Jean-Guihen Queyras, Violoncello
Prager Radio-Symphonieorchester
Leitung: Alexander Liebreich
Alte Musik im Neuen gespiegelt
Strawinsky oder Brahms griffen nach Alter Musik und entwickelten daraus ganz Eigenes: Werke zwischen klassizistischer Form und romantischer Träumerei. Im Prager Rudolfinum spielte auch Spitzen-Cellist Jean-Guihen Queyras.
Nach mehr als drei Monaten spielt das Rundfunksinfonieorchester Prag wieder im Rudolfinum. Am Pult steht der Chefdirigent Alexander Liebreich, der ab dem kommenden Jahr einen Posten als Chefdirigent im Orquestra de Valencia annimmt.
Liebe auf den zweiten Blick
Den Beginn des Abends macht die Suite aus dem Ballett "Pulcinella" von Igor Strawinsky. Der beschäftigte sich mit der Musik von Giovanni Battista Pergolesi und von anderen unbekannten Komponisten des 18. Jahrhunderts. Strawinsky hatte sich erst auf den zweiten Blick in diese Musik verliebt. Ein Dirigentenfreund konnte ihn für die "Alte Musik" begeistern – dann aber so richtig. Als "Epiphanie" bezeichnet Strawinsky die Bekanntschaft zur Musik aus dem 18. Jahrhundert, die auch sein Spätwerk beeinflusste.
Igor Strawinsky modernisierte die Originalvorlage mit eigenwilligen Rhythmen und Harmonien, er erweiterte Motive und begründete damit nicht zuletzt einen neuen Stil: den Neoklassizismus. Das Ballett "Pulcinella" wurde im Mai 1920 uraufgeführt. Bühnenbild und Kostüme stammten von Pablo Picasso. Und weil die Musik so erfolgreich war, machte Strawinsky 1922 aus dem Ballett eine Suite für Orchester.
Ein Thema von Haydn?
Johannes Brahms fasste den Plan, ein Variationenwerk für Orchester zu komponieren. Dabei griff er auf ein musikalisches Thema, das damals Joseph Haydn zugeschrieben wurde. Erst sehr viel später wurde bekannt, dass diese Melodie in Wirklichkeit ein altes Wallfahrtslied aus dem Burgenland ist. 1873 schloss Brahms seine Variationen op. 56a ab, in denen er den schlichten St. Antonii-Choral in acht Variationen entwickelte und durch verschiedene Stimmungen bewegte: Sanftmut, Melancholie, Übermut – all das klingt im jubelnden Finale aus.
Komponisten wie Antonin Dvořák, Edward Elgar oder später Arnold Schönberg haben diese Haydn-Variationen bewundert und ließen sich daraufhin zu ähnlichen Kompositionen inspirieren.
Originaler Haydn
Jean-Guihen Queyras spielt das Cellokonzert Nr. 1 in C-Dur von Joseph Haydn. Dieses Werk hat eine besondere Verbindung zum Prager Radio-Symphonieorchester. Die komplette Partitur wurde erst 1961 vom Musikwissenschaftler Oldřich Pulkert wiederentdeckt, also etwa 200 Jahre nach der Entstehung des Konzerts. Die Wiederaufführung fand ein Jahr später statt, beim Festival Prager Frühling mit dem Prager Radio-Symphonieorchester und dem legendären Cellisten Miloš Sádlo unter Sir Charles Mackeras.
"Ein Stück vom Himmel"
Der Cellist Jean-Guihen Queyras ist in diesem Konzert gleich zweimal zu hören. Neben dem Cellokonzert von Haydn spielt er auch das Andante cantabile für Cello und Orchester von Peter Tschaikowski.
Dabei handelt es sich um eine von Tschaikowski selbst angefertigte Bearbeitung des 2. Satzes aus seinem Streichquartett Nr. 1. 1876 wurde es uraufgeführt. Tschaikowski erinnert sich stolz an den erfolgreichen Abend: "Noch nie in meinem Leben war ich so stolz auf meine kompositorischen Fähigkeiten wie an diesem Abend, als Leo Tolstoi neben mir die Tränen herunterliefen, während das Quartett mein Andante spielte."
Alexander Liebreich schätzt die Intimität in dieser Musik besonders und bezeichnet das Andante cantabile als "Stück vom Himmel".
Aufzeichnung vom 19. April 2021 im Rudolfinum Prag
Igor Strawinsky
"Pulcinella", Ballettsuite
"Pulcinella", Ballettsuite
Joseph Haydn
Cellokonzert Nr. 1 C-Dur Hob. VIIb:1
Cellokonzert Nr. 1 C-Dur Hob. VIIb:1
Peter Tschaikowsky
Andante cantabile
Andante cantabile
Johannes Brahms
Variationen auf ein Thema von Haydn op. 56a
Variationen auf ein Thema von Haydn op. 56a