"Jedes Kind in Europa wusste, dass es Krieg gab"
Bis zuletzt sind seine Analysen unbequem gewesen, er zog Bilanz, beschrieb die Herrschaft der Verwaltung, der die Menschlichkeit im Dritten Reich zum Opfer gefallen ist. Für seine Unbestechlichkeit erhält er vor Jahren den Geschwister Scholl Preis. In Israel erschien sein Werk immer noch nicht, doch in Europa galt Raul Hilberg als der Senior der Holocaust-Forschung. Im Kreise seiner Familie in Vermont ist Hilberg gestorben, er wurde 81 Jahre alt.
"Gut, das Geburtsdatum ist der 2. Juni 1926, der Ort war Wien."
Raul Hilberg war ein harter Knochen, ein Wissenschaftler alter Schule.
"Dort verbrachte ich die Kindheit und ich möchte schon sagen, ich war ein bisschen aufmerksam auf politische Dinge, aber nicht ganz."
Das Quellenstudium kam bei ihm zuerst.
"Mich interessierte Geographie, über Geschichte hatte ich sehr wenig zu sagen und zum verstehen, weil man die römischen Kaiser erlernen musste und solche Dinge, die ein Zehnjähriger nicht so liebt."
Dann die Verknüpfung mit den Fakten und schließlich die Analyse
"Ich würde sagen, Geschichte wurde mir beigebracht und mein größter Lehrer in dieser Hinsicht war der Adolf Hitler, als er einmarschiert, und auf einmal war ich wach."
Von Oral History keine Spur. Schon als Kind mochte Hilberg keine Märchen. Sein Herz, hat er mir mal gesagt, das habe er beim Studium der Akten in den Schrank gesperrt, vielleicht waren die Lügen der Erwachsenen im braunen Wien dem zwölfjährigen Hilberg eine Schule.
"Das war ungefähr der 11. März 1938 und ich wusste schon und das wusste jedes Kind in Europa, dass es Krieg gab und Revolution, denn obwohl ich schon acht Jahre 1934 alt war, wusste ich schon, was losging. Wir wohnten in einem Viertel in Wien, das in der Nähe dieses Bürgerkrieges war, diesen sogenanten Karl Marx Hof, als man die Sozialdemokraten zusammenschoss, stattfand. Ich fragte sogar meinen Vater, was ist dieses Getöse und da sagt er, das ist ein Donner und ich schaute aus dem Fenster raus. Sagte, das ist kein Donner, die Sonne scheint."
Was dann kam, war die Odyssee der jüdischen Familie, die Gier der arischen Nachbarn, die vor der Polizei schon in der Wohnung standen, die Flucht nach Straßburg über Kuba nach New York. Wieder fällt, Raul Hilberg auf, was kein Erwachsener wahrhaben will.
"Also über Krieg war ich ziemlich gut informiert. Ich hatte ganz kleines Geld, ich musste doch das Geld den Eltern abliefern, wir konnten sonst nichts einkaufen. Aber ich behielt doch gerade genug, um mir Zeitungen zu kaufen. Und damals kam ich schon zum Schluss, ich war 16 Jahre alt, die Juden gehen unter, die Juden werden vernichtet. Und das glaubten die Meisten nicht. Ich ja ! Weil keine Nachricht kam. Die Leute sind verschwunden. Die Leute verschwinden nicht vom Erdboden."
Prägend war für seine Zukunft nicht, dass der Gefreite Hilberg im November 1945 Hitlers Privatbibliothek in Nürnberg-Bogenhausen ausfindig machen konnte. Und auch das Tribunal der Alliierten gegen die NS-Hauptkriegsverbrecher hat ihn anfangs nicht sehr bewegt.
"Das Eigenartige war, dass in diesem Hauptprozess und den Nachfolgerprozessen, zehntausende von deutschen Akten zum Vorschein kamen und das war für mich also die erste Sammlung, die ich studieren konnte. Und da es sich nur um etwa 40.000 Aktenstücke handelte, sagte ich mir, ich werde einfach alle anschauen."
Was ihn beeindruckt hat, war stets die Ignoranz der Anderen, der eigenen Lehrer an der Columbia University, jüdischer Flüchtlinge wie Professor Rosenberg, die bereits in den Fünfzigern den Holocaust für abgehandelt halten. Auch Hanna Ahrendt hielt die Arbeit des damals grade 24-jährigen Historikers nicht für sehr wesentlich.
Was folgte, waren sieben Jahre im Archiv, die Analyse der Befehlsverläufe und der Organisation des Massenmords, seine Doktorarbeit über die Rolle der deutschen Eisenbahner im Holocaust und - jene Zeit, die er am Ende seines Lebens in seiner Unerbetenen Erinnerung als seinen dreißigjährigen Krieg bezeichnet hat. Der Zeit zwischen 1951 und 1982, als der Außenseiter unter den deutschen Verlagen, Olle & Wolter sich getraute die erste Übersetzung seines opus magnum vorzulegen.
Erst 1990 unter besonderem Einsatz des Lektors Walter Pehle erschien das dreibändige Werk Die Vernichtung der europäischen Juden im Frankfurter Fischer Verlag. Immer stand der Forscher mit dem klugen Blick zwischen allen Stühlen, ob es sich bei seinem Urteil um die Kollaboration von Judenräten mit der SS gehandelt hat oder um die, vor allem nach 1968 sehr überschätzen Aussagen zum jüdischen Widerstand.
Hilberg hat seine Archivarbeit bis in die letzten Jahre fortgesetzt, Europareisen auf denen er zuletzt zu Ehrungen geladen worden ist, zur Arbeitsreisen umfunktioniert, stets orientiert am Dokument. Raul Hilberg war ein harter Brocken, er sicherte seine Aussagen ab. "Ich fälle kein Urteil." Hat er einmal gesagt Hilberg, " auf ein Warum (...) kann ich nicht antworten, weil ich mein Leben lang allein erforscht habe, was geschah."
Raul Hilberg war ein harter Knochen, ein Wissenschaftler alter Schule.
"Dort verbrachte ich die Kindheit und ich möchte schon sagen, ich war ein bisschen aufmerksam auf politische Dinge, aber nicht ganz."
Das Quellenstudium kam bei ihm zuerst.
"Mich interessierte Geographie, über Geschichte hatte ich sehr wenig zu sagen und zum verstehen, weil man die römischen Kaiser erlernen musste und solche Dinge, die ein Zehnjähriger nicht so liebt."
Dann die Verknüpfung mit den Fakten und schließlich die Analyse
"Ich würde sagen, Geschichte wurde mir beigebracht und mein größter Lehrer in dieser Hinsicht war der Adolf Hitler, als er einmarschiert, und auf einmal war ich wach."
Von Oral History keine Spur. Schon als Kind mochte Hilberg keine Märchen. Sein Herz, hat er mir mal gesagt, das habe er beim Studium der Akten in den Schrank gesperrt, vielleicht waren die Lügen der Erwachsenen im braunen Wien dem zwölfjährigen Hilberg eine Schule.
"Das war ungefähr der 11. März 1938 und ich wusste schon und das wusste jedes Kind in Europa, dass es Krieg gab und Revolution, denn obwohl ich schon acht Jahre 1934 alt war, wusste ich schon, was losging. Wir wohnten in einem Viertel in Wien, das in der Nähe dieses Bürgerkrieges war, diesen sogenanten Karl Marx Hof, als man die Sozialdemokraten zusammenschoss, stattfand. Ich fragte sogar meinen Vater, was ist dieses Getöse und da sagt er, das ist ein Donner und ich schaute aus dem Fenster raus. Sagte, das ist kein Donner, die Sonne scheint."
Was dann kam, war die Odyssee der jüdischen Familie, die Gier der arischen Nachbarn, die vor der Polizei schon in der Wohnung standen, die Flucht nach Straßburg über Kuba nach New York. Wieder fällt, Raul Hilberg auf, was kein Erwachsener wahrhaben will.
"Also über Krieg war ich ziemlich gut informiert. Ich hatte ganz kleines Geld, ich musste doch das Geld den Eltern abliefern, wir konnten sonst nichts einkaufen. Aber ich behielt doch gerade genug, um mir Zeitungen zu kaufen. Und damals kam ich schon zum Schluss, ich war 16 Jahre alt, die Juden gehen unter, die Juden werden vernichtet. Und das glaubten die Meisten nicht. Ich ja ! Weil keine Nachricht kam. Die Leute sind verschwunden. Die Leute verschwinden nicht vom Erdboden."
Prägend war für seine Zukunft nicht, dass der Gefreite Hilberg im November 1945 Hitlers Privatbibliothek in Nürnberg-Bogenhausen ausfindig machen konnte. Und auch das Tribunal der Alliierten gegen die NS-Hauptkriegsverbrecher hat ihn anfangs nicht sehr bewegt.
"Das Eigenartige war, dass in diesem Hauptprozess und den Nachfolgerprozessen, zehntausende von deutschen Akten zum Vorschein kamen und das war für mich also die erste Sammlung, die ich studieren konnte. Und da es sich nur um etwa 40.000 Aktenstücke handelte, sagte ich mir, ich werde einfach alle anschauen."
Was ihn beeindruckt hat, war stets die Ignoranz der Anderen, der eigenen Lehrer an der Columbia University, jüdischer Flüchtlinge wie Professor Rosenberg, die bereits in den Fünfzigern den Holocaust für abgehandelt halten. Auch Hanna Ahrendt hielt die Arbeit des damals grade 24-jährigen Historikers nicht für sehr wesentlich.
Was folgte, waren sieben Jahre im Archiv, die Analyse der Befehlsverläufe und der Organisation des Massenmords, seine Doktorarbeit über die Rolle der deutschen Eisenbahner im Holocaust und - jene Zeit, die er am Ende seines Lebens in seiner Unerbetenen Erinnerung als seinen dreißigjährigen Krieg bezeichnet hat. Der Zeit zwischen 1951 und 1982, als der Außenseiter unter den deutschen Verlagen, Olle & Wolter sich getraute die erste Übersetzung seines opus magnum vorzulegen.
Erst 1990 unter besonderem Einsatz des Lektors Walter Pehle erschien das dreibändige Werk Die Vernichtung der europäischen Juden im Frankfurter Fischer Verlag. Immer stand der Forscher mit dem klugen Blick zwischen allen Stühlen, ob es sich bei seinem Urteil um die Kollaboration von Judenräten mit der SS gehandelt hat oder um die, vor allem nach 1968 sehr überschätzen Aussagen zum jüdischen Widerstand.
Hilberg hat seine Archivarbeit bis in die letzten Jahre fortgesetzt, Europareisen auf denen er zuletzt zu Ehrungen geladen worden ist, zur Arbeitsreisen umfunktioniert, stets orientiert am Dokument. Raul Hilberg war ein harter Brocken, er sicherte seine Aussagen ab. "Ich fälle kein Urteil." Hat er einmal gesagt Hilberg, " auf ein Warum (...) kann ich nicht antworten, weil ich mein Leben lang allein erforscht habe, was geschah."