Jedediah Purdy: "Die Welt und wir. Politik im Anthropozän"
Aus dem Englischen von Frank Jakubzik
Suhrkamp, Berlin 2020
187 Seiten, 18 Euro
Demokratischer Sozialismus in grün
06:55 Minuten
Auch in Umweltfragen sind die USA zwischen „Green New Deal“ und Kohlekraftlobby politisch gespalten. Der Geschichte, aber vor allem der Zukunft von gesellschaftlichen und ökologischen Themen widmet sich Jedediah Purdy in seinem neuen Buch.
Jedediah Purdy ist Jurist und Kulturwissenschaftler, verfolgt seine Themen somit aus einer Doppelperspektive, einer umfassend historischen und einer, gleichsam bottom up, kollektiv biografischen. Das spiegelt nicht nur in gewisser Weise die momentane Spaltung der USA, sondern erscheint ihm auch als Lösungsansatz vielversprechend.
Purdy plädiert nämlich für einen "demokratischen Sozialismus", den er für fast deckungsgleich hält mit dem viel diskutierten "Green New Deal" - beides Alternativen zum "sozialen Sadismus", den er nicht erst seit Trump am Werk sieht. Ökologie sei immer auch eine soziale Frage - Umweltbewegungen fokussieren auf ein Ideal unberührter Natur, aber blenden die konkrete Lebensumwelt der Menschen aus, von der diese abhängen.
Wer wohnt auf dem Hügel und wer flussabwärts?
Schon mit der "Landnahme historischen Ausmaßes" fingen die Probleme an, glaubt Purdy: "Aus dem gemeinsamen Reichtum ist nie ein dem Gemeinwohl verpflichtetes Gemeinwesen entstanden". Die Kolonisten nahmen den Indigenen das Land mit Gewalt und dem Argument, "Eigentum an einem Terrain könne nur der erwerben, der es adäquat bearbeite".
Das galt dann auch für den Bergbau, ja für den Raubbau an den natürlichen Ressourcen allgemein, und natürlich für all diejenigen, die kein Land hatten, also auch die angeblichen Kolonisten, eigentlich aber selbst Kolonisierten in der weißen Bevölkerung: "Die Frage, wem das Staatsland letztlich gehört, ist zugleich ein Disput darüber, wer 'zum Volk' gehört und es auf irgendeiner Ebene zu vertreten berechtigt ist."
Schon die Gründerväter hatten hier keine rühmliche Rolle gespielt, waren doch fast alle Sklavenhalter und Besitzer riesiger Ländereien. Firmen und Landbesitzer konnten rechtlich an diese Tradition anknüpfen: Lohnabhängige Arbeiter haben quasi per Naturrecht weniger Mitspracherecht.
Topologisch gesprochen, so Purdys Bild: Unternehmer wohnen auf den Hügeln, darunter stehen ihre Fabriken, und flussabwärts (so der sprichwörtliche Ausdruck) leben die Menschen an, in, mit und von den Giften, die die Fabriken in den Fluss einleiten. "Wer keine Macht über seine Umgebung hat, wird von ihr unterdrückt."
Purdy beruft sich auf Emerson und Thoreau
All das ist rechtens – und der Jurist Purdy führt die Ungerechtigkeit und Ungleichheit weithin auf dieses Rechtsverständnis zurück – und auf die Werte, in denen diese Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit wurzeln. Natur sei das Ideal einer privilegierten Klasse: Gewerkschaften kämpfen für bessere Lebensbedingungen – mit der Einsicht, dass dafür auch die Natur nicht immer unversehrt bleibt – und Grüne für eine Natur ohne Menschen.
"Umweltgerechtigkeit" heißt daher die neue Utopie, für die sich auch Purdy engagiert. Für ihn ist sie eine auch in den USA traditionsreiche Variante – er beruft sich vor allem auf Emerson und Thoreau – eben jenes demokratischen Sozialismus, der in der Einsicht wurzelt, dass eine Volkswirtschaft nicht einfach nur Wohlstand produziert, sondern zugleich auch Lebensweisen und Beziehungen.
Gegen den "sozialen Sadismus"
Genau auf dieser Grundlage war ja die Idee eines Commonwealth entstanden, das alle mitgestalten und von dem entsprechend alle profitieren. Das herrschende Wertesystem des Neoliberalismus sei dagegen alles andere als "natürlich" – ja, gerade was uns natürlich erscheint, sollte uns als ideologisch suspekt sein: "Die von uns geschaffene Welt zwingt uns bestimmte Arten von Werten auf", doch was Menschen geschaffen haben, können Menschen ändern – zum Beispiel durch die entsprechenden staatlichen Institutionen, die wir daher eher stärken statt schwächen sollten.
Purdys sanfte Überzeugungsrhetorik täuscht freilich nicht darüber hinweg, dass sein Ansatz der Ökologie als sozialem Belang, der sie als die gesamte Lebensumwelt begreift, ein Aufruf ist zur radikalen Umwertung unserer Werte.
Ein stimmiges Programm, das dem herrschenden "sozialen Sadismus" das Wasser abgraben will.