"Jeder hat Potenzial"
Der Tänzer und Choreograf Royston Maldoom hat auf der ganzen Welt mit Kindern und sozial Benachteiligten gearbeitet. Trotzdem sieht er sicht nicht als Sozialarbeiter, sondern als Künstler. Die erhofften sozialen Effekte gelängen am besten beim Tanz, denn "das ist eine sehr soziale Aktivität".
Susanne Führer: Seit dem Film "Rhythm is it" ist der Tänzer, Choreograf und Tanzpädagoge Royston Maldoom in Deutschland ein Star. Dieser Film zeigt, wie Royston Maldoom mit Berliner Schülern Strawinskys "Sacre du Printemps" einstudiert und dem staunenden Zuschauer die Wahrheit des Untertitels des Films, "You can change your live in a dance class – Du kannst durch Tanzen dein Leben ändern". Jetzt hat Royston Maldoom seine Autobiografie geschrieben, "Tanz um dein Leben" heißt sie. Sie beschreibt seine Arbeit in vielen Ländern der Erde und seine Geschichte. Ich freue mich sehr, dass Sie hier sind, Royston Maldoom!
Royston Maldoom: Danke!
Führer: Beim Lesen dieser Autobiografie erlebt man ja so einige Überraschungen, zum Beispiel die, dass Sie eigentlich als junger Mann zunächst Landwirt werden wollten ...
Maldoom: Ja, ja.
Führer: ... bis Sie dann einen Film übers Royal Ballet gesehen haben mit Margot Fonteyn und Rudolf Nurejew, und da stand dann der Entschluss fest: Ich will tanzen. Sehen Sie eigentlich irgendwo eine Verbindung zwischen diesen beiden Lebensträumen?
Maldoom: Ja, das Problem für mich, wenn ich jung war, ist, was soll ich sein, was ich kann tun, das nicht eine Arbeit ist, so ein Job ist, aber ist ein Leben für mich. Und die beiden sind so. Sie sind nicht Jobs. Als Landwirtschaftsarbeiter oder als Tänzer, das ist nicht ein Job, das ist ein Leben. Und man denkt vielleicht, dass ich habe kein Interesse an Kunst, aber in der Schule, wo ich so schrecklich war, hatte ich viel Interesse in Malerei oder in Musik oder Literatur und so. Das war nicht so eine Überraschung, dass wenn ich so diese körperlichen Dinge mit Nurejew gesehen habe und auch mit das emotional Reaktion zu Musik und so. Nein, das ist nicht so eine Überraschung für mich.
Führer: Die Tanzausbildung haben Sie dann in London zunächst gemacht und vor allem ja bei Emigranten, bei Juden, die vor den Nationalsozialisten fliehen mussten, und Jahrzehnte später haben Sie diesen Schatz ja sozusagen zurück nach Deutschland gebracht. Das fand ich ja einen schönen Kreis, der sich da schließt. Also, Sie haben bei Hilde Holger gelernt, bei Stella Mann ...
Maldoom: Ja, ja, klar, klar. Ich bin zu Ende hier in Deutschland, und in Deutschland hat mir und meine Arbeit besser verstehen als in England oder andere Länder. Und das war nur seit zehn Jahren, dass ich habe verstehen, wovon meine Arbeit kommt, von diesen Leuten. Meine Lehrerin und Lehrer, sie kommen aus, sie waren Flüchtlinge von Österreich oder von Prag oder von Berlin. Ja, das ist ein interessanter Kreis.
Führer: Ja, Sie haben das Erbe sozusagen wieder zurückgebracht und belebt.
Maldoom: Ja, ja. Meine Arbeit ist gemischt von Contemporary Dance und auch von Ausdruckstanz. Ich war immer interessiert in dieser Ausdruckstanz, in Expression, Expressionismus, und das geht für junge Leute und für Laientänzer gut, diese gemischte physische korporalische und emotionale Expressionismus.
Führer: Und Sie haben in Ihrer Arbeit ja einen Grundsatz, das sieht man auch ganz schön in dem Film "Rhythm is it", aber in dem Buch wird es noch mal deutlicher, dass auch die Laien lernen müssen, das Versagen anzunehmen, zu scheitern, und Sie wenden sich gegen diese, wie Sie sagen, "Kuschelpädagogik", man soll immer loben. Warum, finden Sie, ist das Scheitern so wichtig?
Maldoom: From failure we learn. Ohne failure, wie kann man lernen? Ich frag immer zu Kinder: Habt ihr einen Fehler gemacht? Und erst mal sagen sie: Nein, nein, nein. Ich sage: Oh! Vielleicht sagt einer: Ja, ich hab einen Fehler gemacht. Ich sag: Ah, wie schön, du hast einen Fehler gemacht, dann hast du die Möglichkeit, besser zu machen. Aber für die anderen, das ist keine Möglichkeit. Und dann ich frage noch mal, und alle sagen: Ja, wir haben Fehler gemacht. Und sie wissen, was sie haben gemacht. Sie können sagen, wir haben diese oder das Fehler gemacht. Aber man muss verstehen, dass wenn ich sag, ihr habt einen Fehler gemacht, ich sag nicht, dass du bist ein Falscher oder ein Fehler, du bist nicht dumm. Ich kann sagen immer, ja, was du gemacht hast hier, war dumm, aber das nicht ist, dass ihr seid dumm, selbst.
Führer: Das verbindet sich ja mit Ihrem anderen, man kann sagen zentralen Glaubensgrundsatz: der Glaube an das Potenzial in jedem Menschen. Sie beschreiben sich ja selbst als streng in dem Buch und erzählen von Ihren vielen Wutausbrüchen, die Sie hatten, und trotzdem nehmen Ihnen die Schüler das nicht übel, weil sie immer diesen Glauben an das Potenzial haben, was jeder Mensch in sich hat. Und da habe ich so gedacht, ja, das klingt so schön, aber wie kommt man denn zu diesem Glauben?
Maldoom: Meine Frage ist, wie kommt man zu dem Unglauben?. Was heißt das auf Deutsch? Experience. Ja, ich arbeite ...
Führer: Erfahrung?
Maldoom: ... nur von Erfahrung, und das war meine Erfahrung immer in mein Leben. Vielleicht trifft man mit eine, der hat etwas zu tun, der Krimi ist oder so, und ich arbeite im Gefängnis und so, sie haben etwas schrecklich gemacht. Und wir arbeiten zusammen, dass ich finde, das ist ein Mensch, sehr sensibel ist, sehr traurig ist, hat vielleicht Probleme selbst. Und das, was er gemacht hat, ist eine Reaktion zum Leben. Ich finde, dass jeder hat Potenzial. Mein Potenzial und sein Potenzial ist etwas anderes vielleicht, aber wir haben dieses große Potenzial.
Führer: Eben, da habe ich mich gefragt, wie Sie das schaffen – Sie arbeiten ja häufig mit großen Gruppen, mit 100 Jugendlichen, mit Behinderten, mit Migranten, mit Jungen, mit Alten – wie Sie es schaffen. Sie sagen, Sie sind unzufrieden nach einer Aufführung, wenn Sie spüren, Sie haben das Potenzial nicht ausgeschöpft. Wie erkennen Sie dieses Potenzial?
Maldoom: Ja, nur von meinen Erfahrungen. Ich habe in dem Buch geschrieben, dass wenn ich erst mal mit Laientänzern getanzt habe in Schottland, ich hätte kein Gefühl für folk music dance, das war nur ein Job. Und dann meine Erfahrung war, dass diese Leute alle hat Potenzial zu tanzen, zu tanzen. Ich war eine, glaube ich, von der Pionier von Community Dance in Großbritannien, und ich konnte nicht von ein anderer lernen oder studieren. Ich hab nur meine Erfahrung.
Führer: Sie beschreiben auch ganz schön in dem Buch, wie Sie sich gegen Kategorien wenden ...
Maldoom: Ja, klar.
Führer: ... also diese schöne Szene, wo eine junge Kollegin Sie fragt: Sag mal, wie schaff ich es denn, die Alten in die Gruppe zu integrieren? Und Sie sagen: Du hast schon verloren.
Maldoom: Ja, ja.
Führer: Das, denke ich, aber ist schwer, weil unsere Wahrnehmung läuft ja so. Man sieht, aha, das ist ein Türke, das ist eine alte Frau, das ist ein Skinhead, dass man das abstreift.
Maldoom: Warum machen wir das? Weil es, it's easier – was sagt man, easier ...
Führer: Leichter?
Maldoom: Leichter?
Führer: Leichter.
Maldoom: Ja, so zu machen. Ja, wenn man Kategorien hat, dann kann man Strategie erfinden, und mit Strategien muss man nicht personalisch mit andere Leute engagieren, aber diese Kategorien sind immer falsch. Ich hab in das Buch geschrieben, ich bin viele, viele Menschen. Ich bin weiß, ich bin nicht schwarz, ich bin Mann, ich bin nicht Frau, ich bin homosexuell, ich bin nicht heterosexuell, ich bin so, ich bin nicht so. Und ich tausche immer. In einem Moment, wenn ich nur in Afrika mit Schwarze sind, dann bin ich weiß. So könnte man sagen, oh ja, er ist weiß und er denkt so und er ist so und so. Ich bin dieser Kategorie von Weiß. Oder wenn ich – oh, mein Deutsch ...
Führer: Ich bin vieles, gut.
Maldoom: Ich bin vieles, ja.
Führer: Sie haben gerade gesagt, in Afrika haben Sie gearbeitet, also mit Straßenkindern in Äthiopien, in Peru haben Sie gearbeitet, in Kroatien, in Nordirland, also in Deutschland, in Österreich ...
Maldoom: Litauen.
Führer: Litauen ... und mit so vielen verschiedenen Menschen, mit Kindern, mit Jugendlichen, mit Strafgefangenen, mit traumatisierten Frauen, und am Ende steht trotzdem jedes Mal eine Aufführung, was immer ein kleines Wunder ist, was Sie, glaube ich, manchmal auch so empfunden haben, dass das doch noch geklappt hat. Und warum, Royston Maldoom, warum ist es der Tanz, der das schafft, diese verschiedenen Menschen so zusammenzubringen, was ist das Besondere am Tanz?
Maldoom: Okay. Man muss erst mal sagen, das ist nicht nur Tanz, das muss sein der Personalität von der Choreograf oder von der Lehrer oder Workshopleiter – das muss sein, klar. Aber Tanz ist wichtig, weil er ist körperlich, emotional, spirituell, sozial und kognitiv. Das glaube ich. Das ist auf Englisch holistic. Das bringt alle von uns zusammen.
Führer: Ganzheitlich.
Maldoom: Wir wissen jetzt in letzten zehn Jahren oder so, dass man lernt besser, wenn man tut. Tun ist beim Lernen wichtig, mit Aktion. Wenn wir tanzen zusammen, das ist eine sehr soziale Aktivität.
Führer: Und obwohl Sie ja in letzter Zeit hauptsächlich mit Laien gearbeitet haben, bestehen Sie drauf, den Tanz als Kunst weiterhin zu behandeln ...
Maldoom: Ja, klar.
Führer: ... und nicht als Sozialarbeit?
Maldoom: Nein, nein. Ich habe eine soziale Agenda. Eine Agenda sozial kann man sagen?
Führer: Ja, kann man sagen.
Maldoom: A social agenda. Ich hab, klar, ich bin ein politischer Mensch. Und das ist, warum ich mach, was ich mach. Aber wenn ich arbeite, ich mach Kunst. Ja, man muss, andere muss sagen, wenn es schöne Kunst oder schlechte Kunst ist, das kann ich nicht sagen, aber ich mach Kunst, das ist meine Idee. Und warum? Weil nur, wenn man wirklich mit künstlicher Prozess arbeitet, kommt diese Beiproducts, the social benefits that we look for in such projects, comes best from pursuing a cultural artistic agenda.
Führer: Also die sozialen Veränderungen, die Sie in diesen Projekten erreichen wollen, erreicht man am besten dann, wenn man auf der Kunst besteht?
Maldoom: Ja, das glaube ich, das habe ich gefunden. Das ist meine Erfahrung.
Führer: Ich finde, das Schöne an Ihrem Buch, Royston Maldoom, und an Ihrer Arbeit natürlich, an der Oberfläche geht es ja "nur", in Anführungszeichen, um Tanz, aber tatsächlich geht es eigentlich um viel mehr, darum, wie sehe ich andere Menschen oder auch die große Frage, in was für einer Gesellschaft will ich leben.
Maldoom: Klar, weil Tanz ist Leben.
Führer: Royston Maldoom, vielen Dank, dass Sie hier waren!
Maldoom: Danke schön!
Führer: Royston Maldooms Buch heißt "Tanz um dein Leben", ist bei S. Fischer verlegt und gibt es ab Mittwoch in den Buchhandlungen.
Royston Maldoom: Danke!
Führer: Beim Lesen dieser Autobiografie erlebt man ja so einige Überraschungen, zum Beispiel die, dass Sie eigentlich als junger Mann zunächst Landwirt werden wollten ...
Maldoom: Ja, ja.
Führer: ... bis Sie dann einen Film übers Royal Ballet gesehen haben mit Margot Fonteyn und Rudolf Nurejew, und da stand dann der Entschluss fest: Ich will tanzen. Sehen Sie eigentlich irgendwo eine Verbindung zwischen diesen beiden Lebensträumen?
Maldoom: Ja, das Problem für mich, wenn ich jung war, ist, was soll ich sein, was ich kann tun, das nicht eine Arbeit ist, so ein Job ist, aber ist ein Leben für mich. Und die beiden sind so. Sie sind nicht Jobs. Als Landwirtschaftsarbeiter oder als Tänzer, das ist nicht ein Job, das ist ein Leben. Und man denkt vielleicht, dass ich habe kein Interesse an Kunst, aber in der Schule, wo ich so schrecklich war, hatte ich viel Interesse in Malerei oder in Musik oder Literatur und so. Das war nicht so eine Überraschung, dass wenn ich so diese körperlichen Dinge mit Nurejew gesehen habe und auch mit das emotional Reaktion zu Musik und so. Nein, das ist nicht so eine Überraschung für mich.
Führer: Die Tanzausbildung haben Sie dann in London zunächst gemacht und vor allem ja bei Emigranten, bei Juden, die vor den Nationalsozialisten fliehen mussten, und Jahrzehnte später haben Sie diesen Schatz ja sozusagen zurück nach Deutschland gebracht. Das fand ich ja einen schönen Kreis, der sich da schließt. Also, Sie haben bei Hilde Holger gelernt, bei Stella Mann ...
Maldoom: Ja, ja, klar, klar. Ich bin zu Ende hier in Deutschland, und in Deutschland hat mir und meine Arbeit besser verstehen als in England oder andere Länder. Und das war nur seit zehn Jahren, dass ich habe verstehen, wovon meine Arbeit kommt, von diesen Leuten. Meine Lehrerin und Lehrer, sie kommen aus, sie waren Flüchtlinge von Österreich oder von Prag oder von Berlin. Ja, das ist ein interessanter Kreis.
Führer: Ja, Sie haben das Erbe sozusagen wieder zurückgebracht und belebt.
Maldoom: Ja, ja. Meine Arbeit ist gemischt von Contemporary Dance und auch von Ausdruckstanz. Ich war immer interessiert in dieser Ausdruckstanz, in Expression, Expressionismus, und das geht für junge Leute und für Laientänzer gut, diese gemischte physische korporalische und emotionale Expressionismus.
Führer: Und Sie haben in Ihrer Arbeit ja einen Grundsatz, das sieht man auch ganz schön in dem Film "Rhythm is it", aber in dem Buch wird es noch mal deutlicher, dass auch die Laien lernen müssen, das Versagen anzunehmen, zu scheitern, und Sie wenden sich gegen diese, wie Sie sagen, "Kuschelpädagogik", man soll immer loben. Warum, finden Sie, ist das Scheitern so wichtig?
Maldoom: From failure we learn. Ohne failure, wie kann man lernen? Ich frag immer zu Kinder: Habt ihr einen Fehler gemacht? Und erst mal sagen sie: Nein, nein, nein. Ich sage: Oh! Vielleicht sagt einer: Ja, ich hab einen Fehler gemacht. Ich sag: Ah, wie schön, du hast einen Fehler gemacht, dann hast du die Möglichkeit, besser zu machen. Aber für die anderen, das ist keine Möglichkeit. Und dann ich frage noch mal, und alle sagen: Ja, wir haben Fehler gemacht. Und sie wissen, was sie haben gemacht. Sie können sagen, wir haben diese oder das Fehler gemacht. Aber man muss verstehen, dass wenn ich sag, ihr habt einen Fehler gemacht, ich sag nicht, dass du bist ein Falscher oder ein Fehler, du bist nicht dumm. Ich kann sagen immer, ja, was du gemacht hast hier, war dumm, aber das nicht ist, dass ihr seid dumm, selbst.
Führer: Das verbindet sich ja mit Ihrem anderen, man kann sagen zentralen Glaubensgrundsatz: der Glaube an das Potenzial in jedem Menschen. Sie beschreiben sich ja selbst als streng in dem Buch und erzählen von Ihren vielen Wutausbrüchen, die Sie hatten, und trotzdem nehmen Ihnen die Schüler das nicht übel, weil sie immer diesen Glauben an das Potenzial haben, was jeder Mensch in sich hat. Und da habe ich so gedacht, ja, das klingt so schön, aber wie kommt man denn zu diesem Glauben?
Maldoom: Meine Frage ist, wie kommt man zu dem Unglauben?. Was heißt das auf Deutsch? Experience. Ja, ich arbeite ...
Führer: Erfahrung?
Maldoom: ... nur von Erfahrung, und das war meine Erfahrung immer in mein Leben. Vielleicht trifft man mit eine, der hat etwas zu tun, der Krimi ist oder so, und ich arbeite im Gefängnis und so, sie haben etwas schrecklich gemacht. Und wir arbeiten zusammen, dass ich finde, das ist ein Mensch, sehr sensibel ist, sehr traurig ist, hat vielleicht Probleme selbst. Und das, was er gemacht hat, ist eine Reaktion zum Leben. Ich finde, dass jeder hat Potenzial. Mein Potenzial und sein Potenzial ist etwas anderes vielleicht, aber wir haben dieses große Potenzial.
Führer: Eben, da habe ich mich gefragt, wie Sie das schaffen – Sie arbeiten ja häufig mit großen Gruppen, mit 100 Jugendlichen, mit Behinderten, mit Migranten, mit Jungen, mit Alten – wie Sie es schaffen. Sie sagen, Sie sind unzufrieden nach einer Aufführung, wenn Sie spüren, Sie haben das Potenzial nicht ausgeschöpft. Wie erkennen Sie dieses Potenzial?
Maldoom: Ja, nur von meinen Erfahrungen. Ich habe in dem Buch geschrieben, dass wenn ich erst mal mit Laientänzern getanzt habe in Schottland, ich hätte kein Gefühl für folk music dance, das war nur ein Job. Und dann meine Erfahrung war, dass diese Leute alle hat Potenzial zu tanzen, zu tanzen. Ich war eine, glaube ich, von der Pionier von Community Dance in Großbritannien, und ich konnte nicht von ein anderer lernen oder studieren. Ich hab nur meine Erfahrung.
Führer: Sie beschreiben auch ganz schön in dem Buch, wie Sie sich gegen Kategorien wenden ...
Maldoom: Ja, klar.
Führer: ... also diese schöne Szene, wo eine junge Kollegin Sie fragt: Sag mal, wie schaff ich es denn, die Alten in die Gruppe zu integrieren? Und Sie sagen: Du hast schon verloren.
Maldoom: Ja, ja.
Führer: Das, denke ich, aber ist schwer, weil unsere Wahrnehmung läuft ja so. Man sieht, aha, das ist ein Türke, das ist eine alte Frau, das ist ein Skinhead, dass man das abstreift.
Maldoom: Warum machen wir das? Weil es, it's easier – was sagt man, easier ...
Führer: Leichter?
Maldoom: Leichter?
Führer: Leichter.
Maldoom: Ja, so zu machen. Ja, wenn man Kategorien hat, dann kann man Strategie erfinden, und mit Strategien muss man nicht personalisch mit andere Leute engagieren, aber diese Kategorien sind immer falsch. Ich hab in das Buch geschrieben, ich bin viele, viele Menschen. Ich bin weiß, ich bin nicht schwarz, ich bin Mann, ich bin nicht Frau, ich bin homosexuell, ich bin nicht heterosexuell, ich bin so, ich bin nicht so. Und ich tausche immer. In einem Moment, wenn ich nur in Afrika mit Schwarze sind, dann bin ich weiß. So könnte man sagen, oh ja, er ist weiß und er denkt so und er ist so und so. Ich bin dieser Kategorie von Weiß. Oder wenn ich – oh, mein Deutsch ...
Führer: Ich bin vieles, gut.
Maldoom: Ich bin vieles, ja.
Führer: Sie haben gerade gesagt, in Afrika haben Sie gearbeitet, also mit Straßenkindern in Äthiopien, in Peru haben Sie gearbeitet, in Kroatien, in Nordirland, also in Deutschland, in Österreich ...
Maldoom: Litauen.
Führer: Litauen ... und mit so vielen verschiedenen Menschen, mit Kindern, mit Jugendlichen, mit Strafgefangenen, mit traumatisierten Frauen, und am Ende steht trotzdem jedes Mal eine Aufführung, was immer ein kleines Wunder ist, was Sie, glaube ich, manchmal auch so empfunden haben, dass das doch noch geklappt hat. Und warum, Royston Maldoom, warum ist es der Tanz, der das schafft, diese verschiedenen Menschen so zusammenzubringen, was ist das Besondere am Tanz?
Maldoom: Okay. Man muss erst mal sagen, das ist nicht nur Tanz, das muss sein der Personalität von der Choreograf oder von der Lehrer oder Workshopleiter – das muss sein, klar. Aber Tanz ist wichtig, weil er ist körperlich, emotional, spirituell, sozial und kognitiv. Das glaube ich. Das ist auf Englisch holistic. Das bringt alle von uns zusammen.
Führer: Ganzheitlich.
Maldoom: Wir wissen jetzt in letzten zehn Jahren oder so, dass man lernt besser, wenn man tut. Tun ist beim Lernen wichtig, mit Aktion. Wenn wir tanzen zusammen, das ist eine sehr soziale Aktivität.
Führer: Und obwohl Sie ja in letzter Zeit hauptsächlich mit Laien gearbeitet haben, bestehen Sie drauf, den Tanz als Kunst weiterhin zu behandeln ...
Maldoom: Ja, klar.
Führer: ... und nicht als Sozialarbeit?
Maldoom: Nein, nein. Ich habe eine soziale Agenda. Eine Agenda sozial kann man sagen?
Führer: Ja, kann man sagen.
Maldoom: A social agenda. Ich hab, klar, ich bin ein politischer Mensch. Und das ist, warum ich mach, was ich mach. Aber wenn ich arbeite, ich mach Kunst. Ja, man muss, andere muss sagen, wenn es schöne Kunst oder schlechte Kunst ist, das kann ich nicht sagen, aber ich mach Kunst, das ist meine Idee. Und warum? Weil nur, wenn man wirklich mit künstlicher Prozess arbeitet, kommt diese Beiproducts, the social benefits that we look for in such projects, comes best from pursuing a cultural artistic agenda.
Führer: Also die sozialen Veränderungen, die Sie in diesen Projekten erreichen wollen, erreicht man am besten dann, wenn man auf der Kunst besteht?
Maldoom: Ja, das glaube ich, das habe ich gefunden. Das ist meine Erfahrung.
Führer: Ich finde, das Schöne an Ihrem Buch, Royston Maldoom, und an Ihrer Arbeit natürlich, an der Oberfläche geht es ja "nur", in Anführungszeichen, um Tanz, aber tatsächlich geht es eigentlich um viel mehr, darum, wie sehe ich andere Menschen oder auch die große Frage, in was für einer Gesellschaft will ich leben.
Maldoom: Klar, weil Tanz ist Leben.
Führer: Royston Maldoom, vielen Dank, dass Sie hier waren!
Maldoom: Danke schön!
Führer: Royston Maldooms Buch heißt "Tanz um dein Leben", ist bei S. Fischer verlegt und gibt es ab Mittwoch in den Buchhandlungen.