"Das ist auch ein Wirtschaftskrieg"
Millionen Menschen im Jemen sind vom Hungertod bedroht: Warum ist es so schwierig, Hilfe für sie zu organisieren? Schuld sind Saudi-Arabiens Militäraktionen, aber auch die Geldpolitik der jemenitischen Zentralbank, sagt der Geograf Günter Meyer.
Dieter Kassel: Der Bürgerkrieg im Jemen dauert inzwischen ungefähr drei Jahre. Es wird selten darüber außerhalb der Region berichtet, was eigentlich völlig unverständlich ist, denn dieser Krieg hat dramatische Konsequenzen. Die größte Cholera-Epidemie in der Geschichte der Menschheit tobt dort inzwischen, zumindest seit diese Epidemien genau kontrolliert werden. Das sagt die Weltgesundheitsorganisation. Andere durchaus glaubwürdige Organisationen sagen, dass inzwischen über die Hälfte der Bevölkerung des Jemen vom Hungertod bedroht ist.
Nun kommt allerdings im Moment ein bisschen Bewegung in die Sache, gleich in mehrerlei Hinsicht: Die Huthi-Rebellen dort im Jemen haben angekündigt, zu Friedensverhandlungen prinzipiell bereit zu sein und bis auf weiteres sogar Raketenangriffe einzustellen. Solche Verhandlungen hat die UN bereits angekündigt, heute beschäftigen sich die EU-Außenminister unter anderem in Brüssel bei ihrem Treffen auch mit dem Krieg im Jemen. Und es könnte auch eine Rolle spielen, wie die USA auf die neuesten Erkenntnisse der CIA zur Ermordung des saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi reagieren.
All das hängt zusammen und ist auch kompliziert, wir wollen das deshalb klären mit Professor Günter Meyer, er ist der Leiter des Zentrums für Forschung zur arabischen Welt an der Universität Mainz. Schönen guten Morgen, Herr Meyer.
Günter Meyer: Guten Morgen, Herr Kassel.
USA fordern Waffenstillstand
Kassel: Sprechen wir als Erstes über diese Ankündigung der Huthi-Rebellen. Könnte das jetzt der entscheidende Schritt sein, der vielleicht doch mittelfristig zu einem Frieden im Jemen führen kann?
Meyer: Diese Ankündigung der Huthis ist im Zusammenhang zu sehen mit der Forderung, die der US-Verteidigungsminister Mattis am 30. Oktober erhoben hat. Er hat klar die Forderung gestellt, dass innerhalb von 30 Tagen ein Waffenstillstand eingesetzt sein muss und dass die Kriegsparteien gemeinsam an einem Verhandlungstisch sitzen. Und das hat zunächst einmal dazu geführt, dass die Kämpfe, vor allem um die strategisch wichtige Hafenstadt in al-Hudaida massiv verstärkt worden sind, Bombenaufgriffe auf al-Hudaida, auf die Hauptstadt Sanaa von Seiten der von den Saudis geführten Militärkoalition, und mehr als 10.000 zusätzliche Bodentruppen sind in Bewegung gesetzt auf Hudaida. Und jetzt aber, nach diesen jüngsten Forderungen von den USA, haben die Saudis, hat die Militärkoalition ihren Angriff auf Hudaida eingestellt. Vor diesem Hintergrund ist auch die Erklärung von Mohammed al-Houthi zu sehen, der per Twitter erklärt hat: Auch wir sind zu Friedensverhandlungen bereit, wenn die andere Seite hier damit einverstanden ist, und deshalb werden auch wir unsere Raketenangriffe einstellen.
Kassel: Ich glaube, dass es für viele wahrscheinlich überraschend kommt, dass einige Beobachter sagen, die Ermordung von Jamal Khashoggi könnte eine Rolle spielen bei der Fortführung dieses Krieges. Können Sie das nachvollziehen?
Meyer: Das ist ein ganz entscheidender Punkt. wird, wie wir aus den Pressemitteilungen der letzten Tage wissen, als der Hauptverantwortliche für den Mord an dem regierungskritischen Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul angesehen. Und Mohammed bin Salman, der starke Mann in Saudi-Arabien, der Kronprinz, er ist zugleich auch die treibende Kraft, der wichtigste Verantwortliche für den Krieg im Jemen. Das heißt, unter diesem Druck und auch angesichts der Forderungen von Seiten der US-Regierung, der sich jetzt Trump auch angeschlossen hat, ist seine Position so geschwächt, dass er auch eher bereit ist, hier zu Kompromissen im Jemen. Und dadurch, dass der Druck von Seiten der USA ausgeht, kann er auch sein Gesicht wahren und nicht von sich aus diesen dreieinhalb Jahre anhaltenden Krieg, der als nicht gewinnbar anzusehen ist, diesen Krieg aussetzen.
Kassel: Jetzt wollen wir aber noch mal eins klären, weil, ich glaube, man muss das immer wieder erwähnen, weil halt zumindest in unseren Medien jetzt nicht gerade kontinuierlich berichtet wurde über diesen Krieg. Wir nennen es immer Bürgerkrieg, das ist nicht falsch, aber ja auch nicht ganz richtig. Es ist doch eigentlich so eine Art Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, oder?
Meyer: Es spielt sicherlich eine Rolle im Hintergrund, die Rivalität zwischen Riad und Teheran, aber entscheidend ist die Einflussnahme von Saudi-Arabien im Jemen, die eine jahrzehntelange Tradition hat und das in jüngster Zeit offensichtlich dadurch noch an Gewicht gewonnen hat, weil man nach arabischen Presseberichten riesige Erdölvorräte im Osten des Landes entdeckt hat, die größer sein sollen als die von Saudi-Arabien, Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten zusammen. Und hier ist nach diesen Presseberichten das Interesse der Saudis natürlich riesengroß, zu verhindern, dass dieses Erdöl tatsächlich im Jemen gefördert wird und damit eine riesige Konkurrenz für Saudi-Arabien darstellt. Also, diese Hintergründe spielen eine wichtige Rolle, während die Tatsache, dass die Huthis mit dem Iran verbündet sind, zwar als Stellvertreterkrieg hochgespielt wird, aber sicherlich nicht die entscheidende Rolle spielt.
"Deutschland kann längerfristig eine Rolle spielen"
Kassel: Reden wir doch auch mal bei diesem Krieg über die Rolle der EU. Ich habe es ja erwähnt, die EU-Außenminister werden heute Nachmittag in Brüssel auch darüber reden und der frühere britische Außenminister David Miliband hat in einem Gastbeitrag für die deutsche Wochenzeitung "Die Zeit" erklärt, Deutschland könne mit seinem künftigen Sitz im Weltsicherheitsrat hier eine Schlüsselrolle spielen. Was bedeutet denn das, welchen Einfluss hat Deutschland auf die Ereignisse im Jemen?
Meyer: De facto keinen. Der Einfluss von den USA und England, auch Frankreich als Waffenlieferanten für Saudi-Arabien, das sind eigentlich die treibenden Kräfte. Das heißt, der Einfluss von Deutschland kann allenfalls längerfristig eine Rolle spielen, wenn es darum geht, den Jemen nach diesem Krieg wieder aufzubauen, aber direkte Einflussmöglichkeiten hat die Bundesregierung auch auf absehbare Zeit auf die politischen Verhältnisse im Jemen, auch auf die Beziehungen zu Saudi-Arabien sicherlich nicht.
Kassel: Sehen Sie denn überhaupt eine Möglichkeit, diesen Krieg mit Verhandlungen zu beenden?
Meyer: In der aktuellen Situation und angesichts des massiven Drucks, der von den USA ausgeübt wird gerade auf Saudi-Arabien, ist die Chance wirklich sehr groß, dass wir jetzt zu einem Frieden kommen könnten. Denn die Amerikaner liefern nicht nur Waffen, sondern sie sitzen auch überall in den entscheidenden Kommandostäben, sowohl in Riad, als auch im Jemen. Wenn die Amerikaner ihre militärische Expertise nicht mehr zur Verfügung stellen, dann ist dieser Krieg beendet. Und an diesem Punkt sind wir mittlerweile angekommen.
Der Flughafen zerstört, der Hafen blockiert
Kassel: Wir können, glaube ich, aber an diesem Punkt nicht unser Gespräch beenden, ohne auch über die humanitäre Lage im Jemen zu sprechen. Das Land hat so ungefähr 27 Millionen Einwohner, 17 Millionen haben zurzeit keinen sicheren Zugang zu Nahrung, 13 Millionen sind nach internationalen Beobachtungen, die durchaus glaubwürdig erscheinen, von Hunger wirklich konkret betroffen. Warum ist es so schwierig, diesen Menschen in irgendeiner Form zu helfen? Ich höre immer wieder, dass internationale Organisationen da gar nicht hinkommen.
Meyer: Das liegt daran, weil die Saudis nicht nur den wichtigen Flughafen der Hauptstadt Sanaa zerstört haben, sondern vor allem den Nachschub über die strategisch ungeheuer wichtige Hafenstadt al-Hudaida blockieren. Das ist ein entscheidender Punkt, der zweite entscheidende Punkt ist, die Zentralbank ist von der Hauptstadt Sanaa in den Süden nach Aden verlegt worden und die druckt auf Anordnung der Saudis so viel Geld, dass der jemenitische Rial seinen Wert verloren hat. Das bedeutet nicht nur Verlust der Ersparnisse für die Bevölkerung, sondern die Inflation ist so hoch, dass sich die Jemeniten keine Lebensmittel mehr kaufen können, selbst wenn diese auf den Märkten noch verfügbar sind. Das heißt, es ist nicht nur ein militärischer Krieg, es ist auch ein Wirtschaftskrieg, der noch ungleich größere Auswirkungen auf die humanitäre Katastrophe im Jemen hat.
Kassel: Es gibt Chancen für Friedensverhandlungen, die sogar erfolgreich sein könnten, im Jemen, aber die Lage ist im Moment so katastrophal, wie man sich das kaum vorstellen kann. Wir haben darüber geredet, auch über die politischen Konstellationen, mit Günter Meyer, er ist der Leiter des Zentrums für Forschung zur arabischen Welt an der Universität in Mainz.
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