"Jeder Zweite ist arbeitslos"
Deutschland genieße eine gute Reputation in Spanien, macht Schriftsteller José Oliver, Sohn spanischer Gastarbeiter, deutlich. Die Spanier, die jetzt nach Deutschland kommen, seien eine "gut ausgebildete Generation". Die hohe Arbeitslosigkeit in Spanien habe jedoch "etwas von Perversion".
Gabi Wuttke: Wie weit entfernt vom wirtschaftlichen Abgrund steht Spanien? Die Regierung in Madrid kann es sich kaum noch leisten, frisches Geld zu kaufen, die Provinzen geben endlich zu, Pleite zu sein, die Menschen protestieren oder verlassen das Land in der Hoffnung, auch in Deutschland die Chance zu bekommen, die man in Spanien nicht hat.
José Olivers Eltern verließen Spanien 1960, ein Jahr später wurde er in Hausach geboren. "Mein andalusisches Schwarzwalddorf", so heißt eines seiner bislang 14 Bücher. einen schönen guten Morgen, Herr Oliver.
José Oliver: Guten Morgen.
Wuttke: Mal abgesehen davon, dass Ihre Eltern die Franco-Diktatur verlassen haben, ist Ihre Situation vergleichbar mit der heutigen?
Oliver: Es gibt bestimmt Bereiche, die vergleichbar sind. Ich meine, es haben ja damals fast zwei Millionen Spanier das Land verlassen, 800.000 aus Andalusien kommend. Die meisten, 60 Prozent, das sei mal angemerkt, waren Analphabeten, konnten weder lesen noch schreiben, und das sind sicherlich heute ganz andere Voraussetzungen.
Ich denke, das es eine sehr gut ausgebildete Generation von jungen Menschen ist, die Arbeit suchen. Es gibt natürlich auch diejenigen, die versucht haben, ganz schnell das große Geld zu machen, im Bausektor beispielsweise, die jetzt auf der Straße stehen, weil alles zusammengebrochen ist. Aber die bildungspolitischen Voraussetzungen, die Voraussetzungen, diese Welt wahrzunehmen durch eine gute Ausbildung, das ist eine andere als damals.
Wuttke: Und was würden Sie für vergleichbar halten?
Oliver: Vergleichbar ist sicherlich das Loslassen der Heimat, ist die Familienstruktur. Immerhin die meisten der jungen Menschen, die arbeitslos sind, leben ja noch in den Familien. Das ist vergleichbar. Das heißt, da wird es einen Trennungsschmerz - ich nenne das mal so - geben, da wird es vielleicht auch Hilflosigkeiten geben, wenn man plötzlich ins eigene Leben geworfen wird, ohne dass man darauf im eigenen Land vorbereitet wurde, und so ähnlich war es bei der Generation damals auch.
Wuttke: Die Spanier haben ja ein ausgesprochen intensives Verhältnis zu ihrer Heimat. Wird das Ihrer Meinung nach durch die Krise noch verstärkt?
Oliver: Ich kann mir vorstellen, dass einerseits auch neue Antworten gesucht werden. Es gibt ja diesen großen Begriff des kreativen Kapitalismus. Es sind ja nicht nur protestierende Jugendliche auf der Straße, 50 Prozent sind ja arbeitslos von ihnen zwischen 15 und 24 Jahren. Sie versuchen, auch gemeinsam Projekte zu entwickeln, die mich bisweilen an Projekte erinnern, wie es seinerzeit in den Entwicklungsländern in den 80er-, 90er-Jahren angefangen hat mit einer alternativen Wirtschaft, und das sind schon Voraussetzungen des Zusammenwachsens, weil man einfach weiß, dass man nur gemeinsam aus dieser Krise herausfindet.
Wuttke: Sie waren gerade auf Lesereise in Spanien. Wenn man nicht gerade ein kleines Projekt aufbaut, um in der Heimat bleiben zu können, was hat man Ihnen da über die Erwartungen an Deutschland erzählt, das Land, in dem man eben hofft, auch Arbeit zu finden und sich - ich weiß es nicht, das ist die Frage - eine Zukunft aufbauen zu können?
Oliver: Zum einen, mein erster Eindruck war einfach: Ich saß da in Ramblas, in Barcelona, ich war in Barcelona vor zwei Monaten, und dann sieht man die ganzen jungen Menschen vorbeigehen und denkt, das kann nicht sein, das hat etwas von Perversion.
Man denkt dann, jeder Zweite ist arbeitslos, hat keinen Job und ist auf das Taschengeld der Eltern angewiesen, oder auf eine geringfügige Unterstützung. Und dann sind halt große Hoffnungen da. Die Deutschkurse sind voll. Ich glaube, allein das Goethe-Institut hat einen Zuwachs, 2009 waren es noch in Barcelona im Goethe-Institut 1600 oder 1900, nein 1600 Schülerinnen und Schüler, die Deutsch gelernt haben, heute sind es 2500, die mussten Lehrer einstellen.
Also die Hoffnungen sind sehr groß, dass man über die Eskapade ins Ausland zumindest einen Grundstock schaffen kann und sich Spanien erholen kann, um dann wieder zurückzukehren. Das war ja auch schon das Ergebnis der ersten großen Auswanderungswelle in den 60er-Jahren. Über die Hälfte der Spanier, die hier waren, sind ja wieder zurückgekehrt nach Francos Tod und nach 78, nachdem es die erste Verfassung gab.
Wuttke: Zu sagen, Deutschland ist nur ein vorübergehender Aufenthaltsort, hat das möglicherweise auch was damit zu tun, dass man sich fürchtet, hier bei uns in Deutschland nicht mit offenen Armen aufgenommen zu werden?
Oliver: Nein, das glaube ich nicht. Deutschland genießt eine sehr gute Reputation in Spanien. Man schaut mit liebevollen Augen nach Deutschland, mit großem Respekt nach Deutschland, man bewundert auch, wie man das in Deutschland alles geschafft hat, vergisst bisweilen, dass es einfach auch seine Zeit gebraucht hat. Ich meine, dass Deutschland so dasteht, wie es heute dasteht, das hat einfach Jahrzehnte gebraucht und man kann nicht alles von heute auf morgen erreichen, was man sich vornimmt. Das müsste thematisiert werden.
Aber ich glaube nicht, dass da irgendwelche Befürchtungen da sind, zumindest nicht in den Gesprächen, die ich geführt habe, dass man Angst hat vor diesem Deutschland oder vor dem fremden Land. - Nein.
Wuttke: Das heißt aber, man kommt nicht immer her und kann sich sofort verständlich machen. Inwiefern ist denn die Sprache - Sie sind Schriftsteller und Dichter - durchaus auch ein Problem, oder eine Herausforderung?
Oliver: Ich glaube, die Sprache ist die Voraussetzung für alles. Insofern bin ich froh, dass da so viele junge Menschen in Spanien, die nach Deutschland kommen wollen, um hier zu arbeiten, die Angebote wahrnehmen, dass dann auch Institute wie das Goethe-Institut darauf reagieren und mehr Lehrer einstellen, das heißt das Angebot erweitern.
Andererseits sollte man auch überlegen, was für Sprachkurse werden in Deutschland selber angeboten. Wenn man den Zahlen glaubt, fehlen ja über 90.000 Fachkräfte in diesem Land. Wenn man die aus dem Ausland holt, dann muss man ihnen auch ein Sprachangebot unterbreiten, damit sie sich integrieren können und auch aktiv am Leben teilnehmen können, indem sie sich verständigen, Antworten geben und Fragen stellen.
Wuttke: ... , sagt der Schriftsteller José Oliver im Deutschlandradio Kultur. Ich danke Ihnen sehr!
Oliver: Gerne.
Wuttke: Schönen Tag!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
José Olivers Eltern verließen Spanien 1960, ein Jahr später wurde er in Hausach geboren. "Mein andalusisches Schwarzwalddorf", so heißt eines seiner bislang 14 Bücher. einen schönen guten Morgen, Herr Oliver.
José Oliver: Guten Morgen.
Wuttke: Mal abgesehen davon, dass Ihre Eltern die Franco-Diktatur verlassen haben, ist Ihre Situation vergleichbar mit der heutigen?
Oliver: Es gibt bestimmt Bereiche, die vergleichbar sind. Ich meine, es haben ja damals fast zwei Millionen Spanier das Land verlassen, 800.000 aus Andalusien kommend. Die meisten, 60 Prozent, das sei mal angemerkt, waren Analphabeten, konnten weder lesen noch schreiben, und das sind sicherlich heute ganz andere Voraussetzungen.
Ich denke, das es eine sehr gut ausgebildete Generation von jungen Menschen ist, die Arbeit suchen. Es gibt natürlich auch diejenigen, die versucht haben, ganz schnell das große Geld zu machen, im Bausektor beispielsweise, die jetzt auf der Straße stehen, weil alles zusammengebrochen ist. Aber die bildungspolitischen Voraussetzungen, die Voraussetzungen, diese Welt wahrzunehmen durch eine gute Ausbildung, das ist eine andere als damals.
Wuttke: Und was würden Sie für vergleichbar halten?
Oliver: Vergleichbar ist sicherlich das Loslassen der Heimat, ist die Familienstruktur. Immerhin die meisten der jungen Menschen, die arbeitslos sind, leben ja noch in den Familien. Das ist vergleichbar. Das heißt, da wird es einen Trennungsschmerz - ich nenne das mal so - geben, da wird es vielleicht auch Hilflosigkeiten geben, wenn man plötzlich ins eigene Leben geworfen wird, ohne dass man darauf im eigenen Land vorbereitet wurde, und so ähnlich war es bei der Generation damals auch.
Wuttke: Die Spanier haben ja ein ausgesprochen intensives Verhältnis zu ihrer Heimat. Wird das Ihrer Meinung nach durch die Krise noch verstärkt?
Oliver: Ich kann mir vorstellen, dass einerseits auch neue Antworten gesucht werden. Es gibt ja diesen großen Begriff des kreativen Kapitalismus. Es sind ja nicht nur protestierende Jugendliche auf der Straße, 50 Prozent sind ja arbeitslos von ihnen zwischen 15 und 24 Jahren. Sie versuchen, auch gemeinsam Projekte zu entwickeln, die mich bisweilen an Projekte erinnern, wie es seinerzeit in den Entwicklungsländern in den 80er-, 90er-Jahren angefangen hat mit einer alternativen Wirtschaft, und das sind schon Voraussetzungen des Zusammenwachsens, weil man einfach weiß, dass man nur gemeinsam aus dieser Krise herausfindet.
Wuttke: Sie waren gerade auf Lesereise in Spanien. Wenn man nicht gerade ein kleines Projekt aufbaut, um in der Heimat bleiben zu können, was hat man Ihnen da über die Erwartungen an Deutschland erzählt, das Land, in dem man eben hofft, auch Arbeit zu finden und sich - ich weiß es nicht, das ist die Frage - eine Zukunft aufbauen zu können?
Oliver: Zum einen, mein erster Eindruck war einfach: Ich saß da in Ramblas, in Barcelona, ich war in Barcelona vor zwei Monaten, und dann sieht man die ganzen jungen Menschen vorbeigehen und denkt, das kann nicht sein, das hat etwas von Perversion.
Man denkt dann, jeder Zweite ist arbeitslos, hat keinen Job und ist auf das Taschengeld der Eltern angewiesen, oder auf eine geringfügige Unterstützung. Und dann sind halt große Hoffnungen da. Die Deutschkurse sind voll. Ich glaube, allein das Goethe-Institut hat einen Zuwachs, 2009 waren es noch in Barcelona im Goethe-Institut 1600 oder 1900, nein 1600 Schülerinnen und Schüler, die Deutsch gelernt haben, heute sind es 2500, die mussten Lehrer einstellen.
Also die Hoffnungen sind sehr groß, dass man über die Eskapade ins Ausland zumindest einen Grundstock schaffen kann und sich Spanien erholen kann, um dann wieder zurückzukehren. Das war ja auch schon das Ergebnis der ersten großen Auswanderungswelle in den 60er-Jahren. Über die Hälfte der Spanier, die hier waren, sind ja wieder zurückgekehrt nach Francos Tod und nach 78, nachdem es die erste Verfassung gab.
Wuttke: Zu sagen, Deutschland ist nur ein vorübergehender Aufenthaltsort, hat das möglicherweise auch was damit zu tun, dass man sich fürchtet, hier bei uns in Deutschland nicht mit offenen Armen aufgenommen zu werden?
Oliver: Nein, das glaube ich nicht. Deutschland genießt eine sehr gute Reputation in Spanien. Man schaut mit liebevollen Augen nach Deutschland, mit großem Respekt nach Deutschland, man bewundert auch, wie man das in Deutschland alles geschafft hat, vergisst bisweilen, dass es einfach auch seine Zeit gebraucht hat. Ich meine, dass Deutschland so dasteht, wie es heute dasteht, das hat einfach Jahrzehnte gebraucht und man kann nicht alles von heute auf morgen erreichen, was man sich vornimmt. Das müsste thematisiert werden.
Aber ich glaube nicht, dass da irgendwelche Befürchtungen da sind, zumindest nicht in den Gesprächen, die ich geführt habe, dass man Angst hat vor diesem Deutschland oder vor dem fremden Land. - Nein.
Wuttke: Das heißt aber, man kommt nicht immer her und kann sich sofort verständlich machen. Inwiefern ist denn die Sprache - Sie sind Schriftsteller und Dichter - durchaus auch ein Problem, oder eine Herausforderung?
Oliver: Ich glaube, die Sprache ist die Voraussetzung für alles. Insofern bin ich froh, dass da so viele junge Menschen in Spanien, die nach Deutschland kommen wollen, um hier zu arbeiten, die Angebote wahrnehmen, dass dann auch Institute wie das Goethe-Institut darauf reagieren und mehr Lehrer einstellen, das heißt das Angebot erweitern.
Andererseits sollte man auch überlegen, was für Sprachkurse werden in Deutschland selber angeboten. Wenn man den Zahlen glaubt, fehlen ja über 90.000 Fachkräfte in diesem Land. Wenn man die aus dem Ausland holt, dann muss man ihnen auch ein Sprachangebot unterbreiten, damit sie sich integrieren können und auch aktiv am Leben teilnehmen können, indem sie sich verständigen, Antworten geben und Fragen stellen.
Wuttke: ... , sagt der Schriftsteller José Oliver im Deutschlandradio Kultur. Ich danke Ihnen sehr!
Oliver: Gerne.
Wuttke: Schönen Tag!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.