Das "gelobte Land der Improvisation"
Neben all den Repressionen im Kunst- und Kulturbereich galt die Jazz-Szene in der DDR bei vielen noch als relativ frei und bis heute hält sich hartnäckig die Legende vom subversiven Jazz-Underground. Aber was ist dran an diesem Mythos?
Willem Breuker, der berühmte niederländische Saxofonist, hat die DDR mal als das gelobte Land der freien Improvisation bezeichnet. Das ist etwas überraschend, denn ansonsten galt die DDR ja nicht unbedingt als Hort der Freiheit. Trotzdem hält sich bis heute hartnäckig die Legende vom subversiven Jazz-Underground der DDR. Was an diesem Mythos dran ist, erklärt Wolf Kampmann, der in den vergangenen Monaten im Deutschlandfunk Kultur schon verschiedene "Irrtümer im Jazz" aufgeklärt hat.
Nach dem Krieg: Jazzmusik aus Ost-Deutschland
Im Gegensatz zu normalsterblichen DDR-Bürgern konnten Jazzmusiker aus Ost-Deutschland oft freizügig im Westen reisen und die von Willem Breuker proklamierte Freiheit der DDR-Kultur in die Welt hinaustragen, gewissermaßen als Diplomaten mit Saxofon, aber welchen Stellenwert hatte der Jazz in der DDR selbst? Das Verhältnis der DDR zum Jazz, so Kampmann, war so wechselhaft wie die Geschichte der DDR selbst. Nach dem Ende des Faschismus veröffentlichte die ostdeutsche Plattenfirma Amiga als erstes deutsches Label Jazzmusik.
"Anfang der 50er-Jahre versuchte man eine Arbeiter- und Bauernkultur aufzubauen, und da geriet der Jazz unter Generalverdacht, das gute Verhältnis der Arbeiter und Bauern zum progressiven Erbe der deutschen Klassik versauen zu wollen."
Mit dem Pianisten Joachim Kühn erlangte der DDR-Jazz in den 60er-Jahren dann auch ein gewisses internationales Ansehen. "Das stimmte die Kulturoberen gegenüber dem Jazz etwas milder, hörte aber sofort auf, als Kühn 1965 in den Westen ging – der Jazz wurde sofort wieder zur subversiven Westkultur, der die DDR unterwandern wollte", sagt Kampmann.
Erst in den 70er-Jahren gab es so etwas wie einen Jazz-Untergrund in der DDR, und der Freejazz wurde dann tatsächlich "Teil des sozialistisch-realistischen Selbstverständnisses der DDR-Kulturpolitik".
Jazz-Musiker mussten sich auf Brecht und Weill beziehen
Während der Free Jazz in der BRD Teil der Studentenbewegung war und gesellschaftliche Strukturen musikalisch zerstören wollte, mussten die DDR-Jazzer sich auf das klassische kulturelle Erbe, auf Brecht, Weill und Volkslieder beziehen, um sich etablieren zu können.
"Free Jazz in der DDR wollte nicht nur einen kleinen Kreis Eingeweihter ansprechen, sondern wollte in die Breite gehen und Teil der Jugendkultur werden."
"Die Einzigartigkeit des DDR-Jazz ist völlig unbenommen", sagt Kampmann. Das der Staat aber auch ein Kalkül damit verfolgte, dürfe man nicht vergessen.
"Jazz war seit Mitte der 70er-Jahre nicht mehr Teil der DDR-Underground-Kultur, sondern staatspolitisch sehr gewollt und gefördert."