"Meine Stimme ist ein Geschenk"
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Der Vater: abwesend. Die Mutter: eine Kaltmamsell. Und sie selbst: niemals musikalisch gefördert. Dass aus Uschi Brüning die "Ella Fitzgerald der DDR" werden würde, war nicht abzusehen. Jetzt hat sie ihre Memoiren geschrieben.
Eigentlich sei sie wirklich schüchtern, sagt Jazz-Legende Uschi Brüning, aber den Wunsch zu singen konnte sie nie unterdrücken. Bis heute ist Gesang für sie ein Grundbedürfnis: "Bei allen Tätigkeiten, im Auto, zuhause beim Waschen, beim Bügeln – ich singe immer. Das ist wie Atmen."
Uschi Brüning wuchs in einfachen Verhältnissen auf. Der Vater hatte die Familie im Stich gelassen, die alleinerziehende Mutter arbeitete in Schicht als 'Kaltmamsell' – eine Fachkraft in der kalten Küche. In ihrer Autobiografie beschreibt die 72-Jährige das Singen als ihr persönliches Ventil in einer ansonsten eher bedrückenden Kindheit: "Ich habe das geschenkt bekommen, das ist eine große Gabe. Aber es war mir nie bewusst – ich habe einfach nur gesungen." Eine musikalische Ausbildung hat Uschi Brüning nicht genossen - sie lernte nie ein Musikinstrument und Gesangsunterricht gab es schon gar nicht. Doch ihre Stimme hatte das gewisse Etwas - und sie begann, Schlager zu singen.
Jazz-Karriere als Autodidaktin
Das kam sehr gut an und sprach sich schnell herum. Ihren ersten "richtigen" Auftritt hatte Uschi Brüning 1960 vor den Werktätigen des VEB Galvanotechnik Leipzig. Damals war sie 13 Jahre alt. Quasi auf offener Bühne entwickelte sich der Teenager nun in rasantem Tempo von einer Amateur-Schlagersängerin zur jazzigsten Stimme der DDR.
Bald durfte Uschi Brüning sogar in einer landesweit bekannten Big Band auftreten, gemeinsam mit Manfred Krug: "Bei der ersten Begegnung, da wusste er ja noch nicht, wer ich bin und wie ich singe, war er sehr lustig. Aber als es dann hieß, dass ich mitsingen sollte, da wurde er schon etwas knurrig. Also das war ihm dann doch nicht so recht. Weil – er war die Nummer eins! Und da kommt so ein kleines Mädchen aus Leipzig und gräbt ihm etwas das Wasser ab."
Der Erfolg der jungen Sängerin war für "Manne" Krug anfangs schwer zu verkraften. Doch Uschi Brüning und er wurden dann doch noch ein musikalisches Traumpaar der DDR. Nachdem Krug 1977 in den Westen ging, gab es 40 Jahre lang Pause in ihrer Zusammenarbeit. Erst kurz vor seinem Tod nahmen die beiden noch einmal eine gemeinsame CD auf. "Er fehlt mir immer noch und da weine ich so manche Träne. Er sang da mit sehr viel Herz und schon so einer Art Abschiedsweh in der Stimme. Ich fand seine Stimme sowieso immer toll, sie hatte viel Sentiment, viel Emotion."
Eine eingeschworene Männergemeinschaft
Ganz einfach mit den Männern in der Musikwelt der DDR war es für Uschi Brüning nie. Nach anfänglicher Verurteilung als "Affenmusik des Imperialismus" wurde Jazz in der DDR gefördert. Und – ganz wie im Westen – war auch die Jazz-Szene der DDR eine eingeschworene Männergemeinschaft. Als Uschi Brüning in den 70ern ihre eigene Band gründete, versuchten die Kollegen, die junge Konkurrentin auflaufen zu lassen:
"Die saßen dann unten in unserem ersten Konzert in Dresden und wollten mich fallen sehen. Sie saßen hämisch da unten: 'Wollen wir doch mal hören, was die da überhaupt auf die Beine bekommen, die Musiker und die Sängerin.' Da musste man versuchen, sämtliche Professionalität, über die man verfügte, zusammen zu kratzen. Es ist mir nicht ganz gelungen, aber wir haben den Abend trotzdem gut überstanden."
Brüning galt als die "Ella Fitzgerald der DDR". Seit fünf Jahrzehnten ist sie eine feste Größe im Musikgeschäft. Und längst auch im Westen als Künstlerin angekommen. Live erleben kann man sie am 9. November: Zum 30. Jahrestag des Mauerfalls wird sie in der Hamburger Elbphilharmonie singen.
(tif/svs)