Jean-Louis Trintignant gestorben

Mit kontrollierter Leidenschaft und einem melancholischen Blick

05:23 Minuten
Jean-Louis Trintignant ind DER GROSSE IRRTUM / DER KONFORMIST
Als Schauspieler extrem erfolgreich, privat von Schicksschlägen gebeutelt: Jean-Louis Trintignant in "Der große Irrtum" © picture alliance / United Archives / Le Conformiste
Von Bernd Sobolla |
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Liebende, Nihilisten und Mörder: Der große französische Schauspieler Jean-Louis Trintignant spielte vor allem zurückhaltende, verklemmte oder auch philosophische Charaktere. Seine Karriere verdankte er auch seinem Improvisationstalent.

„Liebe Madame Laurant, lieber Monsieur Laurant! Es war ein schöner und trauriger Moment bei Ihnen. Ich wünsche Ihnen so sehr, dass sich bei Ihnen alles zum Guten wendet. In tiefer Dankbarkeit verbleibe ich, Ihr alter Schüler Alexandre.“

George, gespielt von Jean-Louis Trintignant, liest seiner kranken Frau Anne den Brief ihres Lieblings-Klavierschülers vor. Anne hat einen Schlaganfall erlitten, ist teilweise gelähmt, ihre Tage sind gezählt. Als Regisseur Michael Haneke das Drama 2012 inszenierte, hatte Jean-Louis Trintignant fast zehn Jahre nicht mehr vor der Kamera gestanden, war bereits 82 Jahre alt:
„Es ist interessant: Es gibt viele Filme über junge Leute, aber selten Werke über alte Menschen. Und dann diese Einfachheit – ganz unsentimental. Es wird nie pathetisch trotz der furchtbaren Geschichte.“
Zudem passte die Geschichte zu ihm – ihm, dem Star mit dem traurigen Gesicht, der so oft in ernsten Rollen zu sehen war: Jean-Louis Trintignant wird 1930 in der Provence geboren und stammt aus einer wohlhabenden Familie. Er interessiert sich für Poesie, studiert kurz Jura und nimmt ab 1950 in Paris Schauspielunterricht, gilt aber als untalentiert.
Das ändert sich, als ihn der Regisseur Roger Vadim entdeckt und 1956 zum Partner von Brigitte Bardot macht, in dem Erotik-Erfolgsfilm „Und immer lockt das Weib“. Wobei ihm eine Affäre mit Bardot nachgesagt wird.

Mit 36 Jahren ein Star

Allerdings sind Leichtigkeit und Erotik für Jean-Louis Trintignant eine Ausnahme. Schon bald setzen ihn Regisseure vorwiegend für zurückhaltende, verklemmte oder auch philosophische Charaktere ein. So spielt er 1966 in Claude Lelouchs „Ein Mann und eine Frau“ einen Witwer, der sich in eine Frau verliebt, gespielt von Anouk Aimée, die ebenfalls ihren Ehepartner verloren hat. 

„Wenn einem im Leben etwas unwahrscheinlich vorkommt, sagt man ‚wie im Film‘. Warum eigentlich? Nimmt man den Film nicht ernst? Was meinen Sie?“
„Ich weiß nicht. Vielleicht weil man nur ins Kino geht, um auf andere Gedanken zu kommen.“
„Sie meinen, deshalb gehen die Leute ins Kino?“

„Ein Mann und eine Frau“ wird zu einem der größten Erfolge der französischen Kinogeschichte, und Jean-Louis Trintignant ist mit 36 Jahren ein Star. Auch weil er, wie von Claude Lelouch gefordert, improvisieren kann: „Es gab kein festgelegtes Spiel. Claude hatte einen Dialog geschrieben, gab ihn uns aber nicht. Bevor wir drehten, sagte er, was für ihn das Wesentliche an dem Dialog war und nannte uns einzelne Sätze, die in der Szene drin sein mussten: 'Aber darum herum macht was ihr wollt!'"

Als bester Schauspieler in Cannes ausgezeichnet

Fortan dreht er mit den größten französischen und italienischen Regisseuren: Mit Claude Chabrol und Costa Gavras, Sergio Corbucci und Éric Rohmer, Bernardo Bertolucci oder Ettore Scola. 1969 wird Trintignant für seine Rolle als hartnäckiger Untersuchungsrichter in Costa-Gavras Politthriller „Z“ als bester Schauspieler in Cannes ausgezeichnet. Ein Jahr später dreht er mit Bertolucci „Der große Irrtum“.
Jean-Louis Trintignant im Alter von etwa 80 Jahren auf einer Bank, im Hintergrund ist eine Parkanlage zu sehen. Er gestikuliert mit der rechten Hand.
Unpathetisch aber ausdrucksstark: Jean-Louis Trintignant (2012).© AFP
Darin mimt er einen Konformisten im faschistischen Italien, der seine Homosexualität unterdrückt und sich der Geheimpolizei anschließt. Bertoluccis Angebot, die Hauptrolle in „Der letzte Tango in Paris“ zu spielen, lehnt er jedoch ab, weil er die vielen Nacktszenen scheut.
Seine Versuche als Regisseur scheitern. 1983 dreht er mit Francois Truffaut den Krimi „Auf Liebe und Tod“. Es ist Truffauts letzter Film, und Jean-Louis Trintignant spielt einen betrogenen Ehemann.

Zwei Töchter sterben

Enttäuschungen erlebt Trintignant auch im Privaten: Seine erste Ehe hält nur kurz. Aus der zweiten gehen drei Kinder hervor, wobei die Tochter Pauline 1969 an plötzlichem Kindstod stirbt und seine Tochter Marie 2003 durch eine Prügelattacke ihres Freundes umkommt. Vielleicht ist es kein Zufall, dass er in Krzysztof Kieslowskis Film „Drei Farben: Rot“ eine seiner besten Rollen spielt. Einen zynischen, altersmüden Richter, der die Telefonate seiner Nachbarn abhört:

„Um ehrlich zu sein, ich weiß nicht, ob ich auf der richtigen oder der falschen Seite stand. Hier weiß ich wenigstens so ungefähr, wo die Wahrheit zu finden ist.“

Nihilisten, Mörder oder Liebende, Jean-Louis Trintignant spielte sie alle mit großer, aber kontrollierter Leidenschaft und mit melancholischem Blick. Das gilt auch für seinen letzten Film, den er 2017 mit Michael Haneke drehte: das Familiendrama „Happy End“.

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