Je tiefer die Krise, desto höher der Absatz
Sexy, unbequem und ziemlich teuer: Luxuriöse Schuhe mit steilen Absätzen sind wieder schwer in Mode. Ihre Trägerinnen protestieren damit gegen die verbreitete Krisenstimmung, sagt die Kulturwissenschaftlerin Barbara Vinken.
Ulrike Timm: Sie sind unpraktisch, ungesund, im Grunde untragbar und ungeheuer schick. High Heels, die Schühchen zum Herumstehen, nicht zum Herumgehen. Und sie sind Trend. Der Zehn-Zentimeter-Absatz kommt, sagt das Deutsche Schuhinstitut, und nächste Woche stellt die Branche in Düsseldorf vor, worin man schick stolpern kann.
Auf dem Fuße folgt hier im "Radiofeuilleton" die kulturgeschichtliche und soziale Betrachtung des hohen Schuhs, denn es gibt die These: Je schlechter die Wirtschaftsaussichten, desto höher die Absätze! An allem muss gespart werden, aber das Luxussegment, zu dem die exklusivsten High Heels für durchaus schon mal 800 Euro pro Paar gehören, ist gegen Börsencrashs seltsam unempfindlich.
Barbara Vinken ist Kulturwissenschaftlerin, sie lehrt an der Universität München, hat sich intensiv mit dem Zusammenhang von Mode und Gesellschaft beschäftigt und bewegt sich sicher auf flachen wie auf hohen Schuhen. Schönen guten Tag!
Barbara Vinken: Guten Tag!
Timm: Frau Vinken, je schärfer die Krise, desto steiler der Absatz – stimmt das?
Vinken: Also Fuß und Schuh hat sicherlich was mit Wirtschaft zu tun. Das erkennt man ja schon an den Sprichwörtern, die wir haben. Wir sagen zum Beispiel, "der hat ja nichts an den Füßen" oder wir sagen "der lebt auf sehr großem Fuß", sodass der Fuß und der Schuh sozusagen pars pro toto für die finanzielle Potenz – in dem Fall eines Mannes – ist. Sicherlich hat das was damit zu tun. Ich glaube allerdings nicht, dass der Zusammenhang so unmittelbar gegeben ist, wie man das bei den Miniröcken ja auch annimmt, also je tiefer die Börsenkurse fallen, desto kürzer werden die Röcke und desto höher werden die Absätze. Also ganz so direkt ist, glaube ich, der Zusammenhang nicht.
Timm: Aber so Sprichwörter entstehen ja nicht ohne Grundlage. Gibt es irgendwie Zeiten, wo man sagen kann, na ja, die Finanzen ziemlich zerrüttet, das Luxussegment und damit der schicke Schuh, denen konnte das nichts anhaben?
Vinken: Ja, also der Schuh und das Geld hängen auf jeden Fall zusammen, wie man an diesen Sprichwörtern ja schon ganz klar sieht. Und es ist auch ganz oft so, dass die Leute zu Schuhen oder zu dem besonderen Absurden, fast Luxus, im Schuh Zuflucht suchen gegen die Tendenzen oder gegen die Krisenhaftigkeit vielleicht auch der Gesellschaft. Ein ganz schönes Beispiel sind etwa Jugendliche im Zweiten Weltkrieg in Paris, wo Gummi wahnsinnig teuer war und das Luxusgut schlechthin. Und die haben dann diese Mode erfunden, auf ganz hohen Gummiplateausohlen durch die Gegend zu laufen.
Der Schuh hat sozusagen immer etwas, was gegen die Krise oder was der Krise trotzt oder was im Angesicht der Krise einen Protest oder einen absurden, jedenfalls einen wahnsinnigen Luxus behauptet. Wenn Sie zum Beispiel auch an Venedig denken, da hatten dann die wohlhabenden Leute die sogenannten Zoccoli – das sind nämlich die ersten Plateauschuhe, die gingen so von 20 Zentimeter bis fast stelzenartigen halben Metern – und hoben natürlich die Trägerin, aber auch die Träger, das trugen Männer also durchaus, über die Menge hinaus.
Timm: Und in Griechenland diese Theaterschuhe, Kothurn heißen die, glaube ich. Frau Vinken, wenn es denn tatsächlich so ist, dass die Schuhmode die Zeit ein wenig riechen, ein wenig widerspiegeln kann die soziale Situation, dann ist es ja trotzdem erstaunlich, wie das funktioniert mit Trends, wie man Trends macht in der Mode, nächste Woche in Düsseldorf, denn wie der nächste Sommer wird, ob da nun wirtschaftlich alles den Bach runtergeht oder ob wir die Krise einigermaßen wuppen, das weiß ja jetzt noch kein Mensch. Wie funktioniert ein Trend in Zeiten, wo die wirtschaftliche Entwicklung extrem schwer voraussehbar ist?
Vinken: Das weiß man natürlich nicht, wie sich die Wirtschaft entwickelt, das ist ja ganz klar, und deswegen ist dieser direkte Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Mode auch nicht gegeben. Das sind eher so Gefühle – also Zutrauen, Vertrauen –, und diese Gefühle sind natürlich viel stabiler, sagen wir mal als die Börsenschwankungen. Und auf diese Gefühle, auf dieses Gefühl im Verhältnis zur Sicherheit, zum Wohlstand, darauf reagiert der Schuh. Aber wie gesagt, nicht mimetisch, also nicht unbedingt so, wenn die Wirtschaft runter, denn die Absätze runter, sondern wirklich oft gegenläufig, und zwar gegenläufig in fast so einem Sinne von "ich will aber trotzdem dieses Kleinod" oder "wenn schon alles schiefgeht, dann wenigstens nicht mein Schuh", so im Sinne von Rebellion eigentlich fast kann man sagen, gegen die Wirtschaftssituation.
Timm: Und ein Trend, zumindest angekündigt, sind jetzt High Heels mit Kampfabsätzen ab zehn Zentimetern. Es gibt schon richtig Kurse, wie man sich in denen halbwegs graziös bewegt, was ja Knochenarbeit ist, sexy Schuhe sexy tragen. Warum tut frau sich das an?
Vinken: Der Schuh ist sicherlich das Instrument, was die Silhouette am stärksten verändert, und das, was die Silhouette am stärksten verändert, sind natürlich High Heels. High Heels sind wie wenig andere Sachen ein extremer Marker von Weiblichkeit, aber auch von einer gewissen aggressiven Weiblichkeit, also nicht von diesem Hausmütterchentypus, sondern die hat schon was sehr Attraktives, was sehr die Weiblichkeit behauptet. Das kann auch großen Spaß machen, und offensichtlich stehen im Augenblick die Zeichen auf affirmative Weiblichkeit.
Timm: Haben Sie schon ein Lieblingsmodell?
Vinken: Ich finde Louboutin, diesen nackten Pumps mit der Plateausohle – das darf man natürlich auch nicht vergessen bei den zehn Zentimetern, die sind dann 12, 14, aber da ist ja das Plateau noch eingearbeitet. Das macht die Gymnastik etwas leichter, aber optisch bleibt es bei dieser extremen Streckung der Beine und bei der Veränderung der Silhouette. Also diese Naked Pumps von Louboutin sind dieses Jahr wirklich sagenhaft schön.
Timm: Also diese eingearbeiteten Hilfen, die trösten mich jetzt als Flachschuhträgerin nur bedingt, aber Sie haben die Weiblichkeit angesprochen, und es gibt Umfragen, dass 90 Prozent aller Männer heimlich Frauen auf High Heels lieben. Nun müssen wir das mal so stehen lassen, denn Umfragen, die eruieren, was Männer heimlich mögen, die sind ja auch nicht so wirklich überzeugend, aber wir lassen es mal stehen. Da können doch Frauen, die sagen, ich geh gerne flott durchs Leben, die können da ja eigentlich nur auf dem Absatz kehrtmachen?
Vinken: Wie hat Louboutin das mal so nett gesagt? Schuhe sind ja nicht nur zum Gehen da. Obwohl ich Ihnen in gewisser Weise recht geben würde. Ich denke schon, dass ein wirklich guter Schuh eigentlich auch ein Schuh ist, in dem man trotz zehn Zentimetern ganz gut laufen können muss. Und wenn Sie jetzt Schuhe anziehen, in denen Sie nur getragen werden können, ist das vielleicht auch nicht so ein wirklich starkes Statement.
Timm: Und wie kommt das eigentlich auch noch mal mit Blick auf Schuhmode und Wirtschaft und Gesellschaft, dass das jetzt doch sehr bei den Frauen gelandet ist, dass die Frauen die Trends machen? Denn eigentlich haben die Männer ja bei der Schuhmode immer einen Zentimeter voraus gelegen, so rahmengenähte Budapester Lederschuhe, schweineteuer, nicht unschick, aber auch nicht gefährlich, die standen immer für eine seriöse, eine modebewusste feine Erscheinung, ja, und die Frauen trippelten modetechnisch letztlich ein bisschen hinterdrein. Wieso hat sich das gedreht?
Vinken: Na ja, also ich denke, in allen modischen Sachen waren die Männer gerade mit Schuhen, wie Sie sagen – also nicht nur die Budapester, sondern diese Zoccoli zum Beispiel, also diese hohen Plateausohlen hatten Männer an, auch die hohen Plateausohlen nach dem Zweiten Weltkrieg hatten durchaus noch Männer an –, aber ich denke, diese männliche Entsagung ist sehr stark geworden, was die Männer angeht, außer natürlich bei den Dragqueens. Und denen können Sie, wenn Sie das können, auf der Christopher Parade oder so dieses Laufen in Highheels auch beibringen, und das ist sehr lustig. Das ist natürlich ein sehr spezielles Segment von Männlichkeit, wenn Sie so wollen, in der diese Moden überleben, also in der diese weiblichen Moden überleben.
Timm: Und das ist tatsächlich wahr, das ist historisch belegt, dass in bestimmten Zeiten Männer hohe Plateauschuhe getragen haben?
Vinken: Absolut. In Venedig die Zoccoli hatten Männer und Frauen an.
Timm: Welche Zeit ist das?
Vinken: Im 16. Jahrhundert. Und nach dem Zweiten Weltkrieg in Paris, diese Plateausohlen, wie gesagt aus Gummi, die wirklich sehr berühmt waren, hatten Männer an. Das hatten Frauen gar nicht an, das hatten nur Männer an sogar.
Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton" im Gespräch mit der Kulturwissenschaftlerin Barbara Vinken darüber, was uns der Schuh erzählt. Anlass ist die Modemesse der Branche in Düsseldorf Anfang September, und ein Trend sind luxuriöse Highheels. Frau Vinken, wenn wir von den Schuhen mal ein bisschen wegkommen, das ist ja generell so, dass das Luxussegment in der Mode generell sehr stabil ist, frei nach dem Motto: Wenn alles den Bach runtergeht, dann trete ich mein Geld mit Füßen und leiste mir teure Kleidung, teure Schuhe?
Vinken: Die Mode hat ja immer schon so was völlig Verausgabendes gehabt, was eigentlich aökonomisch ist. Die meisten großen Modeschöpfer sind Pleite gegangen. Lagerfeld jetzt nicht, aber (…) oder so was, also die großen Modeschöpfer, sind oft Pleite gegangen. Und zwar deswegen, weil, genau, weil Mode nämlich indifferent gegen Ökonomie ist, wenn Sie so wollen, und sich diesem Ökonomischen mit aller Gewalt widersetzt. Man kann sagen, die Mode rebelliert sozusagen gegen die wirtschaftliche Vernunft.
Timm: Andererseits gilt ja heute eher anything goes. Also zu den High Heels gibt es ja auch den Gegentrend, so die korrekten Ökoschuhe oder auch die – hab ich zumindest gerade gelernt – Protestschuhe aus Robbenfell oder Lachsleder, sieht schwer glibbrig aus. Das spielt doch wieder mit dem anything goes, alles ist möglich.
Vinken: Ja, es ist vielleicht schon anders möglich, aber wie Sie selber gesagt haben, ist dieser Trend, gerade was das Luxussegment bei Schuhen angeht, im Moment einfach sehr stabil, würde ich sagen. Sie brauchen nur nach New York zu gucken, allein schon die Secondhandläden für diese Luxusschuhe, also von Blahnik bis, weiß ich nicht, über Louboutin, die schießen wirklich wie Pilze aus dem Boden. Das heißt, dass dieses Begehren im Augenblick nach dem Schuh als Distinktionsmerkmal - überflüssig, also wie so ein Kleinod, wie so ein Schmuckstück, das aber trotzdem irgendwie noch eine praktische Funktion hat - das ist im Moment, glaube ich, ganz stark.
Timm: Wenn wir dann wieder auf etwas verspieltere, luxuriösere Moden zusteuern, dann frag ich mich, ob das nicht ein Gegentrend war früher. Turnschuhminister Joschka Fischer hat bei seiner Vereidigung als hessischer Umweltminister demonstrativ Turnschuhe getragen, 1985 war das. Da waren Schuhe ja auch ein politisches Statement.
Vinken: Das ist interessant mit den Turnschuhen. Mittlerweile ist der Turnschuh ja eigentlich auch ein Modeschuh geworden, etwa Yamamoto arbeitet zusammen mit Adidas und so weiter, also es gibt ja ganz viele ...
Timm: Davon wusste Fischer garantiert nichts.
Vinken: Nee, genau, davon wusste Fischer nichts. Das heißt, damals war der Turnschuh sozusagen nicht der angezogene Schuh, sondern der Schuh, der eben praktisch, quadratisch, gut, also nicht ästhetisch motiviert ist, aber gegen das Establishment der Budapester Schuhe, sagen wir jetzt mal, steht. Und diese harte Gegenüberstellung hat sich in dem Turnschuh völlig verändert. Der Turnschuh kann ein extrem modischer Schuh sein, er kann extrem teuer sein, und diese einfache Gegenüberstellung, also etablierter Schuh versus Rebellenschuh, die ist ja eigentlich gar nicht mehr gegeben, es hat sich ja viel differenzierter dargestellt oder stellt sich viel differenzierter dar.
Timm: Die Mode tritt die wirtschaftliche Tristesse manchmal mit Füßen, meint die Kulturwissenschaftlerin Barbara Vinken. Wir sprachen über den Zusammenhang von Mode, Schuh, Wirtschaft und Gesellschaft. Frau Vinken, ich danke Ihnen, und ich wünsche Ihnen, dass Sie nie stolpern!
Vinken: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Auf dem Fuße folgt hier im "Radiofeuilleton" die kulturgeschichtliche und soziale Betrachtung des hohen Schuhs, denn es gibt die These: Je schlechter die Wirtschaftsaussichten, desto höher die Absätze! An allem muss gespart werden, aber das Luxussegment, zu dem die exklusivsten High Heels für durchaus schon mal 800 Euro pro Paar gehören, ist gegen Börsencrashs seltsam unempfindlich.
Barbara Vinken ist Kulturwissenschaftlerin, sie lehrt an der Universität München, hat sich intensiv mit dem Zusammenhang von Mode und Gesellschaft beschäftigt und bewegt sich sicher auf flachen wie auf hohen Schuhen. Schönen guten Tag!
Barbara Vinken: Guten Tag!
Timm: Frau Vinken, je schärfer die Krise, desto steiler der Absatz – stimmt das?
Vinken: Also Fuß und Schuh hat sicherlich was mit Wirtschaft zu tun. Das erkennt man ja schon an den Sprichwörtern, die wir haben. Wir sagen zum Beispiel, "der hat ja nichts an den Füßen" oder wir sagen "der lebt auf sehr großem Fuß", sodass der Fuß und der Schuh sozusagen pars pro toto für die finanzielle Potenz – in dem Fall eines Mannes – ist. Sicherlich hat das was damit zu tun. Ich glaube allerdings nicht, dass der Zusammenhang so unmittelbar gegeben ist, wie man das bei den Miniröcken ja auch annimmt, also je tiefer die Börsenkurse fallen, desto kürzer werden die Röcke und desto höher werden die Absätze. Also ganz so direkt ist, glaube ich, der Zusammenhang nicht.
Timm: Aber so Sprichwörter entstehen ja nicht ohne Grundlage. Gibt es irgendwie Zeiten, wo man sagen kann, na ja, die Finanzen ziemlich zerrüttet, das Luxussegment und damit der schicke Schuh, denen konnte das nichts anhaben?
Vinken: Ja, also der Schuh und das Geld hängen auf jeden Fall zusammen, wie man an diesen Sprichwörtern ja schon ganz klar sieht. Und es ist auch ganz oft so, dass die Leute zu Schuhen oder zu dem besonderen Absurden, fast Luxus, im Schuh Zuflucht suchen gegen die Tendenzen oder gegen die Krisenhaftigkeit vielleicht auch der Gesellschaft. Ein ganz schönes Beispiel sind etwa Jugendliche im Zweiten Weltkrieg in Paris, wo Gummi wahnsinnig teuer war und das Luxusgut schlechthin. Und die haben dann diese Mode erfunden, auf ganz hohen Gummiplateausohlen durch die Gegend zu laufen.
Der Schuh hat sozusagen immer etwas, was gegen die Krise oder was der Krise trotzt oder was im Angesicht der Krise einen Protest oder einen absurden, jedenfalls einen wahnsinnigen Luxus behauptet. Wenn Sie zum Beispiel auch an Venedig denken, da hatten dann die wohlhabenden Leute die sogenannten Zoccoli – das sind nämlich die ersten Plateauschuhe, die gingen so von 20 Zentimeter bis fast stelzenartigen halben Metern – und hoben natürlich die Trägerin, aber auch die Träger, das trugen Männer also durchaus, über die Menge hinaus.
Timm: Und in Griechenland diese Theaterschuhe, Kothurn heißen die, glaube ich. Frau Vinken, wenn es denn tatsächlich so ist, dass die Schuhmode die Zeit ein wenig riechen, ein wenig widerspiegeln kann die soziale Situation, dann ist es ja trotzdem erstaunlich, wie das funktioniert mit Trends, wie man Trends macht in der Mode, nächste Woche in Düsseldorf, denn wie der nächste Sommer wird, ob da nun wirtschaftlich alles den Bach runtergeht oder ob wir die Krise einigermaßen wuppen, das weiß ja jetzt noch kein Mensch. Wie funktioniert ein Trend in Zeiten, wo die wirtschaftliche Entwicklung extrem schwer voraussehbar ist?
Vinken: Das weiß man natürlich nicht, wie sich die Wirtschaft entwickelt, das ist ja ganz klar, und deswegen ist dieser direkte Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Mode auch nicht gegeben. Das sind eher so Gefühle – also Zutrauen, Vertrauen –, und diese Gefühle sind natürlich viel stabiler, sagen wir mal als die Börsenschwankungen. Und auf diese Gefühle, auf dieses Gefühl im Verhältnis zur Sicherheit, zum Wohlstand, darauf reagiert der Schuh. Aber wie gesagt, nicht mimetisch, also nicht unbedingt so, wenn die Wirtschaft runter, denn die Absätze runter, sondern wirklich oft gegenläufig, und zwar gegenläufig in fast so einem Sinne von "ich will aber trotzdem dieses Kleinod" oder "wenn schon alles schiefgeht, dann wenigstens nicht mein Schuh", so im Sinne von Rebellion eigentlich fast kann man sagen, gegen die Wirtschaftssituation.
Timm: Und ein Trend, zumindest angekündigt, sind jetzt High Heels mit Kampfabsätzen ab zehn Zentimetern. Es gibt schon richtig Kurse, wie man sich in denen halbwegs graziös bewegt, was ja Knochenarbeit ist, sexy Schuhe sexy tragen. Warum tut frau sich das an?
Vinken: Der Schuh ist sicherlich das Instrument, was die Silhouette am stärksten verändert, und das, was die Silhouette am stärksten verändert, sind natürlich High Heels. High Heels sind wie wenig andere Sachen ein extremer Marker von Weiblichkeit, aber auch von einer gewissen aggressiven Weiblichkeit, also nicht von diesem Hausmütterchentypus, sondern die hat schon was sehr Attraktives, was sehr die Weiblichkeit behauptet. Das kann auch großen Spaß machen, und offensichtlich stehen im Augenblick die Zeichen auf affirmative Weiblichkeit.
Timm: Haben Sie schon ein Lieblingsmodell?
Vinken: Ich finde Louboutin, diesen nackten Pumps mit der Plateausohle – das darf man natürlich auch nicht vergessen bei den zehn Zentimetern, die sind dann 12, 14, aber da ist ja das Plateau noch eingearbeitet. Das macht die Gymnastik etwas leichter, aber optisch bleibt es bei dieser extremen Streckung der Beine und bei der Veränderung der Silhouette. Also diese Naked Pumps von Louboutin sind dieses Jahr wirklich sagenhaft schön.
Timm: Also diese eingearbeiteten Hilfen, die trösten mich jetzt als Flachschuhträgerin nur bedingt, aber Sie haben die Weiblichkeit angesprochen, und es gibt Umfragen, dass 90 Prozent aller Männer heimlich Frauen auf High Heels lieben. Nun müssen wir das mal so stehen lassen, denn Umfragen, die eruieren, was Männer heimlich mögen, die sind ja auch nicht so wirklich überzeugend, aber wir lassen es mal stehen. Da können doch Frauen, die sagen, ich geh gerne flott durchs Leben, die können da ja eigentlich nur auf dem Absatz kehrtmachen?
Vinken: Wie hat Louboutin das mal so nett gesagt? Schuhe sind ja nicht nur zum Gehen da. Obwohl ich Ihnen in gewisser Weise recht geben würde. Ich denke schon, dass ein wirklich guter Schuh eigentlich auch ein Schuh ist, in dem man trotz zehn Zentimetern ganz gut laufen können muss. Und wenn Sie jetzt Schuhe anziehen, in denen Sie nur getragen werden können, ist das vielleicht auch nicht so ein wirklich starkes Statement.
Timm: Und wie kommt das eigentlich auch noch mal mit Blick auf Schuhmode und Wirtschaft und Gesellschaft, dass das jetzt doch sehr bei den Frauen gelandet ist, dass die Frauen die Trends machen? Denn eigentlich haben die Männer ja bei der Schuhmode immer einen Zentimeter voraus gelegen, so rahmengenähte Budapester Lederschuhe, schweineteuer, nicht unschick, aber auch nicht gefährlich, die standen immer für eine seriöse, eine modebewusste feine Erscheinung, ja, und die Frauen trippelten modetechnisch letztlich ein bisschen hinterdrein. Wieso hat sich das gedreht?
Vinken: Na ja, also ich denke, in allen modischen Sachen waren die Männer gerade mit Schuhen, wie Sie sagen – also nicht nur die Budapester, sondern diese Zoccoli zum Beispiel, also diese hohen Plateausohlen hatten Männer an, auch die hohen Plateausohlen nach dem Zweiten Weltkrieg hatten durchaus noch Männer an –, aber ich denke, diese männliche Entsagung ist sehr stark geworden, was die Männer angeht, außer natürlich bei den Dragqueens. Und denen können Sie, wenn Sie das können, auf der Christopher Parade oder so dieses Laufen in Highheels auch beibringen, und das ist sehr lustig. Das ist natürlich ein sehr spezielles Segment von Männlichkeit, wenn Sie so wollen, in der diese Moden überleben, also in der diese weiblichen Moden überleben.
Timm: Und das ist tatsächlich wahr, das ist historisch belegt, dass in bestimmten Zeiten Männer hohe Plateauschuhe getragen haben?
Vinken: Absolut. In Venedig die Zoccoli hatten Männer und Frauen an.
Timm: Welche Zeit ist das?
Vinken: Im 16. Jahrhundert. Und nach dem Zweiten Weltkrieg in Paris, diese Plateausohlen, wie gesagt aus Gummi, die wirklich sehr berühmt waren, hatten Männer an. Das hatten Frauen gar nicht an, das hatten nur Männer an sogar.
Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton" im Gespräch mit der Kulturwissenschaftlerin Barbara Vinken darüber, was uns der Schuh erzählt. Anlass ist die Modemesse der Branche in Düsseldorf Anfang September, und ein Trend sind luxuriöse Highheels. Frau Vinken, wenn wir von den Schuhen mal ein bisschen wegkommen, das ist ja generell so, dass das Luxussegment in der Mode generell sehr stabil ist, frei nach dem Motto: Wenn alles den Bach runtergeht, dann trete ich mein Geld mit Füßen und leiste mir teure Kleidung, teure Schuhe?
Vinken: Die Mode hat ja immer schon so was völlig Verausgabendes gehabt, was eigentlich aökonomisch ist. Die meisten großen Modeschöpfer sind Pleite gegangen. Lagerfeld jetzt nicht, aber (…) oder so was, also die großen Modeschöpfer, sind oft Pleite gegangen. Und zwar deswegen, weil, genau, weil Mode nämlich indifferent gegen Ökonomie ist, wenn Sie so wollen, und sich diesem Ökonomischen mit aller Gewalt widersetzt. Man kann sagen, die Mode rebelliert sozusagen gegen die wirtschaftliche Vernunft.
Timm: Andererseits gilt ja heute eher anything goes. Also zu den High Heels gibt es ja auch den Gegentrend, so die korrekten Ökoschuhe oder auch die – hab ich zumindest gerade gelernt – Protestschuhe aus Robbenfell oder Lachsleder, sieht schwer glibbrig aus. Das spielt doch wieder mit dem anything goes, alles ist möglich.
Vinken: Ja, es ist vielleicht schon anders möglich, aber wie Sie selber gesagt haben, ist dieser Trend, gerade was das Luxussegment bei Schuhen angeht, im Moment einfach sehr stabil, würde ich sagen. Sie brauchen nur nach New York zu gucken, allein schon die Secondhandläden für diese Luxusschuhe, also von Blahnik bis, weiß ich nicht, über Louboutin, die schießen wirklich wie Pilze aus dem Boden. Das heißt, dass dieses Begehren im Augenblick nach dem Schuh als Distinktionsmerkmal - überflüssig, also wie so ein Kleinod, wie so ein Schmuckstück, das aber trotzdem irgendwie noch eine praktische Funktion hat - das ist im Moment, glaube ich, ganz stark.
Timm: Wenn wir dann wieder auf etwas verspieltere, luxuriösere Moden zusteuern, dann frag ich mich, ob das nicht ein Gegentrend war früher. Turnschuhminister Joschka Fischer hat bei seiner Vereidigung als hessischer Umweltminister demonstrativ Turnschuhe getragen, 1985 war das. Da waren Schuhe ja auch ein politisches Statement.
Vinken: Das ist interessant mit den Turnschuhen. Mittlerweile ist der Turnschuh ja eigentlich auch ein Modeschuh geworden, etwa Yamamoto arbeitet zusammen mit Adidas und so weiter, also es gibt ja ganz viele ...
Timm: Davon wusste Fischer garantiert nichts.
Vinken: Nee, genau, davon wusste Fischer nichts. Das heißt, damals war der Turnschuh sozusagen nicht der angezogene Schuh, sondern der Schuh, der eben praktisch, quadratisch, gut, also nicht ästhetisch motiviert ist, aber gegen das Establishment der Budapester Schuhe, sagen wir jetzt mal, steht. Und diese harte Gegenüberstellung hat sich in dem Turnschuh völlig verändert. Der Turnschuh kann ein extrem modischer Schuh sein, er kann extrem teuer sein, und diese einfache Gegenüberstellung, also etablierter Schuh versus Rebellenschuh, die ist ja eigentlich gar nicht mehr gegeben, es hat sich ja viel differenzierter dargestellt oder stellt sich viel differenzierter dar.
Timm: Die Mode tritt die wirtschaftliche Tristesse manchmal mit Füßen, meint die Kulturwissenschaftlerin Barbara Vinken. Wir sprachen über den Zusammenhang von Mode, Schuh, Wirtschaft und Gesellschaft. Frau Vinken, ich danke Ihnen, und ich wünsche Ihnen, dass Sie nie stolpern!
Vinken: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.