was es ist. Denn die Natur besitzt eine Magie, die wir bei den synthetischen Duftstoffen nie erreichen können. Und was den Jasmin betrifft: Der Jasmin aus Grasse hat eine Duftnote, die man sonst nicht findet. Ich sage nicht, dass er besser ist, nur anders: der Duft ist süßer, reicher, wärmer und abgerundeter."
Ein Liter Jasminessenz aus Grasse kostet vierzigtausend Euro. Damit ist das "Absolue" fast so teuer wie Gold.