Jean-Luc Godard wird 90

Liebe, Tod, le Cinéma

05:31 Minuten
Jean-Luc Godard im Februar 1985 bei den Filmfestspielen in Berlin.
Jean-Luc Godard im Februar 1985 bei den Filmfestspielen in Berlin. © imago images / teutopress
Von Hartwig Tegeler |
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Jean-Luc Godard ist einer der einflussreichsten Regisseure der französischen Neuen Welle, der Nouvelle Vague. Nun wird der immer wieder provozierende Filmemacher 90 Jahre alt. Wir schauen auf fünf seiner bedeutendsten Werke.

Platz 5 – "Außer Atem" (1960)

Der Kleinkriminelle Michel – Jean-Paul Belmondo – und die amerikanische Studentin Patricia – Jean Seberg –, rauchend, auf dem Bett sitzend, vor der Polizei fliehend. Liebe. Tod. Le Cinéma eben!

Godards Debüt drehte die filmischen Erzählstandards durch die Mühle: Handkamera, natürliches Licht, Jump Cuts, Achsensprünge, Asynchronität von Bild und Dialog. Der flirrende Geist des Aufbruchs der frühen 1960er-Jahre in eine filmische Form gebracht. Und dann dieses Ende: Belmondo läuft vor der Polizei weg. Der Schuss. Belmondo fällt hin und drückt sich, weil er ja einen vollendeten Filmtod sterben will, selbst die Augen zu. Von hier aus revolutionierte Godard das Kino; sein Einfluss auf andere Filmemacher war riesig.

Platz 4 – "Die Verachtung" (1963)

Die radikale filmische Form von "Außer Atem" war aber auch dem mangelnden Budget geschuldet. Ach ja, das Filmemachen, das Geld und die Kunst. Den Aphorismus vom "Film als Schlachtfeld", den der Regisseur Samuel Fuller 1965 in Godards "Pierrot Le Fou" formuliert, bezieht sich auch auf die dem Filmemachen ewig innewohnende Auseinandersetzung zwischen Kommerz und dem Beharren auf Kunst.
Der alte Regisseur Fritz Lang, der Regisseur, der die Odyssee verfilmt, philosophiert in "Die Verachtung": "Jeder Film muss eine Idee klar zum Ausdruck bringen, Jerry. Hier geht es um den Kampf des Individuums gegen das Schicksal." Das Filmemachen, die scheiternde Beziehung zwischen dem Drehbuchautor und seiner Frau – Michel Picoli und Brigitte Bardot –, das Licht von Capri und die Selbstreflexion über das Filmemachen in dem schicksalhaft ewigen Kampf des Filmemachers gegen den Produzenten/"Geldfritzen".
Am Ende aber siegen sie, die magisch schönen Bilder, wenn Odysseus über´s Meer blickt.

Platz 3 – "Weekend" (1967)

Wie Eisenstein oder Pasolini nutzte auch Godard Ende der 1960er-Jahre den Film, um Marx´ Theorien zu verbreiten. Er prangert er die Dekadenz der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft an, wähnt sie kurz vorm Zusammenbruch. In "Weekend" steht dafür das Bild von endlosen Staus und Autounfällen.

Der Kapitalismus hat das soziale Zusammenleben zerstört, nur die Revolution kann Abhilfe schaffen, sagt Godard und lässt "Alice im Wunderland", Emily Brontë und den Revolutionär Saint-Just auftreten. Godard im Dienst des Klassenkampfes in einem Film, der ideologisch, ästhetisch und dramaturgisch ganz und gar aus einem anderen Jahrhundert stammt. "Weekend" endet mit einer Schrifttafel, auf der zu lesen steht "Fin du Cinéma" – das Ende des Kinos. Das Kino war aber nicht zu Ende und auch nicht bei Godard selbst.

Platz 2 – "Vorname Carmen" (1983)

Fast eine konventionelle Erzähldramaturgie, fast. Godard spielt den einst großen Filmregisseur, der über die Zeitläufte philosophiert und parliert: "Heutzutage macht man nie das, wozu man Lust hat. Ich habe Lust, das zu sagen, also sage ich es." Maruschka Dettmers als Carmen, die Nichte des Filmemachers, Mitglied einer Bande, die eine Bank überfallen will. Carmen wird sich in einen Polizisten verlieben. Parallel dazu die Proben eines Streichquartetts.

Film als Komposition zwischen Tönen, Musik, Geräuschen und einer Geschichte, die die Grenzen zwischen dem Komödiantischen und dem Ernsten virtuos durcheinanderwirbelt. Bilder und Bedeutungen sind ganz von der Leine gelassen.

Platz 1 – "Bildbuch" (2018)

Das Spätwerk. Keine konventionelle Filmerzählung mehr, sondern überbordende Collagen aus Fragmenten der Filmgeschichte, Literatur, bildender Kunst, dazu die komplexen Bezüge zur Musik. Immer hermetischer, vom Zuschauer vollkommene Hingabe an den Bewusstseinsstrom in Bildern verlangend. Wie immer dadurch die Reflexion und Selbstreflexion des Filmamchers.

Spürbar, in allen Stilen, die zitiert und entworfen werden in den Film-Essays wie "Bildbuch" der Wunsch Godards, mit seinen Bildern ein Bild der Realität zu erschaffen, zu dekonstruieren und es wieder neu zu schöpfen.
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