Die Ausstellung "Jecheskiel David Kirszenbaum – Karikaturen eines Bauhäuslers zur Weimarer Republik" ist in der Volkshochschule Weimar bis Ende Januar 2022 zu sehen, bevor sie auf Tournee im In- und Ausland geht.
Gegen den betonierten eisigen Geist
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Jecheskiel David Kirszenbaum war in der Weimarer Republik ein bekannter Karikaturist, der in Satirezeitschriften politische Kritik übte. Eine Ausstellung in der Klassikerstadt und eine reichhaltige Webseite stellen sein zeichnerisches Werk vor.
"Ich finde, das war eine richtig clevere Idee von uns!" Ulrich Dillmann ist stolz auf seine neue Ausstellung. Er ist Leiter der Weimarer Volkshochschule. Die Ausstellung über drei Etagen, in allen Gängen, widmet sich den Karikaturen von Jecheskiel David Kirszenbaum.
Der 1900 im polnischen Staszów als Sohn eines orthodoxen Rabbiners geborene Kirszenbaum war in der Weimarer Republik recht bekannt. Er verkehrte unter anderem mit John Heartfield, Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky und veröffentlichte seine Karikaturen in linken Satirezeitschriften wie "Ulk" oder "Roter Pfeffer". Inzwischen ist Kirszenbaum fast vergessen.
Ein Großneffe in Israel erzählte im Goethe-Institut von ihm, von dort aus rief man in Weimar an: "Wollt ihr nicht was machen? Der Mann hat schließlich am Bauhaus in Weimar studiert!"
"Weimar ist schon ein bisschen Nabel der Welt", meint Ulrich Dillmann. "Kann man das so sagen? Alle sagen das; ich weiß nicht, ob das so stimmt. Kirszenbaum, ich sage ganz ehrlich, war mir nicht bekannt. Bauhäusler kennt man viele, aber dann hat sich das im Laufe der Zeit einfach entwickelt. Es wurde immer größer, weil es auch spannend ist, weil es ein Mensch ist, der wirklich damals viel zu sagen hatte – und was man auch noch auf die heutige Zeit sehr stark und sehr gut projizieren kann."
Ulrich Dillmann beauftragte Bernhard Post, der 25 Jahre das Thüringer Hauptstaatsarchiv geleitet hat und dort auch für das Bauhaus zuständig war. Mittlerweile ist er pensioniert. Laut Dillmann gehöre er aber immer noch der "Archivarsmafia" an.
"Um den Begriff Archivarsmafia noch mal aufzugreifen: In Corona-Zeiten war es natürlich nicht so ganz einfach", erzählt Bernhard Post. "Alle Lesesäle waren geschlossen und so weiter. Da ist es ganz gut, wenn man ein Netzwerk hat und anrufen kann, sagen kann: 'Kannst du mal nachschicken!?' Kriegt die Berliner Akte zugeschickt, also in Kopie, oder so was in der Art. Das ist damit gemeint."
Jecheskiel Kirszenbaum wollte in Krakau Kunst studieren, das scheiterte aber mangels Bildung und Geldes. Er ging als Bergarbeiter ins Ruhrgebiet, fiel als Maler auf und wurde ans Bauhaus in Weimar empfohlen. Kirszenbaum studierte bei Johannes Itten, Lyonel Feininger, Paul Klee. Wassily Kandinsky schlug ihn für eine Dozentenstelle vor, was Walter Gropius ablehnte – angeblich wegen Kirszenbaums Verhältnis zum Expressionismus.
Bauhaus ohne Seele
"Kirszenbaum selbst berichtete vom betonierten Geist des Bauhauses, der ihm sehr eisig erschien und ohne Seele und ohne menschliche Realität", sagt Bernhard Post.
Und damit gelangt man mitten in Kirszenbaums Werk. Neben dem jüdischen Schtetl, seiner Herkunft, scheinen Marc Chagall, das Bauhaus, der Expressionismus, auch der Kubismus durch seine Grafiken und Gemälde. In den Karikaturen allerdings nicht selten ironisch gebrochen.
Bernhard Post: "Sie sehen hier: Ein Ausstellungsbesucher, der sagt 'Abstrakte Kunst, Expressionismus muss strukturell sein, und alles, was die Natur irgendwie abbildet, ist Kitsch und bereitet ihm Brechreiz'. Und schauen Sie sich diesen Herrn hier, diesen Ausstellungsbesucher, mal an, der hier so diese Kritik äußert!"
Der Herr, der hier auf ein abstraktes Gemälde blickt, ähnelt verblüffend Walter Gropius. Eine andere Karikatur zeigt einen vergeistigten Herrn mit Schal und Hornbrille, der sinniert:
"Es schwebt mir etwas in Orange vor. Dies ins Atonale umgesetzt, ergäbe einen phänomenalen Sechszeiler!"
Damit nimmt Kirszenbaum Bezug auf die Symbiose zwischen Musik, Poesie und Malerei, möglicherweise konkret auf Paul Klees "Fuge in Rot".
Moderne Frauen, bräsige Männer
Ein anderes Thema sind die modernen Frauen der Roaring Twenties, die mit kurzen Röcken und Haaren alkoholtrinkend und rauchend die Männer verunsichern. Die wiederum kommen, wenn sie nicht zerknittert und verschroben aussehen, fast genauso feist und bräsig daher wie bei George Grosz. Wirtschaftskrise, korrupte Geschäftsleute, Rüstungsgeschäfte, die aufkommenden Nazis, Rationalisierer in der Wurstfabrik, das neue Medium, in dem Fall Radio, der Umgang mit der Wahrheit – vieles, was Kirszenbaum zeichnet, kommt uns seltsam bekannt vor.
So hat sein grafisches Werk zumindest in den Zeitschriften überlebt. Die meisten Originale haben die Nationalsozialisten in Paris vernichtet, wohin Kirszenbaum 1933 emigriert war.
Die Weimarer Ausstellung zeigt so auch nur bedruckte Platten, allerdings in bester Qualität. Mindestens 30 andere Volkshochschulen wollen die Ausstellung übernehmen; sie soll auch in Paris und Jerusalem zu sehen sein. Mindestens ebenso gut sind der Katalog und der grafisch wie inhaltlich herausragend professionell gestaltete Internetauftritt, die beide die gesamte Ausstellung abbilden.
Ein charmanter Bonus für Blinde und Sehbehinderte oder auch Audio-Fans ist eine gut anderthalbstündige Führung durch die Ausstellung, abrufbar als Audiofile. Einziges Manko: Man kann sich nicht frei darin bewegen, muss also unbedingt von Anfang an hören:
"Auf den zwei Tafeln zur Biografie begegnet uns als erstes ein Porträtfoto des 20-jährigen Künstlers aus dem Besitz der Familie. Ein brav aussehender junger Mann mit schwarzem Anzug und weißem Kragen posiert mit Stift vor einer Staffelei. Unterschrift J. D. Kirszenbaum beim Zeichnen. Kirszenbaum mit s-z in der Mitte."