Jeff Tweedys neues Solo-Album "Warm"

Trost in der Musik

Jeff Tweedy 2017 auf dem Big Ears Festival in den USA.
"Ich wollte wenigstens versuchen, mich selbst mit meiner Musik zu trösten", sagt Jeff Tweedy über sein Album. © imago stock&people
Von Amy Zayed |
Der Tod seines Vaters, die Krebserkrankung seiner Frau – auf seinem neuen Soloalbum versucht Jeff Tweedy Trost in der Musik zu finden. Es ist ein spirituelles Folk-Album, das Hoffnung schenkt und ein wenig wie eine große Umarmung klingt.
"Bei dem Albumtitel 'Warm' gings mir um die Magie, Spiritualität oder Religion. Beziehungsweise es ging mir um die Hoffnung, die darin steckt", sagt Jeff Tweedy über sein neues Solo-Album. "Einerseits verbietet uns unser intellektuelles Denken an solche Dinge zu glauben, aber andererseits wünschen wir uns tief in uns drin, dass sie existieren. Deshalb löschen wir sie auch nie komplett aus unserem Bewusstsein, weil sie uns Hoffnung geben. Dass es zum Beispiel einen Himmel oder ähnliches geben könnte. Bis vor kurzem hatte ich selbst sehr große Probleme an sowas zu glauben, aber mir ist klar geworden, dass wir diese Dinge nicht auslöschen können aus unserem Leben."
Wer die manchmal etwas verschwurbelt-verkopften Songs aus frühen Wilco-Zeiten erwartet, in denen man das Gefühl hat, Tweedy weine förmlich seine Hilflosigkeit und Wut hinaus, wird auf diesem Album lange danach suchen. Aus dem verlorenen, manchmal etwas depressiv wirkenden Sound ist über die Jahre eher ein spiritueller Folksound geworden. Obwohl Jeff Tweedy eigentlich allen Grund gehabt hätte verzweifelt zu sein.

"Mit dem Tod konfrontiert"

"Anfangs ging’s mir gar nicht so sehr darum, die Welt zu umarmen, sondern vor allem um mich selber, und irgendwie mit dem Leben klarzukommen. Ich bin einfach die letzten Jahre so sehr mit dem Tod konfrontiert worden. Bei meiner Frau wurde Krebs festgestellt, Gott sei dank geht’s ihr wieder gut. Aber mein Bruder starb ungefähr um dieselbe Zeit, und dann starb letztes Jahr mein Vater. Normalerweise tendiere ich dann dazu, melancholisch und in mich gekehrt zu werden, und diesmal wollte ich wenigstens versuchen, mich selbst mit meiner Musik zu trösten."
Musikalisch schwankt das Album zwischen getragenen Akustik-Balladen, folkigen Popsongs und manchmal auch den typischen frühen Wilco-ähnlichen etwas rauheren Indie-Elementen wie im Song "Red brick".
Aber im Großen und Ganzen baut das Album fast auf dem letzten Wilco-Album "Schmilco" auf. Manchmal ein bisschen Country-lastig, und bei weitem nicht mehr so rau wie in den 90ern. Bloß klingt es auf "Warm" noch ausgereifter, noch simpler, aber dabei noch offener.

Gib nicht auf!

Textlich geht es fast immer um die eine Botschaft: Gib nicht auf! Es lohnt sich weiter zu machen. Ich weiß, wie es ist, sich nicht gut zu fühlen, Schluss machen zu wollen, einfach alles zu beenden. Aber glaub mir, es macht Sinn dem Leben eine zweite Chance zu geben! Und das geht nur, wenn wir Menschen miteinander reden, einander vertrauen!
Solche und ähnliche Textstellen findet man immer wieder. Jeff Tweedy sagt:
"Ich kenne das Gefühl ja wirklich! Dieses ums Überleben kämpfen, wenn man eigentlich keine Lust mehr hat, und sich zwingen muss. Das habe ich am Schlimmsten empfunden, als ich meine Drogenabhängigkeit bekämpft und besiegt habe. Aber danach ist man stolz auf sich, dass man’s geschafft hat. Ich versuche das immer wieder sowohl in Interviews, als auch in meiner Musik zu betonen. Musik ist sowieso ein universeller Trost, aber ich will auch sagen: Hey, ich bin hier, ich lebe, und ich genieße es. Vielleicht ist das ja für andere ein Anreiz weiterzumachen."
Inspiriert wurde der Gedanke zum Album auch durch die Art, wie Tweedys Vater seinen Tod fast zelebriert hat. Er lud die gesamte Familie ein, in den letzten Stunden bei ihm zu sein. Man sang, man erzählte Geschichten, und bereitete ihm damit ein, so Tweedy, würdiges Ende. Danach waren seine Gefühle gemischt. Einerseits traurig und wütend, aber andererseits auch irgendwie zufrieden und ruhig.
"Ich glaube, diesen Widerstreit habe ich ganz gut ausgedrückt in den beiden Songs ’Red brick’ und der Single ’Warm’. Deshalb folgen die Songs auf dem Album unmittelbar aufeinander. Auf der einen Seite die Aggression, die Frustration und die Wut auf ’Red brick’, und dann die Ruhe und den Mut auf ’Warm when the sun has died’. Ich denke, das ist auch ein bisschen das Fazit des Albums."

Ein Album wie eine riesengroße Umarmung

"Warm" spielt mit Understatement, mit seiner Einfachheit. Es gibt keinen Schnickschnack, wenig Experimente, es gibt Songs, die man direkt mitsingen kann. Bis auf einige Ausnahmen lebt die Platte buchstäblich von der Idee des weisen Mannes mit seiner Gitarre, dem neuen Barden, der der Welt von seinen Erfahrungen erzählt. Manchmal klingt es fast schon spirituell, aber immer noch sehr realistisch. Durch das simple Arrangement und die direkten Texte spricht es einen auf eine intime Weise persönlich an, und somit klingt es wie eine ernstgemeinte, vollkommen warmherzige, riesengroße Umarmung der Welt – und von jedem, der diese Platte hört.
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