"Benny ist der Urvater der Klarinette"
1938 spielte Benny Goodman in der New Yorker Carnegie Hall. An dieses bahnbrechende Jazz-Ereignis erinnert jetzt die NDR-Bigband in der Berliner Philharmonie. An der Klarinette diesmal: Jazzlegende Rolf Kühn – der einst selbst in Goodmans Band gespielt hat.
Mathias Mauerberger: Im Jahr 1938 – am 16. Januar – fand in der New Yorker Carnegie Hall ein historisches Konzert statt. Der Klarinettist Benny Goodman spielte mit seinem Orchester in der 1891 eröffneten Konzerthalle, in der bis dahin ausschließlich klassische Musik auf die Bühne kam.
Jazz galt in den 30er-Jahren in vielen Kreisen noch als roh und schmutzig. Der Trompeter Harry James hat damals angeblich gesagt, "er fühle sich wie eine Hure in der Kirche", als er die Bühne betrat. Insofern war dieses Konzert eine kleine Sensation und öffnete dem Jazz einige schwere Türen. Hier ein kurzer Ausschnitt aus dem Eröffnungs-Konzert.
Das ist also das Original aus dem 1938. Die NDR-Bigband bezieht sich in ihrem neuen Programm dezidiert auf dieses legendäre Carnegie Hall-Konzert und in der Rolle des Benny Goodman agiert die deutsche Jazzlegende Rolf Kühn. Mein Kollege Matthias Wegner hat vor der heutigen Premiere in der Berliner Philharmonie mit dem Protagonisten gesprochen.
Matthias Wegner: Rolf Kühn – Sie haben Benny Goodman vor vielen Jahren kennengelernt und haben in den 50er-, frühen 60er-Jahren auch in seinem Orchester gespielt. Wie ist Ihnen Benny Goodman - der ja rund 20 Jahre älter war, als Sie - begegnet?
Zwei Jahre in Goodmans Band gespielt
Rolf Kühn: Die Verbindung ist durch einen gemeinsamen Bekannten entstanden. Durch Popsy, seinem alten "Band-Boy". Der hörte mich in irgendeinem Konzert in New York und fragte: Hat Dich Benny schon mal gehört? Ich sagte: Ich glaube nicht, dass er jemals zu einem Konzert gekommen ist. Und prompt drei Tage später klingelte das Telefon.
Er war nicht selbst am Telefon, aber ich wurde von seinem Büro zu einem Vorspiel eingeladen und so habe ich ihn kennengelernt als – später könnte man sagen - väterlichen Freund. Ich war der einzige, der bei ihm privat eingeladen war und er benahm sich mir gegenüber äußerst freundlich, väterlich und hat Käsebrote in der Küche geschmiert (lacht). Ich habe ihn durch das Vorspielen kennen gelernt und war dann zwei Jahre bei ihm.
Wegner: Sie waren zwei Jahre bei ihm und spielen ja auch das gleiche Instrument, das Benny Goodman auch gespielt hat. Sie sind dann später auch selbst ein sehr bekannter und sehr gefragter Arrangeur und Bigband-Leiter gewesen. Was haben Sie von Benny Goodman vor allem gelernt, was haben Sie sich von ihm abgeguckt?
"Ich habe seine Souveränität bewundert"
Kühn: Benny ist der Urvater der Klarinette, könnte man sagen. Und es war natürlich spannend, den Mann nicht nur einmal zu hören, sondern zwei volle Jahre. Ich habe seine Souveränität bewundert, er war technisch immer in sehr gut durchtrainierter Form.
Ich habe keinen einzigen schlechten Abend mit ihm erlebt. Und das berühmte Carnegie-Hall-Konzert von 1938 wird ja hier in Deutschland wiederholt oder reanimiert und das ist natürlich für mich eine pure Freude, die Verbindung mit Goodman auf diese Art und Weise fortzusetzen.
Wegner: Das ist eine sehr schöne Geschichte. Inwieweit kann man so ein Konzert nachspielen? Auch 1938 wurde ja auch schon improvisiert. Es ist vermutlich Quatsch, wenn man versuchen würde, Note für Note nachzuspielen. Wie kann man da am besten rangehen?
Kühn: Man sollte nicht Note für Note nachspielen. Es würde immer nach einer Imitation klingen. Wir leben heute im Jahr 2018 und es wird sich etwas Neues entwickeln. Zwar mit dem gleichen Repertoire, das damals gespielt wurde, aber die Soli werden total anders sein, die werden moderner sein.
Die Bandarrangements werden auch nicht Note für Note original sein, sondern modernisiert und der heutigen Zeit entsprechen. Ich freue mich in jedem Fall gewaltig drauf.
Wegner: Ein interessantes Projekt und eine super Grundlage, dieses Konzert nun noch mal zu aktualisieren. Das Konzert damals war ja recht lang. Es dauerte zweieinhalb Stunden und es wurden über 20 Stücke gespielt. Werden die kompletten Stücke abgebildet oder wird es an dem Abend eine andere Dramaturgie geben?
"Was kann heute aus diesem Repertoire gemacht werden?"
Kühn: Es wird etwas anders sein. Man muss auch nicht die Dramaturgie des Abends von 1938 unbedingt nachspielen. Man kann bestimmte Nummern kombinieren und ich glaube, das ist das Interessante: Was kann heute aus diesem Repertoire gemacht werden? Das ist das Spannende an diesem Abend.
Wegner: Sie agieren dennoch in der Rolle des Benny Goodman. Inwieweit versuchen Sie tatsächlich in diese Person reinzuschlüpfen. Ist das notwendig oder braucht man das gar nicht?
Kühn: Es werden natürlich auch unwillkürlich die Zeiten zurückkommen, in denen ich bei ihm in der Band war. Und natürlich habe ich damals schon moderner gespielt, als Benny Goodman. Ich denke mal, es wird eine Mischung entstehen.
Wegner: Der Auftritt von Benny Goodman damals war auch mitentscheidend dafür, dass Jazz ab da auch häufiger in größeren Konzerthallen stattfand. Wie ist denn das bei Ihnen selber. Sie spielen ja sowohl in großen Konzerthäusern, aber trotzdem auch noch in kleineren, mittelgroßen Clubs. Wo treten Sie lieber auf?
"Nach wie vor, liebe ich die Clubs"
Kühn: Beides finde ich reizvoll. Nach wie vor, liebe ich die Clubs. Je kleiner und intimer, desto besser. Wenn die Band ganz eng zusammen steht und man schmeißt sich gegenseitig die Bälle zu. Das finde ich nach wie vor reizvoll.
Aber natürlich ist es auch wunderschön, in einem großen Konzerthaus zu spielen. Es wird plötzlich ein bisschen ernster. Der Club ist der reine Spaß und hier werden wir alle seriöser. Hoffentlich nicht zu seriös, das wollen wir nicht. Aber es sind zwei ganz verschiedene Dinge. Ich liebe die beide.
Wegner: Sehr schön. Vielen herzlichen Dank Rolf Kühn für den Besuch im Studio. Alles Gute für die Konzerte und vielen Dank!