"Jedes Mal sind wir doch sehr bedrückt"

Martina Bäurle im Gespräch mit Jörg Degenhardt |
Die "Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte" feiert ihr 25-jähriges Bestehen. Die Geschäftsführerin Martina Bäurle berichtet über die Hilfen, welche die Initiative in den vergangenen Jahren geleistet hat.
Jörg Degenhardt: Auszeit für 365 Tage. Ein Jahr lang können Journalisten, Anwälte und Fotografen, die in ihrer Heimat drangsaliert werden, in Hamburg sicher leben, sich von ihrem Kampf für Freiheit und Menschenrechte erholen. Das klingt gut, fast ein bisschen wie im Märchen, wird aber möglich gemacht von der "Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte". Die feiert heute ihr 25-jähriges Bestehen.

Martina Bäurle wird vielleicht eine Gelegenheit finden, um auf dieses Jubiläum anzustoßen. Sie ist die Geschäftsführerin der bundesweit einmaligen Stiftung, und das seit 20 Jahren. 130 Menschen konnte bisher geholfen werden. Ich habe sie gefragt, welcher Fall sie vor allem berührt hat.

Martina Bäurle: Vor allen Dingen hat mich der Fall des tadschikischen Journalisten berührt, Dodojon Atowullujew, der 2005 bei uns war, denn wir konnten ihm noch mal, nachdem wir ihn eingeladen haben, ein zweites Mal das Leben retten, insofern, dass er, als er nach Moskau zurückflog, um an einer Veranstaltung teilzunehmen, verhaftet wurde im Transit-Flughafenbereich und aufgrund eines Auslieferungsersuchens seines Heimatlandes Tadschikistan.

Und da konnten wir noch mal unsere ganze Kampagne und Kontakte in Gang setzen, um ihn auch daraus noch zu bewahren, ein zweites Mal, obwohl er schon Gast war, und ihn zurückholen nach Deutschland, und das war sehr, sehr bewegend und bis zuletzt wussten wir nicht, ob wir das schaffen können von Hamburg aus nach Moskau, über Putin und über den Bürgermeister hinweg ihn zu retten. Und so ist es uns gelungen, und das war dann doch mit vielen Tränen und viel Erleichterung, als er dann zurückkam.

Degenhardt: Ist es oft so, dass es für die Menschen, denen Sie helfen wollen, ums Ganze geht?

Bäurle: Es geht ums Ganze, da haben Sie recht. Es geht ganz oft um Lebensgefahr. Manchmal leben sie auch schon versteckt und wir können dann nur über andere Personen Kontakt aufnehmen. Und oftmals geht es auch gar nicht, dass sie direkt über den Heimatflughafen ausreisen können, sondern über Nachbarländer. Es ist doch große Gefahr. Sie stehen oft auf Todeslisten, erhalten Morddrohungen, wie zum Beispiel im Fall unserer aktuellen Journalistin aus El Salvador, die mehrfach mit dem Tod bedroht worden ist und auch auf sie geschossen worden ist im Bus, und sie ist so glücklich, dass sie hier sein kann.

Degenhardt: Sie vergeben Stipendien in begrenzter Zahl. Das geht gar nicht anders. Nach welchen Kriterien wählen Sie denn aus?

Bäurle: Das ist immer sehr schwierig. Einmal im Jahr setzt sich der Vorstand zusammen und liest dann die ungefähr zwölf, gut recherchierten Bewerbungen, und jedes Mal haben wir große Probleme, wen wir einladen können, Bauchschmerzen, weil es doch immer sehr schwierig ist, warum dieser und warum nicht jener, und unsere Kriterien können nur sein der hohe Gefährdungsgrat. Es gibt manchmal graduelle Unterschiede, der eine ist mehr gefährdet als der andere, er steckt mehr in Lebensgefahr, und der andere, vielleicht ist es Berufsverbot oder Repressalien, Schikanen, die noch anders zu bewerten sind. Aber jedes Mal sind wir doch sehr bedrückt.

Degenhardt: Die Menschen bleiben ein Jahr. Was ist, wenn sie nicht mehr zurück, sondern hier in Deutschland bleiben wollen, weil sie haben ja – Sie haben es angedeutet – nach wie vor um ihr Leben fürchten müssen?

Bäurle: Ja, das zeigt sich ganz anders in der Erfahrung und Praxis. Da ich ja selber schon 20 Jahre in der Stiftung arbeite, kann ich das so sagen. Die Menschen, die hier herkommen, die wollen gar nicht hier bleiben. Sie wollen zurück. Sie nutzen dieses Jahr, um Kontakte zu knüpfen, um sich auch zu erholen, um auch mal aus dem Fokus rauszutreten aus ihrer Arbeit und von außen noch mal wieder alles neu zu bewerten. Sie wollen zurück! Es gibt nur wenige Fälle, wenn inzwischen ein Haftbefehl ausgestellt worden ist im Land, oder Morde weitergehen und das nicht aufhört, dass man dann überlegt, was zu tun ist, und das muss nicht immer Asyl sein und in Deutschland bleiben wollen, sondern das kann auch durchaus ein Anschlussstipendium sein. Ich bin sehr vernetzt mit anderen Organisationen wie zum Beispiel P.E.N., "Writers in Exile" oder Graf Stadtschreiber, dass dort auch manchmal noch ein Jahr Überbrückung, Zeitgewinn möglich ist. Also es stellt sich nicht die Frage, dass sie sagen, sie möchten hier bleiben.

Degenhardt: Aber es geht natürlich auch immer um Geld. Für das, was Sie machen, brauchen Sie welches. Woher kommt das?

Bäurle: Ja, das ist wahr. Wir sind, das muss ich mal sagen, eine Nicht-Regierungsorganisation und eine unabhängige, aber wir haben das große Glück, dass die Stadt Hamburg uns unterstützt, von Anfang an, mit vier Stipendien, mit denen sie uns unterstützt. Es ist immer angedacht, fünf Stipendiaten mit ihren Familien einzuladen, pro Jahr. Das heißt, dass wir den Rest immer über Spenden, Privatspenden einwerben.

Degenhardt: Wenn Sie die Stadt unterstützt in Gestalt des Bürgermeisters, wie groß ist da die Gefahr der politischen Einflussnahme?

Bäurle: Das ist auch wunderbar: gar keine. Bisher ist das nie vorgekommen. Selbst in einer Situation, wo wir uns sehr engagiert haben für einen chinesischen Rechtsanwalt, der unter Hausarrest saß und den wir auch als Stipendiatenkandidaten aufgenommen haben, den wir leider aber nie in Hamburg begrüßen konnten, weil China ihn niemals raus ließ, da habe ich dann bei dem Bürgermeister angefragt und habe gesagt, ich werde jetzt doch sehr deutlich an die deutsche Botschaft gehen und mit der Bitte, bei den bestimmten Behörden vorzusprechen, und es könnte dann vorkommen, dass ein chinesischer Botschafter hier vor Ort vielleicht ein Gespräch mit ihm führen möchte. Und da sagte der damalige Bürgermeister, das macht gar nichts, der soll gerne kommen, ich stehe dazu und ich weiß schon, was ich sagen kann. Also ich werde da auch unterstützt.

Degenhardt: Heute gibt es wie gesagt Ihre Stiftung 25 Jahre. Da wird ein bisschen gefeiert, da wird möglicherweise der Erste Bürgermeister der Stadt, Herr Scholz, vorbei schauen. Wer denn noch? Möglicherweise auch der Gründer Ihrer Initiative?

Bäurle: Ja! Herr von Dohnanyi wird seine Motive erklären, warum er die Stiftung gegründet hat. Das hängt bestimmt und sicher damit zusammen, er hat auch in die Präambel schreiben lassen "in Gedenken an die Opfer des NS-Regimes und all diejenigen, die sich jetzt noch für Demokratie und Freiheit einsetzen und deswegen verfolgt werden". Wenn man ihn selber fragt, dann antwortet er nicht mit dem Schicksal seines Vaters, sondern eher der Schriftsteller wie zum Beispiel Robert Musil, der damals in der Schweiz kein Geld hatte, in erbärmlichsten Verhältnissen leben musste als Exilierter. Da sagt er, er möchte eine Stiftung haben für die Menschen, dass die hier auch gut finanziell ausgestattet sind und sich wirklich ein Jahr auch vernetzen können und dabei auch erholen, ein Schonraum, eine Auszeit von all dem.

Degenhardt: Martina Bäurle war das, seit 20 Jahren so was wie der gute Geist der "Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte", und die gibt es mit dem heutigen Tag ein viertel Jahrhundert. Vielen Dank für das Gespräch und einen guten Tag nach Hamburg.

Bäurle: Danke schön!

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