Jazz aus Israel: Anat Fort & Avishai Cohen

Wie der Sound einer offenen Probe

Neues von der israelischen Szene: Anat Fort
Neues von der israelischen Szene: Anat Fort. © Arne Reimer
Von Jonathan Scheiner |
Israelische Musiker bereichern seit Jahren die internationale Jazzszene mit erstklassigen Projekten. Dazu zählen auch die Pianistin Anat Fort und der Trompeter Avishai Cohen. Die Pianistin hat auf ihrem neuen Album ihr Trio um den Klarinettisten Gianluigi Trovesi erweitert.
Wenn von Jazz "Made in Israel" die Rede ist, dann ist damit oft nicht nur die Herkunft der Musiker, sondern auch ein bestimmtes Klangbild gemeint, also Melodien und Rhythmen, die von der Musik des Vorderen Orients beeinflusst sind. Doch zwei israelische Musiker, von denen nun fast zeitgleich neue Alben vorliegen, passen nicht in dieses Schema. Beide stammen zwar aus Tel Aviv, doch ihre Musik ist vielmehr vom europäischen und US-amerikanischem Jazz geprägt. Das ist nicht ganz zufällig, weil beide Musiker in New York gelebt und dort ihre Karriere in Schwung gebracht haben.
Die Pianistin Anat Fort hat für die Aufnahmen ihres neuen Albums "Birdwatching" ihr langjähriges Trio um den italienischen Klarinettisten Gianluigi Trovesi erweitert. Das hat die Gefahr, ausgetretene Trio-Pfade zu betreten, unüberhörbar verringert. Die gelungene Kooperation zwischen Anat Fort und Gianluigi Trovesi besteht schon seit ein paar Jahren, doch erst jetzt kam es zum Aufeinandertreffen im Studio.
"Musik kenne ich schon seit vielen Jahren von Platten. Ich glaube, es war 2011, dass ich beim Jazzfest in Novara gespielt habe, wo auch er aufgetreten ist. Ich habe dem Festivalleiter erzählt, dass ich Trovesis Musik sehr schätze und er hat ein kleines Kennenlernen arrangiert. Ich dachte mir damals, dass wir etwas zusammen machen sollten. Schon im folgenden Jahr sind wir an den selben Ort nach Novara zurückgekehrt und haben ein Duo-Konzert gegeben. Später hat Trovesi sogar in meinem Trio gespielt. Und schließlich haben wir dann dieses Album aufgenommen."

Anat Forts Neigung zu einfachen Melodien

Es gibt Momente auf "Birdwatching", in denen Anat Forts Heimatland kurz aufblitzt, hörbar durch ihre Art und Weise, Melodien zu formulieren, wie man sie auch vom israelischen Folksong kennt. Doch Anat Forts Neigung zu einfachen singbaren Melodien wird spätestens durch Trovesis herzhaft-knackigen Klarinetten-Sound konterkariert. Ohnehin wird auf den zwölf Song ein weites musikalisches Feld beackert, indem neben improvisierten Solostücken auch das Trio ausgiebig Platz hat, sein langjähriges Eingespieltsein zu demonstrieren. Neben balladesken Jazznummern steht europäisch geprägte Kammermusik im Vordergrund.
"Von einigem Material wussten wir, dass wir es im Trio oder Quartett machen wollten, aber manchmal waren wir uns nicht sicher. Also haben wir es auf unterschiedliche Weise versucht. Wir hatten ja schließlich vor dem Studiotermin kaum Zeit für Proben."
Auch "Into the Silence" von Avishai Cohen ist geprägt von der Tatsache, dass es vorab kaum beziehungsweise keine Probezeit gab. Doch schließlich wurden nur je zwei, maximal drei Versionen der insgesamt sechs Songs aufgenommen. Dadurch wirkt das Sound des Quintetts sehr unmittelbar – ein wenig, als würde man einer offenen Probe beiwohnen.
"Das Album entstand in einer bestimmten Periode meines Lebens, als ich gerade meinen Vater verloren hatte. Jedes mal, wenn ich damals am Klavier saß, entstand ein sehr spezielle Stimmung, ein sehr spezieller Sound. Und obwohl ich eine Menge an Kompositionen hatte, die nie von meinem Trio gespielt worden waren, habe ich beschlossen, mich auf die aktuellen Stücke zu fokussieren. Ich wollte, dass sich das Album gänzlich auf diese Zeit der Trauer konzentriert. Also habe ich mich für Kompositionen entschieden, die zwischen Dezember 2014 und Juni 2015 entstanden waren, teilweise noch eine halbe Stunde, bevor wir ins Studio gegangen sind."

Ein frischer und ursprünglicher Klang

Aufnahme, Mixing und Mastering waren in drei Tagen abgeschlossen. Und weil Avishai Cohen die Stücke auf dem Klavier komponiert hatte, war der Studiotermin tatsächlich das erste Mal, bei dem er seine Kompositionen auf seiner Trompete spielte. Dadurch sei, so Cohen, ein sehr frischer und ursprünglicher Klang entstanden. Beim ersten Song des Albums, dem gerade gehörten "Life and Death", handelt es sich sogar um die allererste Probe des Stücks.
"Es war tatsächlich ein sehr spannender Entstehungsprozess. Ohne dass ich daran dachte, war das Studio tatsächlich das erste Mal, dass die Musiker die Kompositionen gespielt haben. Wenn du das Album hörst, dann merkst du, dass es sehr speziell ist. Wenn ich den Musikern vorab Mp3s oder Noten geschickt hätte, dann hätte das gar keinen Sinn gemacht. Die Musik musste vielmehr im Studio als Band entstehen. Auch für mich war die Musik neu. Auch wenn ich wusste, wie ich klingen will, blieb da doch viel Leere und Raum für Interpretation, wie die Musik zu spielen ist."
Das Zusammenspiel der fünf Musiker ist auf den Klang als Band fokussiert. Die Schönheit der Songs entsteht jedoch durch die Sparsamkeit der Aktionen. Hier wird keine Show und kein Gewese gemacht – hier wird konzentriert gespielt vor dem Hintergrund genauen Zuhörens und des einander Platzlassens. Wie unmodern – eine solche Reduktion ist in der aktuellen Jazzszene jedenfalls selten genug. Und umso begehrenswerter!
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