Jeder kann jederzeit zum Nazi werden
1.400 Seiten lang ist der Bericht der Nazi-Gräuel, mit dem Jonathan Littell im Jahr 2006 unter dem Titel "Die Wohlgesinnten" Furore machte. Armin Petras hat den schonungslosen Bestseller jetzt für's Theater in Szene gesetzt. Das Ergebnis fällt weniger drastisch aus als das Buch.
Vor fünf Jahren machte Jonathan Littell mit seinem Roman "Les Bienveillantes" Furore. Der Roman, zu deutsch "Die Wohlgesinnten", schilderte die Nazi-Greuel aus der kühlen Rückschau einer SS-Figur, die nichts bereut. Dr. Max Aue ist ein gebildeter Feingeist, der nach dem Krieg in Frankreich Spitzen fabriziert. Sein langer Bericht kündet von nackter Roheit: In Auschwitz, an der Ostfront bis nach Stalingrad vermischen sich im Krieg Pornografie, Inzest und exzessive Gewalt. In der deutschen Übersetzung dauert das 1.400 Seiten an. In Berlin hat Armin Petras, Intendant des Maxim Gorki Theaters, den Bestseller in immerhin dreieinhalb Stunden auf die Bühne gebracht.
Mancherorts hat man dem Roman Sensationslüsternheit vorgeworfen. Petras spart nicht mit Drastik, stellt sie aber keineswegs in den Mittelpunkt wie das Buch. Wir hören im Detail von Massengräbern, von der Erschießung unglaublich vieler Juden, Erwachsene wie Kinder. Eichmann tritt auf und berichtet emotionslos von der effizienten Tötung durch Gas, zunächst in Lastwagen. In Stalingrad quillen die Eingeweide aus den Bäuchen und im Berliner Mai 1945 implodiert alles nochmal in Nahaufnahme. Aber zwischen dem Realismus des Romans steht hier die vermittelnde Kunst der Bühne. Petras fährt verschiedene Kunstmittel auf im Verlauf des Abends, um den Schrecken zu bannen. Manchmal gelingt das, an andern Stellen wird damit der Kitsch des Romans entlarvt – ob frei- oder unfreiwillig, sei dahingestellt.
Die Tiefe der Bühne wird gar nicht genutzt, wichtigstes Element von Bühnenbildner Olaf Altmann ist ein Spiegel in der Größe des Portals, dessen Winkel sich verstellen lässt. Das Publikum sieht also zuerst sich selbst, was dem Eingangsmonolog der Hauptfigur Max Aue entspricht, der das Spezifische des Holocaust negiert und sagt: "denn die wirkliche gefahr – vor allem in unsicheren zeiten – sind die gewöhnlichen menschen." Kurz, jeder kann jederzeit zum Nazi werden, diese Gewalt wiederholt sich in der Geschichte, wir sind argumentativ mitten im Historikerstreit der späten achtziger Jahre.
Peter Kurth ist der alte Aue, der erzählt. Er sitzt im ersten Rang, wir sehen ihn eingangs nur im großen Spiegel. Allmählich wird seine Stimme aber auch von den anderen Schauspielern im Chor übernommen, Max Simonischek spielt jeweils den jungen Aue. Der Chor spricht oft leise und genau, als müssten die Worte in der Erinnerung noch einmal gewogen werden. Es sind jene Stellen des Abends, die dem Buch am meisten Eigenleistung entgegen stellen. Auch dann, wenn das Cello von Anne-Christin Schwarz begleitet, und Peter Kurth eine zeitlang selbst zur Klarinette greift. Diese Hausmusik führt zu gesteigerter Aufmerksamkeit, auf der Bühne wie im Parkett.
Wenn die Drastik übernimmt allerdings, wählt Petras aber auch mal plakative Theatermittel: Laute Musik und geschüttelte Haare, wenn vom erschossenen Judenjungen berichtet wird, und eine penetrante Farbsymbolik, vom SS-Schwarz über das Stalingrad-Rot bis zum Weiß des Lazaretts.
Doch die Farbe Weiß ist auch jene der Hochzeit, der Keuschheit. Schon der Titel "Die Wohlgesinnten" erinnert an die "Orestie" des Aischylos, an die ehemaligen Rachegeister, die Erinyen, die von der Göttin Athene zur staatstragenden Vernunft überredet werden und von der Rache am vatermordenden Orest ablassen. Die Erynien werden zu zahmen Eumeniden. Littell tut viel, um die Nazidrastik mit zahlreichen Verweisen auf die antike Tragödie ins Menschheitsgeschichtliche zu überheben. Und Petras folgt diesem Taschenspielertrick leider immer wieder, kürzt allenfalls die deutlichsten mythologischen Verweise. Was vom zweiten Teil bleibt, ist somit eine verkorkste Familiengeschichte. Auch 25 Jahre nach dem Historikerstreit heißt die ungelöste und von Roman wie Inszenierung aufgeworfene Frage aber noch immer: Ist der Holocaust nun einmalig in der Geschichte oder nicht?
Mancherorts hat man dem Roman Sensationslüsternheit vorgeworfen. Petras spart nicht mit Drastik, stellt sie aber keineswegs in den Mittelpunkt wie das Buch. Wir hören im Detail von Massengräbern, von der Erschießung unglaublich vieler Juden, Erwachsene wie Kinder. Eichmann tritt auf und berichtet emotionslos von der effizienten Tötung durch Gas, zunächst in Lastwagen. In Stalingrad quillen die Eingeweide aus den Bäuchen und im Berliner Mai 1945 implodiert alles nochmal in Nahaufnahme. Aber zwischen dem Realismus des Romans steht hier die vermittelnde Kunst der Bühne. Petras fährt verschiedene Kunstmittel auf im Verlauf des Abends, um den Schrecken zu bannen. Manchmal gelingt das, an andern Stellen wird damit der Kitsch des Romans entlarvt – ob frei- oder unfreiwillig, sei dahingestellt.
Die Tiefe der Bühne wird gar nicht genutzt, wichtigstes Element von Bühnenbildner Olaf Altmann ist ein Spiegel in der Größe des Portals, dessen Winkel sich verstellen lässt. Das Publikum sieht also zuerst sich selbst, was dem Eingangsmonolog der Hauptfigur Max Aue entspricht, der das Spezifische des Holocaust negiert und sagt: "denn die wirkliche gefahr – vor allem in unsicheren zeiten – sind die gewöhnlichen menschen." Kurz, jeder kann jederzeit zum Nazi werden, diese Gewalt wiederholt sich in der Geschichte, wir sind argumentativ mitten im Historikerstreit der späten achtziger Jahre.
Peter Kurth ist der alte Aue, der erzählt. Er sitzt im ersten Rang, wir sehen ihn eingangs nur im großen Spiegel. Allmählich wird seine Stimme aber auch von den anderen Schauspielern im Chor übernommen, Max Simonischek spielt jeweils den jungen Aue. Der Chor spricht oft leise und genau, als müssten die Worte in der Erinnerung noch einmal gewogen werden. Es sind jene Stellen des Abends, die dem Buch am meisten Eigenleistung entgegen stellen. Auch dann, wenn das Cello von Anne-Christin Schwarz begleitet, und Peter Kurth eine zeitlang selbst zur Klarinette greift. Diese Hausmusik führt zu gesteigerter Aufmerksamkeit, auf der Bühne wie im Parkett.
Wenn die Drastik übernimmt allerdings, wählt Petras aber auch mal plakative Theatermittel: Laute Musik und geschüttelte Haare, wenn vom erschossenen Judenjungen berichtet wird, und eine penetrante Farbsymbolik, vom SS-Schwarz über das Stalingrad-Rot bis zum Weiß des Lazaretts.
Doch die Farbe Weiß ist auch jene der Hochzeit, der Keuschheit. Schon der Titel "Die Wohlgesinnten" erinnert an die "Orestie" des Aischylos, an die ehemaligen Rachegeister, die Erinyen, die von der Göttin Athene zur staatstragenden Vernunft überredet werden und von der Rache am vatermordenden Orest ablassen. Die Erynien werden zu zahmen Eumeniden. Littell tut viel, um die Nazidrastik mit zahlreichen Verweisen auf die antike Tragödie ins Menschheitsgeschichtliche zu überheben. Und Petras folgt diesem Taschenspielertrick leider immer wieder, kürzt allenfalls die deutlichsten mythologischen Verweise. Was vom zweiten Teil bleibt, ist somit eine verkorkste Familiengeschichte. Auch 25 Jahre nach dem Historikerstreit heißt die ungelöste und von Roman wie Inszenierung aufgeworfene Frage aber noch immer: Ist der Holocaust nun einmalig in der Geschichte oder nicht?