Shai Maestros Sinn für poetische Kraft
Mit "The Dream Thief" veröffentlichte der Pianist Shai Maestro 2018 sein erstes Album für das legendäre Münchner ECM Label: Ein Hochgenuss zwischen poetischer Meditation und politischem Statement - für unseren Kritiker ein Musik-Höhepunkt des Jahres.
Der Pianist Shai Maestro wurde 1987 in Israel geboren, lebt aber seit 2009 in der Jazz-Metropole New York und kann schon jetzt einige beachtliche Projekte und Aufnahmen vorweisen. Seinen Platz in der Jazzwelt erspielte er sich in der Band des Bassisten Avishai Cohen, mit dem er weltweit unterwegs war. Mittlerweile liegt sein Fokus auf dem eigenen Piano-Trio, mit dem er nun das Album "The Dream Thief" veröffentlicht hat, mit dem er zugleich sein Debüt für das renommierte Jazzlabel ECM aus München vorlegt.
"The Dream Thief" ist das Jazz-Album des Jahres - zumal Shai Maestro dem schon arg strapazierten Format des Piano-Trios tatsächlich noch etwas Neues hinzugefügt hat - und das mit einem einfachen, wenn auch manchmal nicht ganz einfach umzusetzenden Ansatz.
Seine Musik ist unaufgeregt anziehend
Shai Maestro sagt, ihm habe kürzlich das Erlernen einer neuen Atemtechnik die Augen geöffnet und dabei geholfen, seinen eigenen Weg zu gehen und sich selbst zu vertrauen. Verstärkt wurde diese Erkenntnis durch die Begegnung mit seinem neuen Produzenten: Manfred Eicher. Dieser setzt seit Jahrzehnten auf einen aufgeräumten Sound und auf die Essenz des persönlichen Ausdrucks:
"In der heutigen Musikindustrie geht es vor allem darum, die Menschen zu überfrachten. Es geht darum, so schnell wie möglich Deine Aufmerksamkeit zu erlangen. Im Zeitalter der sozialen Medien ist die Aufmerksamkeitsspanne verloren gegangen. Manfred Eicher wiederum kommt von der ganz anderen Seite. Er sagt: Wenn mich jemand mit zu vielen Dingen überhäuft und zu viele Noten spielt, habe ich den Impuls, mich davor schützen zu müssen. Er meint: 'Spiel weniger und lass dem Hörer die Chance, sich Dir zu nähern.' Die Noten, mit denen Du dieses Stück begonnen hast, sind so tiefgründig und haben so ein schönes israelisch-arabische Prägung. Und damit schaffst Du genau das Mystische, das wir wollen, damit der Hörer ein aktiver Hörer bleibt. Das war sehr lehrreich für mich."
Shai Maestro erzeugt in seiner Musik eine große poetische Kraft und eine große Schönheit und steht damit ganz in der Tradition von Musikern wie Keith Jarrett oder Charlie Haden. Eingearbeitet in sein neues Album sind auch drei Solo-Stücke, die der Pianist eigentlich nur als Fingerübung im Studio gespielt habe, ohne zu wissen, dass sie überhaupt aufgenommen werden. Die ihm ganz unbekümmert von der Hand gingen und vielleicht genau deswegen so unaufgeregt anziehend sind.
Statement gegen die Waffengesetze in den USA
Beim letzten Stück des neuen Albums verwendet Shai Maestro eine Rede von Barack Obama, die dieser 2012 im Weißen Haus nach einem schrecklichen Amoklauf an einer Schule in Newtown, gehalten hatte, bei dem unter anderem die sechs-jährige Tochter des mit Shai Maestro befreundeten Saxofonisten Jimmy Greene getötet wurde
"What else needs to happen" – ein Statement Shai Maestros gegen die Waffengesetze in den USA. Darüber hinaus ist sich der Pianist bewusst, dass es nicht einfach ist mit seiner ansonsten instrumentalen Musik politische Botschaften zu verbreiten, obwohl er selbst ein sehr politischer Mensch sei.
Ein besonderes Album
Das Zentrum seines neuen Albums "The Dream Thief" bilden ansonsten ganz eindeutig die Trio-Stücke. Dabei vertraut Maestro auf seinen langjährigen Bassisten Jorge Roeder, der eigentlich aus der Avantgarde-Ecke kommt, ebenfalls die Komplexität eher in der Einfachheit sucht und findet - und auf den erst 24-jährigen Schlagzeuger Ofri Nehemya, der nicht nur die rhythmische, sondern auch die melodiöse Feinheit dieser Aufnahme auf beeindruckende Art und Weise unterstreicht.
Daumen hoch für dieses besondere Album.
Das gesamte Album auf Youtube-Music: