Hier wird Jazzgeschichte geschrieben
"Jazz at Berlin Philharmonic" findet bereits zum neunten Mal in der Philharmonie statt. Es startete als musikalisches Experiment, Ausgang unvorhersehbar - und wuchs sich zu einer echten Erfolgsgeschichte aus.
"Ich habe mich bewusst erinnert an den großen Vorgänger Norman Granz, der es ja tatsächlich geschafft hat, den Jazz aus den Kellern auf die großen Konzertbühnen der Welt zu bringen und sein Konzept war immer, dass er Musiker in Konstellationen auf die Bühne gebracht hat, in denen sie normalerweise nicht spielten und das war auch die Idee für Jazz at Berlin Philharmonic."
2012 beschloss der Gründer des Jazzplattenlabels ACT Siggi Loch, diese gut 70 Jahre alte Idee zusammen mit den Berliner Philharmonikern wieder aufzugreifen. Das erste Konzert, das die drei Pianisten Leszek Możdżer, Iiro Rantala und Michael Wollny in wechselnden Konstellationen bestritten, war ein voller Erfolg, wie sich Michael Wollny erinnert:
"Das war natürlich überwältigend. Ich glaube, erstens mal die Atmosphäre vor Ort, die einfach von 1200 Leuten ausgeht, vor allem auch in der Architektur des Kammermusiksaal, die ja so wie eine Arena gebaut ist, dass man quasi vom Publikum umgeben ist. Das ist eine sehr intensive Spielsituation, hatte ich in dieser Form noch nie so erlebt, so eine intensive Situation als Solokonzert."
Auch der Intendant der Berliner Philharmoniker war nach dem ersten Abend begeistert:
"Das Haus war ausverkauft und die Leute standen auf den Stühlen und das war wirklich ein tolles Konzert. Da haben wir gesagt, das machen wir jetzt weiter. Wobei wir eine klare Position vertreten: es muss ein einmaliges Konzert sein. Es ist wirklich für dieses Haus für diesen Abend zusammengestellt, quasi komponiert und geht dann auch nicht woandershin und das ist die Idee hinter dieser Reihe und jetzt kann man sagen, es ist fest etabliert."
Eine norwegische Nacht und ein polnischer Abend
Als Kurator ist Siggi Loch für die Auswahl der Künstler und der Themen verantwortlich. So gab es nach der rauschenden Klaviereröffnung unter anderem eine norwegische Nacht und einen polnischen Abend, ein Konzert, das dem Cool-Jazz gewidmet war und ein Akkordeon-Treffen.
"Ich habe bis jetzt in jedem Fall den Musikern eine Vorschlagsliste gemacht, wie ich das Programm sehe und da muss ich mit denen diskutieren, wie die das dann sehen und dann führt es dazu, dass wir möglicherweise den einen oder anderen Titel ändern, aber wir bleiben im Endeffekt bei meinem roten Faden, den ich mir überlegt habe für das Konzert."
Immer wieder sind auch Musiker der Berliner Philharmoniker mit dabei. Intendant Martin Hoffmann:
"Und denen macht das natürlich irre Spaß. Es sind nicht alle Musiker des Hauses jazzaffin, aber wir haben einige, die ganz begeistert mitmachen, die wirklich neugierig sind und fragen, was macht ihr und können wir wieder mitmachen und ich würde gerne - und das funktioniert und ist sehr akzeptiert auch."
Nicht immer gelingt es Kurator Siggi Loch, die gewünschten Musiker für seine Konzertreihe zu gewinnen. Schon mancher Wunschkandidat wie der französische Akkordeonspieler Richard Galliano hat abgelehnt. Für 2000 Euro am Abend wollte er nicht spielen. Probleme gab es auch, weil Musiker bei einer anderen Plattenfirma unter Vertrag stehen und deswegen absagten. Nicht weniger schwierig ist es, die Genehmigung der Künstler zu bekommen, das Konzert auf Platte zu bannen. Beispiel Norwegian Wood, ein phantastisches Konzert mit norwegischen Musikern, unter anderem mit dem Keyboarder Bugge Wesseltoft, der Sängerin Solveig Sletterhjell und dem Trompeter Mathias Eick.
"So, dann haben wir mit allen gesprochen, gesagt, nicht wahr, wir nehmen das auf. Dann machen wir auch eine Platte. Alle waren einverstanden. Die kamen mit einer ungeheuren Begeisterung hierher. Das war ein tolles Konzert und nach dem Konzert haben sie alle gesagt, wir müssen eine Platte machen, das muss eine Platte geben. Das ist unglaublich, was hier passiert ist. Ja, dann kam ein paar Tage später eine Mail von Matthias Eick. 'I'm sorry, ich bin ECM-Künstler, geht nicht.' Dann habe ich geschrieben: 'Sorry, das ist okay. Wir haben die Vereinbarung gehabt, dass, wenn nicht alle einverstanden sind, können wir es nicht machen.' Dann sind aber die Kollegen, die anderen: das kann nicht wahr sein. Also er hat einen Titel alleine, den müssen wir nicht nehmen, der spielt dann noch mit auf drei Titeln, spielt er ein Solo, das müsste doch gehen, sagt er, 'No'. Das Problem ist dann, dass die anderen, die norwegischen Kollegen von Matthias gesagt haben, dann schneiden wir das raus und die Platte ist erschienen ohne den Beitrag von Matthias."
Schon Wochen vorher ausverkauft
Sieben der acht Konzerte waren schon Wochen vorher ausverkauft und zwar ganz ohne Werbung, ohne Plakate. Jetzt wagt man den Sprung aus dem kleinen Saal in die große Philharmonie nicht zuletzt, weil die weit über Berlin hinaus bekannten zwölf Cellisten der Berliner Philharmoniker mit von der Partie sind. Sie kennen das Thema bereits: Monteverdi meets Morricone, denn einige Filmkompositionen Morricones haben die Cellisten schon mal eingespielt. Diesmal allerdings hat der norwegische Komponist und Bigbandleiter Geir Lysne die Arrangements geschrieben. Mit den Cellisten auf der Bühne werden am 6. Mai die Cembalospielerin Tamar Halperin, der Trompeter Markus Stockhausen und erneut Michael Wollny stehen:
"Das ist ein durch und durch die Sachen intensivierendes Erlebnis, weil man auch nicht nur räumlich im Mittelpunkt eines großen Raums sitzt, wo außen rum eine große Menge von Leuten sitzt, sondern dadurch vielleicht sogar noch mehr in sich rein hört, noch mehr bei sich selbst ist. Also genau wie in einem Brennglas auch die Sonnenstrahlen gebündelt werden in einem Mittelpunkt, so ein Gefühl habe ich da auch in so einem Saal, dass dann Energie, die von so vielen Leuten ausgeht, dass die sich in der Mitte so fängt und auch auf das eigene Improvisieren, Musizieren dann irgendwie Einfluss drauf nimmt und am Ende ist es doch ein einmaliges und, ich glaube, unvorhersehbares Experiment, das da stattfindet und darauf freue ich mich auf jeden Fall sehr."
Jazzfreunde dürfen jubeln. Hier wird Jazzgeschichte geschrieben.