Jeffrey Herf: "Unerklärte Kriege gegen Israel. Die DDR und die westdeutsche radikale Linke 1967-1989"
Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz.
Wallstein Verlag, Göttingen 2019
518 Seiten, 39 Euro
Eine ungemütliche Lektüre
05:13 Minuten
Von wegen "Antifaschistische Grundhaltung": Jeffrey Herf beschreibt detailreich, wie seinerzeit sowohl die DDR als auch Teile der westdeutschen Linken den jüdischen Staat als Todfeind betrachteten. Gerade heute eine beunruhigende Lektüre.
Es ist ein zentraler Mythos der DDR-Verklärung: Immerhin, so ist von ihren Schönrednern zu hören, sei sie "konsequent antifaschistisch" gewesen. Doch war dem wirklich so?
Der tödlichste Anschlag auf Juden seit dem Holocaust
Der amerikanische Historiker Jeffrey Herf – in seinem Heimatland ein bekannter linksliberaler Intellektueller und zudem ein wortmächtiger Analytiker Trumpscher Wahrheitsverdrehungen – hat jetzt ein Buch veröffentlicht, das zu einer denkbar ungemütlichen Lektüre werden dürfte. "Unerklärte Kriege gegen Israel. Die DDR und die westdeutsche radikale Linke 1967-1989" räumt nämlich nicht nur mit ostdeutschen Legendenbildungen auf:
"Am 13. Februar 1970 ereignete sich der tödlichste Anschlag auf Juden in Deutschland seit dem Holocaust. Ein Brandstifter legte Feuer in einem Altenheim, das in einem jüdischen Gemeindezentrum in München untergebracht war. Sieben Bewohner starben, sechs in den Flammen und einer an den Verletzungen nach einem Sprung aus dem Fenster. Niemand bekannte sich zu dem Anschlag, bis heute ist der Fall ungelöst, auch wenn Indizien auf eine Beteiligung westdeutscher linker und oder palästinensischer Terroristen schließen lassen."
Linksradikaler Antisemitismus wird bis heute relativiert
Wenige Tage später schrieb der linksextreme Dieter Kunzelmann, seinerzeit eine führende Gestalt der Westberliner "Tupamaros", seinen "Genossen an der Heimatfront": "Von Amman aus frage ich mich: Wann endlich beginnt bei Euch der organisierte Kampf gegen die heilige Kuh Israel?"
Obwohl dies und anderes – so etwa Ulrike Meinhofs jubelnde Reaktion auf den tödlichen Anschlag auf die israelischen Athleten der Münchner Olympiade von 1972 – präzise dokumentiert ist, scheinen im kollektiven Gedächtnis des selbsternannten "Erinnerungsweltmeisters Deutschland" hier noch immer blinde Flecke zu existieren. Fällt der Name Dieter Kunzelmann, sind es jedenfalls nicht nur die verbliebenen Veteranen des damaligen Milieus, sondern auch vermeintlich besser informierte Nachgeborene, die ihn, den geradezu pathologischen Antisemiten, vor allem mit einem vermeintlichen "Provokateur und Spaß-Kommunarden" assoziieren.
Sogar die Namen von Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann, die sich 1976 bei der Flugzeugentführung im ugandischen Entebbe – als erste Deutsche seit 1945 – persönlich an der Selektion der Juden unter den Passagieren beteiligt hatten, sind kaum noch bekannt.
Die DDR beteiligte sich an Kriegen gegen Israel
Eine seltsame Amnesie, die umso größer ist, geht es um die DDR. Als treuer Vasall Stalins hatte die DDR bereits seit ihrer Gründung 1949 den jüdischen Staat mit einem Vokabular bedacht, dass ansonsten nur für die Verbrechen der Nazis vorgesehen war. Dank unzähliger Archivfunde kann nun Jeffrey Herf nachweisen, dass es nicht bei Agitation blieb, sondern der ostdeutsche Staat bis 1989 Waffen und militärische Ausrüstung an die PLO und jene arabischen Staaten lieferte, die sich im Kriegszustand mit Israel befanden.
Während des Überfalls auf die Golan-Höhen im Jom-Kippur-Krieg 1973 waren ostdeutsche MIG-Jagdflugzeuge (durch Befehl Honeckers) auf syrischer Seite im Einsatz, wenngleich die DDR-Piloten dann in Aleppo blieben und dort durch sowjetisches Personal ersetzt wurden. Danach aber gab es sogar ein Ehrenplakat für die Beteiligten, deren Vorgesetzter – Sachen, die sich nicht erfinden lassen – ausgerechnet Major Biedermann hieß.
Jeffrey Herf, weder eifernd-didaktisch noch ein Freund suggestiver Fragen, überlässt es dem Leser, eigene Schlüsse zu ziehen. Eine Frage jedenfalls erledigt sich nach der Lektüre dieses beklemmenden Buchs: Hätte man es wissen können? Durchaus, wurde doch in Ostberlin Jassir Arafat permanent mit militärischen Ehren empfangen, prangten die Fotos von Honeckers Besuchen in Damaskus und Tripoli auf den ersten Seiten der staatlichen Zeitungen.
Auf jüdischen Protest hat Honecker nie reagiert
Allerdings waren es damals nicht die publizistischen Großkaliber der Bundesrepublik, sondern die Vertreter der kleinen Jüdischen Gemeinde, die geradezu verzweifelt auf die Tatsache hinwiesen, dass die DDR nicht nur in ihren Massenmedien inflationär die Begriffe Faschismus, Nazismus und Völkermord verwendete, wann immer es um Israel ging, sondern auch deutsche Waffen produzierte und verkaufte, mit denen Juden getötet wurden.
Heinz Galinski, Auschwitz-Überlebender und seinerzeit Vorsitzender des Zentralrates der Juden, schrieb nach dem Jom-Kippur-Krieg sogar einen von emotionaler Erschütterung grundierten öffentlichen Brief an Erich Honecker, in dem er diesen an seine Vergangenheit als Antifaschist erinnerte und fragte, weshalb die DDR-Berichterstattung derart infam und voller Hass klassische Motive des Antisemitismus aufnehme. Honecker hat nie auf diesen Brief geantwortet, der es freilich auch bis heute nicht in die Schulbücher des wiedervereinigten Landes geschafft hat.
Jeffrey Herf aber hat mit geradezu bewundernswerter Ruhe und Detailgenauigkeit ein Buch geschrieben, dass uns gerade heute zutiefst beunruhigen müsste.