Waffenstillstand im Jemen

Es bleibt die größte humanitäre Krise

19:23 Minuten
Blick über weites Land, welches durch Regen überschwemmt wurde. Vereinzelt stehen Menschen in der Landschaft.
Menschen, die durch den Krieg vertrieben wurden, haben durch heftige Überschwemmungen nun auch noch ihre Zelte verloren – und stehen vor dem Nichts. © picture alliance / AA / Mohammed Hamoud
Von Anna Osius · 24.08.2022
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Seit April hält die brüchige Waffenruhe im Jemen zwischen den Huthis und der von Saudi-Arabien geführten Allianz. Laut UN sind seit 2015 mehr als 380.000 Menschen durch den Krieg und die Folgen getötet worden. Jetzt gibt es Hoffnung auf Frieden.
Für Journalisten ist es seit 2016 kaum möglich, in den Jemen zu reisen, um von dort zu berichten. Deshalb setzen wir im zuständigen Korrespondentenbüro in Kairo auch auf Mitarbeiter vor Ort.
"Mohammed, kannst du uns berichten, wie die Situation im Jemen aktuell ist?"
Mohammed B. arbeitet schon seit vielen Jahren für das ARD-Studio in Kairo - versorgt uns mit Informationen, führt Interviews vor Ort, filmt fürs Fernsehen. Seit Jahren werden offizielle Visumsanträge reihenweise abgelehnt, oder man hört einfach nie wieder etwas. Die Gründe sind unklar, sagt Mohammed.
"Wir haben es über die Botschaft in Berlin versucht und über die Botschaft in Aden und mit dem Informationsministerium hier, aber wir bekommen leider kein Visum."
Sind internationale Journalisten im Land nicht erwünscht? Wir wissen es nicht. Nur wenigen deutschen Journalisten gelang es, seit Beginn des Krieges 2015 in den Jemen zu reisen.

Waffenruhe bis Oktober vereinbart

Im Jemen kämpft eine Koalition unter Führung Saudi-Arabiens gegen die Huthi-Rebellen, die das Land 2014 überrannten. Die Huthis erhalten Hilfe aus dem Iran. Seit April gilt im Jemen eine landesweite Waffenruhe, die unter Vermittlung der UN mehrmals verlängert wurde – jetzt bis Oktober.
Das Ziel sei eine langfristige Durchsetzung eines Waffenstillstands, heißt es vonseiten des UN-Sondergesandten für den Jemen, Hans Grundberg – seine Stellungnahmen bekommen wir über die internationalen Nachrichtenagenturen und Pressekanäle der Vereinten Nationen.
"Ich rufe die Kriegsparteien dazu auf, diese längste Waffenruhe seit Beginn des Krieges einzuhalten. Es geht darum, einen dauerhaften Frieden zu schaffen."
Jemens Huthi-Anhänger singen Parolen, während sie ein Fahrzeug fahren, nachdem sie an einer Beerdigung von Kämpfern teilgenommen haben, die während der andauernden Kämpfe zwischen den mit dem Iran verbündeten Kämpfern der Huthi-Bewegung und Kräften der gestürzten Regierung, die von der Koalitionsführung unterstützt wurden, getötet wurden von Saudi-Arabien, am 17. März 2022 in Sanaa, Jemen
Huthi-Kämpfer im Jemen im März 2022 - im April wurde eine Waffenruhe vereinbart.© Getty Images / Mohammed Hamoud
Doch noch ist völlig offen, ob die Waffenruhe überhaupt so lange hält – oder ob die Kämpfe, wie kürzlich im Süden des Landes, wieder aufflammen.

2,2 Millionen unterernährte Kinder

Fotos aus dem Jemen kommen auf meinem Handy an, neue Entwicklungen der humanitären Lage angesichts der heftigen Überschwemmungen. Menschen, die eh schon durch den Krieg vertrieben wurden, haben jetzt auch noch ihre Zelte verloren – stehen vor dem Nichts. Geschickt hat die Bilder eine Mitarbeiterin einer Hilfsorganisation aus dem Jemen, mit der ich kürzlich ein langes Hintergrundgespräch hatte.
Unsere Hauptansprechpartner im Jemen sind die Hilfsorganisationen und UN-Organisationen, die vor Ort sind – auch über sie versuchen wir, in den Jemen zu kommen, um zu zeigen, was dort wirklich passiert: Laut UN herrscht im Jemen die schlimmste humanitäre Katastrophe weltweit: Es mangelt an medizinischer Versorgung und Nahrungsmitteln, täglich verhungern Kinder, berichtet Philippe Duamelle von Unicef im telefonischen Interview.
"Wir haben 2,2 Millionen Kinder im Land, die unterernährt sind, davon eine halbe Million lebensbedrohlich unterernährt. Insgesamt sind 2,3 Drittel der Bevölkerung im Jemen auf Hilfe angewiesen."
Bushra Aldukhainah von der Hilfsorganisation Care lebt im Norden des Landes - in Hajjah, wo die Huthis regieren. Durch den Waffenstillstand habe sich die Lage kaum gebessert.
„Um ehrlich zu sein: Wir sehen jetzt keine toten Körper mehr. Das ist der einzige Unterschied. Weil wir sonst jeden Tag Tote auf den Straßen gesehen haben. Aber alles ist weiterhin zerstört: die meisten Straßen, Brücken, Schulen, Fabriken, Krankenhäuser. Ein normales Leben gibt es nicht. Du fühlst Dich immer unter Stress. Die Luftschläge hören wir nicht mehr, aber was die Leute jetzt tötet, ist der fehlende Zugang zu Essen und Wasser. Das ist nicht leicht. Es gibt Lebensmittel, aber viele können die sich nicht kaufen. Die Preise sind sehr stark gestiegen. Und so ist es für viele schwer geworden, sich die zu leisten.“

Nur 40 Prozent der benötigten Hilfsgelder

Das frustrierende für Helfer vor Ort, wie Bushra: Es mangelt an Geldern. Nur rund 40 Prozent des errechneten Bedarfs an internationalen Hilfsgeldern sind bislang tatsächlich zusammen gekommen:
„Es wird immer schlimmer mit dem Nachlassen der Spendenbereitschaft. Besonders jetzt mit der Ukraine. Die Aufmerksamkeit für den Jemen hat nie das Maß erreicht, wie jetzt mit der Ukraine. Mir tun die Menschen dort wirklich sehr leid, was da alles passiert. Aber ich kann Ihnen mit Sicherheit sagen, was im Jemen passiert, ist viel, viel schlimmer als das. Leider gibt es nicht genug Aufmerksamkeit von der Weltgemeinschaft, damit wir auch so arbeiten können, wie die Menschen es nötig hätten im Jemen. Das ist das größte Problem, dass wir als Hilfsorganisation haben.“
Trotzdem hat die 37-Jährige noch Hoffnung: "Wir können nicht aufgeben. Wir hoffen, dass es eines Tages enden wird und im Jemen Frieden sein wird. Ein normales Leben. Das ist unser Recht als Mensch. Dafür beten wir jeden einzelnen Tag."

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