Gedanken zu "Jeganern"

Es braucht mehr vegane Jäger!

Eine Jägerin geht durch den Wald.
Jäger sind viel im Wald - und gestalten die Natur durch die Jagd auch mit. © picture alliance / dpa / Philipp Schulze
Von Tobias Pastoors · 11.07.2024
Veganismus und Töten schließen sich aus? Nicht unbedingt! Veganern geht es darum, das Leid und die Ausbeutung von Tieren so weit wie möglich zu verhindern. Das kann mit der Jagd vereinbar sein – theoretisch.
Jäger und Veganer, zwei Gruppen, die dem Klischee nach Feinde sein müssten: Die einen töten, die anderen rufen „Mörder!“
Nun gibt es aber einige Sonderlinge, die beides sein wollen: Veganer und Jäger. Sie gehen auf die Pirsch, drücken ab und essen das Fleisch. Aber davon abgesehen leben sie vegan – und sie begründen ihr Wandeln zwischen den Welten mit ethischen Argumenten.

Was ist ein "Jeganer"?

So wie Christopher Stoll. Er ist "Jeganer", ein Neologismus aus Veganer und Jäger. Stoll lehnt die Massentierhaltung ab, möchte aber gerne weiter Fleisch essen. Und gejagtes Fleisch sei eben ethischer: Die Tiere können selbstbestimmt leben, werden nicht lebend transportiert, sondern eben vom Jäger plötzlich und idealerweise schnell getötet.
Gejagtes Fleisch verursacht also im Regelfall weniger Leid als Fleisch vom Schlachter, doch ist die Jagd damit automatisch kompatibel mit einer veganen Lebensweise?
In der Definition der Vegan Society heißt es: „Veganismus ist eine Lebensweise, die versucht – so weit, wie es praktisch durchführbar ist – alle Formen von Ausbeutung und Grausamkeiten an leidensfähigen Tieren für Essen, Kleidung und andere Zwecke zu vermeiden“. Doch was heißt das nun, „so weit, wie es praktisch durchführbar ist“? Wo liegen die Grenzen des Machbaren und des Zumutbaren?

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Jagd ist im Status quo unserer menschengemachten Ökosysteme notwendig. Es gibt in Deutschland nahezu keine unberührte Natur, keine Kreisläufe, die nicht vom Menschen beeinflusst sind.
Und wo der Mensch störend eingegriffen hat, da muss er danach eben manchmal auch helfend eingreifen, um den Kreislauf in Schwung zu halten. Sonst verliert der Wald die Funktionen, die wir als Gesellschaft brauchen. So argumentiert auch "Jeganer" Stoll.
Und das gilt umso mehr in Zeiten des Klimawandels, in denen der Wald grundlegend umgebaut werden muss. Es braucht mehr Laubbäume, um die Wälder resilienter zu machen. Doch jeder Baum fängt klein an – und kleine Laubbäume haben wenig Überlebenschancen, wenn die Wälder voller Reh-, Dam- und Rotwild sind.
Ohne effiziente Bejagung sei ein Waldumbau nicht möglich, heißt es in einem Eckpunktepapier des wissenschaftlichen Beirats zur Waldpolitik, der die Bundesregierung berät.

Sind Jagd und Veganismus überhaupt vereinbar?

Ist man damit also an jener Grenze des Veganismus? Geht es nicht ohne Jagd? Vermutlich geht es nicht, zumindest nicht sofort. Auf lange Sicht könnten Ökosysteme natürlich umgestaltet werden, möglichst so, dass weniger oder irgendwann keine Jagd mehr nötig wäre. Und da ist einiges möglich.
Forschende haben bereits gezeigt, dass Hirsche weniger an Bäumen knabbern, wenn sie leichter an Gräser herankommen und über weite Flächen wandern können. Ein Hindernis dabei: die Jagd. Denn Hirsche lernen, sich vor freien Flächen zu fürchten. Jagdfreie Gebiete könnten hier helfen.
Kurzum: Die Jagdpraxis im Deutschland des Jahres 2024 ist weit davon entfernt, sich einzig und allein um den Erhalt der Ökosysteme und das Wohl der Tiere zu sorgen. Aber dann – und nur dann – könnte man definitionsgerecht von veganer Jagd sprechen.

Ethische Grenzgänge nicht nur bei "Jeganern"

Vegane Jäger wären auch nicht die ersten Veganer, die töten, denn ethische Grenzgänge tauchen überall auf: Wie wird man Lebensmittelmotten los oder gehören die ab sofort zur Familie? Wie viel Aufwand sollten wir betreiben, damit möglichst wenige Würmer bei der Kartoffelernte zerschnitten werden? Und wohin eigentlich mit den Schnecken aus dem Salatbeet?
Diese Fragen mögen kleinkariert oder überzogen wirken, sie betreffen aber Tausende Lebewesen, die nach dem Stand der Wissenschaft durchaus komplexe Empfindungen haben könnten.
Klar ist: Niemand sollte sich von derart weitgehenden Überlegungen davon abhalten lassen, erst mal "nur" vegan zu essen. Denn damit wird definitiv ganz direkt sehr viel Leid vermieden! Veganismus verlangt keine Perfektion, sondern aufrichtiges Bemühen.
Die Gratwanderung zwischen vermeidbarem und unvermeidbarem Leid ist nicht eindeutig und damit ist ebenso nicht eindeutig, wann ein Verhalten vegan ist und wann nicht.
Apropos: Welche Geschwindigkeit darf man auf einer Landstraße im Wald fahren, um das Leben von Rehen nicht unangemessen zu gefährden? Jährlich sterben über 200.000 Rehe nach Zusammenstößen mit Kraftfahrzeugen. Manchmal verkürzen Jäger ihren Weg in den Tod.
Und vielleicht streifen durch Deutschlands Wälder ja tatsächlich einige "Jeganer", die ihren Namen verdient haben. Die ihr Handwerk ausschließlich zum Erhalt der Ökosysteme und zum Wohle der Tiere ausführen. Die die Jagd so weit wie möglich abschaffen wollen und sich dafür einsetzen, natürliche Kreisläufe in den Wald zurückzuholen. Dann sollte es aus veganer Perspektive heißen: Bitte mehr davon!
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