"Ich möchte Musik machen, die die Leute genießen"
Youn Sun Nah ist Südkoreanerin, studierte Jazz und Chanson in Frankreich und ist bei einem deutschen Label unter Vertrag. Mittlerweile lebt sie wieder in Südkorea, bespielt weltweit die Bühnen - und hat noch immer eine ganz besondere Beziehung zu Deutschland.
Matthias Wegner: Youn Sun Nah, herzlich willkommen hier im Studio von Deutschlandfunk Kultur!
Youn Sun Nah: Hi! Ich bin sehr froh hier zu sein!
Matthias Wegner: Im letzten Jahr haben Sie Ihre Komfortzone verlassen und haben Ihr Album "She Moves on" mit amerikanischen Musikern, im Mutterland des Jazz, in den USA aufgenommen. Was hatte das rückblickend für einen Einfluss auf Ihre aktuelle Arbeit und Ihre aktuellen Konzerte?
Youn Sun Nah: Ich habe ja tatsächlich Frankreich ausgewählt, um Jazz zu studieren und auch um eine Jazz-Musikerin zu werden. Viele Leute haben mich am Anfang gefragt, warum ich Frankreich gewählt habe und nicht die USA. Ich hab ihnen dann erzählt, dass ich ein großer Fan von französischem Chanson bin und dass ich einfach versuchen wollte, beides zu machen. Ich hatte es also immer im Kopf eines Tages dorthin zu gehen und die Musik dort zu erleben. Ich habe natürlich auch viele Konzerte von amerikanischen Musikern besucht und viel von deren Musik gehört, aber sie persönlich zu sehen und mit ihnen live auf der Bühne zu stehen war, wie ich jetzt realisiere, ein Traum von mir. Jedes Mal, wenn zusammenspielten, erlebte ich etwas Neues und gleichzeitig wurde es immer reichhaltiger. Ich bin sehr froh, dass ich diese Erfahrung gemacht habe.
Matthias Wegner: Welches sind denn die Hauptunterschiede mit amerikanischen oder europäischen Musikern zusammenzuarbeiten?
"Die Amerikaner haben eine angenehme Lässigkeit"
Youn Sun Nah: Natürlich ist der kulturelle Hintergrund ein anderer, aber gleichzeitig war ich sehr überrascht zu sehen, dass der Jazz für amerikanische Musiker ihre Natur ist. Es ist nicht etwas, das sie importiert haben. Es ist ihr eigenes. Jazz ist für sie wie die Luft oder das Wasser, also etwas total Natürliches und ihr Zugang zur Musik war so – wie soll ich sagen – flüssig. Es war großartig sie zu sehen. Ich hatte da manchmal Schwierigkeiten und dachte "Ja, ich sollte das und das besser machen". Das ist meine asiatische Seite. Die Amerikaner haben oft eine angenehme Lässigkeit, sie wollen es einfach genießen. Bei den europäischen Musikern kommt es drauf an: Manche haben auch diese Einstellung und andere sind wiederum viel akademischer.
Matthias Wegner: Das Album "She Moves On" haben Sie ja 2017 veröffentlicht. Seitdem haben Sie jede Menge Konzerte mit diesen Songs gegeben, mit diesem Repertoire, waren auf vielen Festivals Headliner, wie hat sich Ihre Musik in der Zwischenzeit weiterentwickelt? "She Moves On" ist ja möglicherweise auch ein Lebensthema.
Youn Sun Nah: Ja, das könnte man so sagen. Jedes Mal, wenn wir an einem anderen Ort spielen, versuchen wir auf eine andere Art zu spielen. Es ist Jazz, wir wissen also nicht was zwischen zwei Songs passieren kann. Ich mag es, nicht genau gleich zu spielen, wie in den Aufnahmen auf dem Album. Also versuchen wir jede Nacht die verschiedenen Arrangements oder Soli zu verändern. Das ist natürlich sehr herausfordernd, aber ich genieße es sehr und die Musiker mit denen ich spiele, erlauben es mir, immer weiter zu gehen.
"Fehler sind ein Teil vom Leben"
Matthias Wegner: Sie haben in Frankreich Jazz studiert und haben auch in einem früheren Interview gesagt, Sie hätten den Jazz immer sehr ernst genommen, vielleicht auch weil Sie so spät mit dem Studium angefangen haben, und Sie wollten keine Fehler machen. Steckt das immer noch in Ihnen drin, oder lassen Sie Fehler mittlerweile zu?
Youn Sun Nah: Zu Beginn meines Studiums wollte ich genauso wie Ella Fitzgerald, Sarah Vaughan oder Frank Sinatra singen. Später habe ich dann bemerkt, dass das niemals möglich sein wird. Am Anfang wollte ich immer Jemand sein, aber jetzt, mit dem Alter vielleicht, möchte ich einfach Irgendjemand sein. Es ist also viel leichter und ich möchte einfach Musik machen, die die Leute genießen. Wenn diese Leute mit mir eine gute Zeit und Spaß haben, bin ich glücklich.
Matthias Wegner: Und im Jazz gibt es ja im Grunde keine Fehler…
Youn Sun Nah: (lacht) Ich denke, Fehler sind ein Teil vom Leben. Am Anfang habe ich mir wegen allem Sorgen gemacht. Eines Tages las ich aber diese tibetanische Redewendung, die besagt: Wenn eine Sorge wegginge, indem man sich über sie Sorgen macht, gäbe es keine Sorgen. Ich habe also hartnäckig versucht, nicht an meine Fehler zu denken - c’est la vie.
Matthias Wegner: Youn Sun Nah, Sie sind ja nicht nur in Südkorea bekannt, wo Sie heute wieder vorwiegend leben, sondern natürlich auch in Frankreich, was auch nach dem Studium Ihre Wahlheimat war, aber Sie sind auch in Deutschland bekannt, was nicht zuletzt daran liegt, dass Sie unter einem deutschen Plattenlabel unter Vertrag sind. Welche Erfahrungen haben Sie bei Ihren vielen Konzerten eigentlich hierzulande machen können, welchen Eindruck haben Sie von Ihrem deutschen Publikum?
Youn Sun Nah: Ich fühle mich sehr eng mit ihnen verbunden. Ich arbeite ja auch schon seit fast zehn Jahren mit dem deutschen Prestigelabel "ACT" zusammen, das sehr unterstützend war. Jetzt habe ich sogar Freunde, die früher meine Fans waren. Ich mag die Deutschen, sie sind ein sehr gebendes Volk. Ich spiele gerade mit einem deutschen Pianisten, den ich seit zwanzig Jahren kenne. Ich habe ihn damals in Paris getroffen, wo wir zusammen studiert haben, sein Name ist Frank Woeste. Mit ihm machen wir die Deutschlandtour und er ist so nett! Er repräsentiert Deutschland und er ist wundervoll. Und das fühle ich auch in Bezug auf das deutsche Publikum.
"Vor Konzerten bin ich sehr nervös"
Matthias Wegner: Sie haben eine sehr kräftige Stimme, oder besser gesagt: wenn sie möchten, dann können Sie sehr kräftig singen. Andererseits wirken Sie auf der Bühne fast etwas schüchtern, zum Beispiel auch wenn Sie Ihre Ansagen machen, oder sich beim Publikum bedanken. Sind Sie eine schüchterne Person, oder ist das einfach nur eine Seite von Ihnen?
Youn Sun Nah: Ich bin eine sehr schüchterne und nervöse Person, aber beim Singen habe ich kein Problem, weil ich so tief drin bin. Allerdings wenn ich auf der Bühne versuche, zu reden, sehe ich auf einmal alle vor mir und dann bekomme ich Angst. Beim Singen habe ich eine sehr starke Verbindung zum Publikum, aber wenn ich versuche etwas zu sagen, werde ich traurig, weil ich es nicht schaffe (lacht). Ja… das ist mein großes Problem und vor Konzerten bin ich sehr nervös. Ich denke, das ist aber bei vielen so. Gleichzeitig glaube ich auch, dass es eine positive Nervosität ist.
Matthias Wegner: Ich denke auch, dass es wichtig ist, sich ein Stück Nervosität zu bewahren. In Ihren Konzerten gibt es häufig auch mindestens eine sehr reduzierte Nummer, die Sie spielen, bei der Sie sich selbst nur mit einer Kalimba begleiten. Was steckt dahinter, warum verwenden Sie gern dieses minimalistische Ausdrucksmittel, das wir auch gleich bei uns im Studio hören werden?
Youn Sun Nah: Die Kalimba ist sehr klein, und hat sehr wenige Noten, die man spielen kann. Aber ich mag die Intimität zwischen diesem Instrument und mir und ich kann alles hören, was ich singe. Ich kommuniziere sehr eng mit der Kalimba und das Publikum wird sehr aufmerksam. Das Instrument besitzt die Macht einen aus der Konzerthalle an einen anderen Ort zu transportieren.
Matthias Wegner: Beginnen Sie immer noch ihre Konzerte damit?
Youn Sun Nah: Jetzt spiele ich es in der Mitte des Konzerts.
Matthias Wegner: Vielen Dank, Youn Sun Nah!
Youn Sun Nah: Vielen Dank!