Jeden Tag Krieg
Unvorstellbar war das Leid der Menschen im durch die Wehrmacht eingekesselten Leningrad. Den Alltag in der zerstörten und ausgehungerten Stadt schildert das Tagebuch der 16-jährigen Lena. Ihre Aufzeichnungen wurden erst kürzlich gefunden und liegen nun auf Deutsch vor.
Der Frühsommer 1941 könnte für Lena so viel Leichtigkeit bringen. Die Schule ist aus, die Prüfungen einigermaßen über die Bühne gebracht. Und dann ist da noch Wowka. Der junge Mann, an den sie ihr Herz verloren hat.
"Ja, natürlich wird mich später irgendjemand lieben", schreibt sie in ihr Tagebuch. "Aber was soll ich mit später. Ich will jetzt geliebt werden. Solange ich sechzehn bin."
Seitenlang schwärmt die 16-Jährige von Wowka. Vielleicht war er der Anlass, dieses Tagebuch zu beginnen, das Jahrzehnte verschollen war und erst im Jahr 2010 in einem städtischen Archiv wieder auftauchte. Ein Sensationsfund, denn bisher ist kaum ein vollständiges Tagebuch aus der Blockade-Zeit Leningrads an die Öffentlichkeit gekommen. Die Schriftstellerin Lena Gorelik, selbst in Leningrad, dem heutigen St.Petersburg, geboren, war an der Übersetzung beteiligt und liefert ein sehr persönliches Vorwort zu dieser Ausgabe.
"Ja, natürlich wird mich später irgendjemand lieben", schreibt sie in ihr Tagebuch. "Aber was soll ich mit später. Ich will jetzt geliebt werden. Solange ich sechzehn bin."
Seitenlang schwärmt die 16-Jährige von Wowka. Vielleicht war er der Anlass, dieses Tagebuch zu beginnen, das Jahrzehnte verschollen war und erst im Jahr 2010 in einem städtischen Archiv wieder auftauchte. Ein Sensationsfund, denn bisher ist kaum ein vollständiges Tagebuch aus der Blockade-Zeit Leningrads an die Öffentlichkeit gekommen. Die Schriftstellerin Lena Gorelik, selbst in Leningrad, dem heutigen St.Petersburg, geboren, war an der Übersetzung beteiligt und liefert ein sehr persönliches Vorwort zu dieser Ausgabe.
Kindheit und Jugend scheinen mit einem Schlag beendet
Wir lesen, wie die unerfüllte Jugendliebe der Tagebuchschreiberin in den Hintergrund tritt, als Anfang September die Blockade der Stadt beginnt. Die deutsche Wehrmacht zieht in kürzester Zeit einen Ring um Leningrad. Erklärtes Kriegsziel ist nicht die Kapitulation der Bewohner, sondern deren Auslöschung.
Lena wird, wie ihre Schulkameraden, alsbald zum Arbeitsdienst eingezogen. Kindheit und Jugend scheinen mit einem Schlag beendet zu sein. Fast täglich notiert sie in aller Ausführlichkeit in ihr Tagebuch, was sie erlebt. So zählt sie akribisch jeden der hunderten Bombenalarme auf, so dass man als Leser zu ermüden droht; dann jedoch feststellen muss, dass die permanente, aber unregelmäßige Bombardierung einer Stadt Teil der Kriegsführung ist - mal jede halbe Stunde, mal deutlich seltener, aber immer wieder: Alarm, Bomben, Luftschutzkeller, Alarm, Bomben, Luftschutzkeller... und immer so weiter. Bis die, die noch leben, zermürbt sind.
Doch Lena zeigt sich in ihrem Tagebuch als stark, sie will durchhalten:
"Krieg und Hunger, sei's drum", schreibt sie wenige Wochen nach Beginn der Angriffe. "Das Leben geht seinen Gang. Alles, was wir durchmachen müssen, das alles ist nur vorübergehend. Nur den Kopf nicht hängen lassen."
Beeindruckend, wie lange die 16-Jährige ihre Stärke behält, wie sie kaum Selbstmitleid entwickelt, wie sie versucht, Trauer nicht zu zeigen.
Sie wird von heute auf morgen mit massenhaftem Sterben und mit Leid konfrontiert, auch ganz direkt als Aushilfsschwester in einem Hospital. Sie schreibt darüber so, als ob dies eben nun ihre Aufgabe und ihr Schicksal seien - bis zu dem Moment, in dem die Deutschen vertrieben sind, bis ihre Stadt wieder aufersteht.
Lena wird, wie ihre Schulkameraden, alsbald zum Arbeitsdienst eingezogen. Kindheit und Jugend scheinen mit einem Schlag beendet zu sein. Fast täglich notiert sie in aller Ausführlichkeit in ihr Tagebuch, was sie erlebt. So zählt sie akribisch jeden der hunderten Bombenalarme auf, so dass man als Leser zu ermüden droht; dann jedoch feststellen muss, dass die permanente, aber unregelmäßige Bombardierung einer Stadt Teil der Kriegsführung ist - mal jede halbe Stunde, mal deutlich seltener, aber immer wieder: Alarm, Bomben, Luftschutzkeller, Alarm, Bomben, Luftschutzkeller... und immer so weiter. Bis die, die noch leben, zermürbt sind.
Doch Lena zeigt sich in ihrem Tagebuch als stark, sie will durchhalten:
"Krieg und Hunger, sei's drum", schreibt sie wenige Wochen nach Beginn der Angriffe. "Das Leben geht seinen Gang. Alles, was wir durchmachen müssen, das alles ist nur vorübergehend. Nur den Kopf nicht hängen lassen."
Beeindruckend, wie lange die 16-Jährige ihre Stärke behält, wie sie kaum Selbstmitleid entwickelt, wie sie versucht, Trauer nicht zu zeigen.
Sie wird von heute auf morgen mit massenhaftem Sterben und mit Leid konfrontiert, auch ganz direkt als Aushilfsschwester in einem Hospital. Sie schreibt darüber so, als ob dies eben nun ihre Aufgabe und ihr Schicksal seien - bis zu dem Moment, in dem die Deutschen vertrieben sind, bis ihre Stadt wieder aufersteht.
Vertrauen in ein Tagebuch
Daran hält sie sich fest, zuweilen auch mit diesem oder jenem Propaganda-Spruch - nicht wissend, dass Stalins Generäle der normalen Zivilbevölkerung der Stadt nur wenig Priorität beimessen.
Als der Winter anbricht, die Wohnungen nicht mehr geheizt werden können, das Essen knapp wird und die Alten und Schwachen zu Tausenden sterben, schleicht sich auch bei Lena Verzweiflung in ihr Tagebuch.
"Gott! Wann hat das alles ein Ende!"
Wenig später ist sie allein, ihre Mutter, ihre Ziehmutter und eine Mitbewohnerin sterben. Sie selbst kann mit viel Glück im Sommer 1942 die Stadt verlassen.
Sie hat überlebt, aber ist eine andere geworden - auch das zeigt dieses anrührende Tagebuch, diese Chronik eines Kriegsjahres in der Hungerhölle; Einträge, die ihr geholfen haben müssen, diese Zeit durchzustehen.
Es war die Sprache, es war das Vertrauen in ein Tagebuch, die Lena Muchina Kraft gegeben haben. Manchmal auch ungelenke Gedichte und jugendlicher Pathos. In jedem Fall aber ist Lenas Tagebuch die Geschichte einer Rettung. Und das ist nach einer Lektüre bei der man als Leser mit unendlich viel Leid konfrontiert wird, ein Gedanke, der vielleicht etwas zu trösten vermag.
Besprochen von Vladimir Balzer
Als der Winter anbricht, die Wohnungen nicht mehr geheizt werden können, das Essen knapp wird und die Alten und Schwachen zu Tausenden sterben, schleicht sich auch bei Lena Verzweiflung in ihr Tagebuch.
"Gott! Wann hat das alles ein Ende!"
Wenig später ist sie allein, ihre Mutter, ihre Ziehmutter und eine Mitbewohnerin sterben. Sie selbst kann mit viel Glück im Sommer 1942 die Stadt verlassen.
Sie hat überlebt, aber ist eine andere geworden - auch das zeigt dieses anrührende Tagebuch, diese Chronik eines Kriegsjahres in der Hungerhölle; Einträge, die ihr geholfen haben müssen, diese Zeit durchzustehen.
Es war die Sprache, es war das Vertrauen in ein Tagebuch, die Lena Muchina Kraft gegeben haben. Manchmal auch ungelenke Gedichte und jugendlicher Pathos. In jedem Fall aber ist Lenas Tagebuch die Geschichte einer Rettung. Und das ist nach einer Lektüre bei der man als Leser mit unendlich viel Leid konfrontiert wird, ein Gedanke, der vielleicht etwas zu trösten vermag.
Besprochen von Vladimir Balzer
Lena Muchina: Lenas Tagebuch. Leningrad 1941-1942
Aus dem Russischen übersetzt und mit Vor- und Nachwort sowie Anmerkungen von Lena Gorelik und Gero Fedtke
Graf Verlag, München 2013, 18 Euro
Aus dem Russischen übersetzt und mit Vor- und Nachwort sowie Anmerkungen von Lena Gorelik und Gero Fedtke
Graf Verlag, München 2013, 18 Euro