Zum ersten Mal auf der großen Weltbühne
Am 13. November 1974 erlebte die UN-Vollversammlung eine Premiere: Zum ersten Mal trat mit Jassir Arafat ein Politiker ans Rednerpult, der nicht als Staats- oder Regierungsvertreter sprach. Der Mitbegründer und Anführer der PLO erntete stürmischen Applaus.
Als Jassir Arafat am Vormittag des 13. Novembers 1974 seine Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York hielt, bot sich den Zuhörern ein ungewöhnlicher, aus den Medien freilich längst vertrauter Anblick: Der PLO-Chef trat mit Palästinenser-Kopftuch, Sonnenbrille, Freischärler-Jacke und Pistolenhalfter ans Mikrofon. Nur die sonst üblichen Bartstoppeln fehlten.
Arafats Auftritt vor der UNO war in mehrerer Hinsicht ein Novum: Die Vollversammlung, normalerweise ein Staatspräsidenten, Regierungschefs und Ministern vorbehaltenes Forum, begrüßte erstmals den Anführer einer Befreiungsbewegung. Jassir Arafat konnte damit auf diplomatischem Parkett einen Erfolg verbuchen, der den Palästinensern bei ihrem jahrzehntelangen Kampf um staatliche Anerkennung versagt geblieben war.
"Die Resolution des Komitees für Palästina wurde mit 33 Stimmen angenommen, 13 dagegen, und 10 Enthaltungen."
Im November 1947 hatte sich die UNO für die Teilung des britischen Mandatsgebiets Palästina in einen jüdischen und einen arabischen Staat ausgesprochen; ein Plan, der statt zu einer Zweistaatenlösung zu jahrzehntelangen Kriegen, Flüchtlingswellen, Okkupationen und Terroranschlägen im Nahen Osten führte. Um auf die katastrophale Lage des eigenen Volkes aufmerksam zu machen, verübte die 1964 entstandene Palästinensische Befreiungsorganisation unter ihrem Anführer Jassir Arafat zahlreiche blutige Attentate, die sich auch gegen Zivilisten richteten. Der israelische Ministerpräsident Yitzak Rabin erklärte Anfang November 1974 im israelischen Parlament:
"Die israelische Regierung wird nicht mit Terrororganisationen verhandeln, deren erklärte Politik darin besteht, die Zerstörung Israels anzustreben und deren Methoden terroristische Gewalttaten sind."
Zu dem Zeitpunkt hatte die PLO - mit Unterstützung der Sowjetunion und der Arabischen Liga - bereits eine diplomatische Offensive für einen eigenen palästinensischen Staat eingeleitet. Eine große Mehrheit der UN-Mitglieder votierte für einen Auftritt Arafats vor der Vollversammlung; nur vier Mitglieder, darunter Israel und die USA, stimmten dagegen.
Als Jassir Arafat in New York ankam, herrschte höchste Alarmbereitschaft. 1.000 Polizisten schützten den PLO-Chef, weil die radikale Jewish Defense League gedroht hatte, er werde New York nicht lebend verlassen. Aber Arafat erreichte unbehelligt das UN-Hauptquartier, wo ihn der Präsident der Vollversammlung, der Algerier Abd al-Aziz Bouteflika, als "Oberkommandierenden der palästinensischen Revolution" begrüßte.
In seiner anderthalbstündigen Rede beteuerte Arafat, nichts gegen die Juden zu haben, er leugnete aber das Existenzrecht Israels und forderte die Gründung eines säkularen palästinensischen Staates für Christen, Juden und Moslems. Seine Ansprache endete mit den Worten:
"Ich bin hierher gekommen mit einem Ölzweig in der einen und der Waffe des Freiheitskämpfers in der anderen Hand. Man lasse nicht den Ölzweig aus meiner Hand fallen. In Palästina hat der Krieg begonnen, und deshalb wird der Frieden auch in Palästina gewonnen werden. Danke."
Arafat bekam stürmischen Applaus. Ein israelischer Diplomat urteilte über den Auftritt, die Rede habe auf ihn gewirkt, als ob der Gangsterboss Al Capone vor dem obersten amerikanischen Gericht über Anstand und Moral dozieren würde. Und Israels UN-Botschafter Joseph Tekoa erklärte:
"Israel wird dafür sorgen, dass die PLO nicht an diplomatischen Bemühungen beteiligt wird."
Die politische Entwicklung verlief anders: Die PLO erhielt einen Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen, Arafat erkannte das Existenzrecht Israels indirekt an, die PLO und Israel führten Friedensverhandlungen, und Arafat erhielt, gemeinsam mit den Israelis Shimon Peres und Yitzak Rabin, den Friedensnobelpreis. All dies führte bis heute jedoch nicht zu einer dauerhaften Lösung des Nahostkonflikts.