Jasmina Kuhnke: „Schwarzes Herz“

Ein Buch und seine Fangemeinde

06:37 Minuten
Das Buchcover von Jasmina Kuhnkes "Schwarzes Herz" vor einem orangefarbenen Hintergrund.
Unsere Rezensentin hat "Schwarzes Herz" mit gemischten Gefühlen gelesen. © Deutschlandradio/ Rowohlt
Von Miriam Zeh |
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Literaturkritik kann nicht alles erklären. Der Debütroman von Jasmina Kuhnke wirkt trotz Schwächen in Stil und Aufbau. Denn die Autorin stilisiert Schreiben zur Selbstermächtigung und ermutigt zur Identifikation.
Auf der Frankfurter Buchmesse sagte sie alle Veranstaltungen zu ihrem Debütroman ab. Trotzdem steigt "Schwarzes Herz" jetzt auf Platz 20 der Spiegel-Bestseller-Liste ein. Ein aufsehenerregendes Buch also? Ja und nein. Denn es lebt in erster Linie von der starken Präsenz seiner Autorin. Daran ändert auch die Gattungsbezeichnung "Roman" wenig.

Junge Mutter erlebt häusliche Gewalt

Jasmina Kuhnke erzählt von einer jungen Mutter, die sich aus häuslicher Gewalt befreit. Sie verlässt den Vater ihrer beiden Kinder, der sie über Jahre hinweg tyrannisiert und schlägt. Immer wieder finden sich drastische Beschreibungen dieser Gewalt. Durchbrochen ist die Gegenwart der Ich-Erzählerin von Erinnerungen an ihre Kindheit. Anfang der 90er-Jahre wächst sie als schwarze Tochter einer Serbokroatin in Duisburg auf. Ihr Vater kommt aus Gambia, ihn aber lernt sie nie kennen. Als einzige schwarze Person in ihrem Umfeld sieht sie sich rassistischen Ausgrenzungen und Anfeindungen ausgesetzt, auch aufgrund ihrer prekären sozialen Herkunft. Die Mutter muss ihre Familie lange Zeit allein als Krankenschwester durchbringen.

Bekenntnistext mit handwerklichen Mängeln

Kuhnke hält ihren Roman durchweg im Stil eines bekenntnishaften Textes. Fast zu offensichtlich scheinen die Überschneidungen von Romanfigur und realer Autorin. Sprachlich kann dieser Text allerdings nicht überzeugen. Immer wieder fallen ungelenke Formulierungen auf. Zum Vergleich dient das Naheliegende, wenn vom beutereißenden Wolf und dem "aufgescheuchten Reh" die Rede ist. In der Konstruktion finden sich ungenaue Bezüge, Redundanzen. Aber solche stilistischen und handwerklichen Schwächen reichen nicht aus, um das Buchphänomen zu beschreiben.

Eine Frau schreibt sich frei

Die Wirkung von Jasmina Kuhnkes Roman, jene ausgestellte Fangemeinde, die man derzeit auf Twitter oder Instagram beobachten kann, hängt vor allem mit der Funktion zusammen, die das Schreiben im Buch einnimmt. Für die Ich-Erzählerin bedeutet es Selbstermächtigung. "Ich schreibe mich frei" heißt es am Ende des Romans, "Schreibe mein Leben neu." In einer Vorbemerkung lädt die Autorin explizit zur Identifikation mit diesem Narrativ ein: "Ich schreibe, um anderen Frauen* Hoffnung zu geben, damit sie sich nicht schämen und sich ihrem Schicksal ergeben. […] Ihr, die unterdrückt werden, deren Seelen und Herzen schwarz sind: In euch steckt so viel Kraft."

Gemeinschaft ums Buch

In Kuhnkes Roman wird ein klares Weltbild vermittelt. Gutes und böses, rassistisches und solidarisches Personal sind deutlich voneinander unterschieden. Wer ein Selfie mit diesem Roman postet oder ein Tweet dazu absetzt, macht sich zum Teil einer Gemeinschaft. Der Literaturwissenschaftler Moritz Baßler spricht von "Stilgemeinschaften", die sich zusammenfinden und einander in ihren Ansichten bestärken. Wie vehement die Abgrenzung nach Außen stattfindet und welche Rolle dabei das Zerrbild einer akademisch geprägten und weißen Literaturkritik spielt, wird sicherlich noch On- und Offline-Diskussionen füllen.
Denn in jedem Fall gilt: Kuhnkes Roman ist in seiner engagierten Rezeption kein Einzelfall. Allein mit literaturkritischen Wertungskriterien ist diesem Gegenwartsphänomen nicht beizukommen. Es brauch die soziologische Öffnung des Blicks, um diese Literatur in ihrer Besonderheit zu beschreiben.

Jasmina Kuhnke: "Schwarzes Herz"
Rowohlt Verlag, Hamburg 2021
208 Seiten, 20 Euro

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