Jendryschek: "Bitterfelder Weg" unter soziologischen Aspekten sehen
"Greif zur Feder, Kumpel. Die sozialistische Nationalkultur braucht dich!" - so lautete das Motto einer kulturpolitischen Konzepts der SED, das vor 50 Jahren im Kulturpalast von Bitterfeld verkündet wurde und deshalb der "Bitterfelder Weg" heißt. Der Schriftsteller Manfred Jendryschek äußerte sich dazu, welche Ergebnisse der Versuch hatte, Arbeiter näher an die Kunst zu bringen.
Liane von Billerbeck: Ein Symposium, das heute von der Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt gemeinsam mit der Leipziger Universität veranstaltet wird, diskutiert darüber, welche Bedeutung der Bitterfelder Weg für die Kunst und Kultur der DDR in der Zeit des Kalten Krieges hatte, und fragt danach, ob er bis heute relevant ist. An der Konferenz teil nimmt auch der Lyriker und einstige Lektor des Mitteldeutschen Verlages, Manfred Jendryschek, der auch nach 1989 Kulturdezernent der Stadt Dessau war. Er ist jetzt aus Halle/Saale zugeschaltet. Einen schönen guten Tag!
Manfred Jendryschek: Guten Tag!
Von Billerbeck: "Greif zur Feder, Kumpel", hieß das sprichwörtlich gewordene Motto des Bitterfelder Weges. Wann haben Sie das getan und zur Feder gegriffen?
Jendryschek: Spätestens also 1960, da wurde in Dessau ein Stadtzirkel gegründet von dem damals relativ bekannten Schriftsteller Werner Steinberg. Und ich war damals Oberschüler von noch nicht ganz 17 Jahren und fand, dass das eine gute Möglichkeit wäre, meine literarischen Möglichkeiten etwas zu erweitern und mit anderen Manuskripte zu diskutieren.
Von Billerbeck: Worüber haben Sie denn geschrieben?
Jendryschek: Das kann ich kaum noch sagen. Das war sicherlich also eher der Kolportage nahe, denke ich, und auch zum Teil Gedichte, etwa über die Pusteblume nach einem chinesischen Aquarell.
Von Billerbeck: Das klingt ja noch nicht so, als ob Sie auf dem Weg in die sozialistische Produktion waren und da Ihre Erlebnisse geschildert haben. Als Oberschüler kannten Sie die ja vielleicht nur aus dem Unterrichtstag in der sozialistischen Produktion.
Jendryschek: Ja, ja. Also man muss vielleicht prinzipiell sich darüber unterhalten, was das mit dem Schlagwort der schreibenden Arbeiter auf sich hatte. Es waren meistens nicht die Arbeiter, die da schrieben, sondern letztendlich doch eine Art von Bildungsbürgertum, das sich kulturell oder künstlerisch äußern wollte.
Von Billerbeck: Welche Folgen hatte denn diese Beschäftigung in diesem Zirkel mit Lyrik und mit Ihrer eigenen Lyrik auf dem Bitterfelder Weg für Ihren späteren Beruf als Lektor und als Autor?
Jendryschek: Diese Arbeit in dem Zirkel war im Vergleich zu vielen anderen Zirkeln wahrscheinlich ganz außerordentlich. Steinberg begann also sofort, das Ganze ernst zu nehmen und seine Leutchen möglichst zu ihrem ersten Buch zu führen, was nicht das Übliche war, sondern das sollte erst mal doch eine allgemeine Beschäftigung sein mit den Problemen des Betriebes usw. Und Steinberg hat von Anfang an also richtig die Leute wie an einem Literaturinstitut trainiert, bis hin zu solchen Fragen anhand von Weltliteratur: Wie eröffne ich einen Roman, wie charakterisiere ich Personen, wie schütze ich Konflikte usw., usw. Er hat Lektoren, Dramaturgen, Psychologen usw. eingeladen, sodass also in den ersten drei Jahren, die ich noch bei dem Zirkel war, schon sozusagen mein halbes Germanistikstudium dort absolviert wurde.
Von Billerbeck: Wenn das, wie Sie sagen, die Ausnahme war, dann kommen wir doch mal zur Regel eines solchen Zirkels, der durch den Bitterfelder Weg gekennzeichnet wurde. Da sollte ja mit der Entwicklung einer neuen sozialistischen Kunst der Aufbau des Sozialismus unterstützt werden. Welches Menschenbild ist da gezeichnet worden?
Jendryschek: Also gewiss ein idealistisches, das oftmals seine Schwierigkeiten dann mit der Realität hatte. Es kommt nur darauf an, was der Einzelne dann daraus macht und inwieweit ein guter Zirkelleiter sich von der äußerlichen Propagandaschiene einfach entfernt und einfach das Wort "Literatur" in dem Falle ernst nimmt oder Bildende Kunst oder Musik. Ich glaube, so etwas hat es eben auch gegeben, und natürlich ist im Laufe besonders der ersten Jahre relativ viel Untermaßiges auch produziert worden, das erst der Propaganda folgte. Und ich glaube, dass im Laufe der Jahre man sich immer mehr davon entfernt hat.
Von Billerbeck: Wenn man Arbeiter an die Kunst heranführt und andererseits Schriftsteller in die Produktion schickt, um da die Distance zur Arbeitswelt abzubauen, dann hat das ja immer Folgen – allerdings sind das nicht immer die erwünschten. Welche Folgen hatte das denn?
Jendryschek: Genau. Ich glaube, dass die SED zu dem Zeitpunkt noch nicht sehen konnte, was es dann wirklich für Folgen hat. Die Autoren, die dann mit einem gewissen Idealismus, ich denke sogar zu dem Zeitpunkt auch noch Christa Wolf oder ganz bestimmte Brigitte Reimann und ihr Mann Siegfried Pitschmann und andere, machten dann eben ihre ernüchternden Erfahrungen. Man muss sich allerdings manchmal fragen auch, wie konnte man so naiv sein, das ist eine andere Frage. Andererseits halte ich es zum Beispiel wie für mich, jemand, der aus dem kleinbürgerlichen Milieu kommt, schon für wichtig, dass er im Laufe seines Lebens auch – jedenfalls als Autor – auch das proletarische Leben kennenlernt, einfach um dieses ganz andere Leben zu erfahren und es nicht nur Kafka zu überlassen, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wahrscheinlich als einziger Schriftsteller, außer einigen proletarischen Autoren, einen Betrieb von innen gesehen hat.
Von Billerbeck: Deutschlandradio Kultur mit dem Lyriker, einstigen Verlagslektor und Kulturdezernenten Manfred Jendryschek sprechen wir über den Bitterfelder Weg, der heute vor 50 Jahren von der SED eingeschlagen wurde und mit dessen Geschichte sich ein Symposium im anhaltischen Wolfen beschäftigt. Wir haben schon einige Namen genannt, die mit dem Bitterfelder Weg in seinen Anfängen verbunden werden, die in Betriebe gegangen sind: Erik Neutsch, Christa Wolf, Erwin Strittmatter und Brigitte Reimann vor allem. Welches Buch, das von dieser Zeit geprägt entstanden ist, haben Sie denn noch besonders stark in Erinnerung?
Jendryschek: Also wahrscheinlich spielt im "Geteilten Himmel" diese Waggonbauarbeit nicht gerade die Hauptrolle, aber wahrscheinlich ist dort ein sagen wir mal relativ geglückter Zusammenfluss von sehr individuellen Problemen, Lebensentscheidungen und Arbeitswelt passiert. Es ist die Frage, inwieweit die Arbeitswelt überhaupt in die Literatur kommt. Sie müsste eigentlich erfahren sein und dürfte dann nicht reportagehaft widergespiegelt werden, sondern müsste wirklich ganz durch Personen durchgehen. Also ich habe jetzt gerade von Tellkamp aus dem "Turm" so etwas gehört, die Arbeit einer Hauptperson im Karbid in Brunau, das ist schon relativ gut gemacht. Das ist, wenn man so will, verspätet ein Beitrag zum Bitterfelder Weg.
Von Billerbeck: Na, ich weiß nicht, ob Uwe Tellkamp das gefällt jetzt, aber wir nehmen das mal zur Kenntnis. Was geschah denn eigentlich, wenn ein Schriftsteller, einen Künstler auf dieses Angebot, in die Produktion zu gehen, nicht einging, wenn er sich also weigerte?
Jendryschek: Nein, also so war das nicht, dass das irgendwie ein Zwang war. Wenn einer nicht wollte …
Von Billerbeck: Dann fiel das aus.
Jendryschek: … dann fiel das aus. Also eher waren das doch wohl freiwillige Meldungen, und ich vermute auch, zum Teil war das einfach, um einen gewissen Lebensunterhalt zu haben.
Von Billerbeck: Der Bitterfelder Weg war ja auch ein Versuch, die Trennung zwischen Berufs- und Laienkunst aufzuheben. Da kann man sich aber vorstellen, dass es doch da durchaus Differenzen mit den Künstlern gegeben haben kann.
Jendryschek: Also ich denke schon, dass man nach wie vor diesen Bitterfelder Weg vorwiegend nicht unter künstlerischen Aspekten, sondern eher unter soziologischen Aspekten sehen sollte, was damals sicherlich nicht so im Blickpunkt war, also dass etwa die Schriftsteller nun mit ihren Büchern beitragen, ökonomische Probleme zu lösen und umgekehrt die Arbeiter genauer als die Schriftsteller die Probleme der Betriebe schildern können. Das alles ist also ungeheuer naiv und das hat natürlich nie stattgefunden.
Wenn man so will, ist insgesamt relativ wenig unmittelbar künstlerisch aus dem Ganzen hervorgegangen. Ich halte es nur für eine großartige Möglichkeit, dass, wenn man so will, im heutigen Sprachgebrauch Unterprivilegierte, wozu eben die sogenannte herrschende Arbeiterklasse in der Bildungshinsicht sicherlich gehörte, dass die die Möglichkeit hatten, einfach mit Künstlern ab und zu zusammenzutreffen, etwas davon kennenzulernen. Also solche Begegnungen, die waren zum Teil wirklich erfreulich, auch wenn oftmals gar nicht über Literatur gesprochen wurde, sondern über Lebensprobleme insgesamt.
Von Billerbeck: Wie lange wurde denn eigentlich dieser Bitterfelder Weg gegangen?
Jendryschek: Also ich denke, dass er ernsthaft nach etwa zehn Jahren als, wenn man so will, Propagandamaschine sich erledigt hatte. Ich würde eben nur sehen, dass andererseits für viele Leute, die sich künstlerisch betätigen wollten, die kulturelle Erfahrungen haben wollten, andererseits für Begegnungen von Arbeitern und Künstlern, dass ich das alles für eine erfreuliche Angelegenheit halte.
Vielleicht war das nicht das Primat, was da gewollt wurde, aber diese Nebenerscheinungen, wenn man sie nutzte, konnten schon wirklich, wie man so sagt, bereichernd sein.
Von Billerbeck: Vor 50 Jahren wurde auf einer Kulturkonferenz im anhaltischen Bitterfeld der Bitterfelder Weg verkündet. Heute wird darüber während eines Symposiums im benachbarten Wolfen diskutiert. Mein Gesprächspartner ist dabei, der Lyriker und einstige Verlagslektor Manfred Jendryschek. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Jendryschek: Ja, ich danke auch.
Manfred Jendryschek: Guten Tag!
Von Billerbeck: "Greif zur Feder, Kumpel", hieß das sprichwörtlich gewordene Motto des Bitterfelder Weges. Wann haben Sie das getan und zur Feder gegriffen?
Jendryschek: Spätestens also 1960, da wurde in Dessau ein Stadtzirkel gegründet von dem damals relativ bekannten Schriftsteller Werner Steinberg. Und ich war damals Oberschüler von noch nicht ganz 17 Jahren und fand, dass das eine gute Möglichkeit wäre, meine literarischen Möglichkeiten etwas zu erweitern und mit anderen Manuskripte zu diskutieren.
Von Billerbeck: Worüber haben Sie denn geschrieben?
Jendryschek: Das kann ich kaum noch sagen. Das war sicherlich also eher der Kolportage nahe, denke ich, und auch zum Teil Gedichte, etwa über die Pusteblume nach einem chinesischen Aquarell.
Von Billerbeck: Das klingt ja noch nicht so, als ob Sie auf dem Weg in die sozialistische Produktion waren und da Ihre Erlebnisse geschildert haben. Als Oberschüler kannten Sie die ja vielleicht nur aus dem Unterrichtstag in der sozialistischen Produktion.
Jendryschek: Ja, ja. Also man muss vielleicht prinzipiell sich darüber unterhalten, was das mit dem Schlagwort der schreibenden Arbeiter auf sich hatte. Es waren meistens nicht die Arbeiter, die da schrieben, sondern letztendlich doch eine Art von Bildungsbürgertum, das sich kulturell oder künstlerisch äußern wollte.
Von Billerbeck: Welche Folgen hatte denn diese Beschäftigung in diesem Zirkel mit Lyrik und mit Ihrer eigenen Lyrik auf dem Bitterfelder Weg für Ihren späteren Beruf als Lektor und als Autor?
Jendryschek: Diese Arbeit in dem Zirkel war im Vergleich zu vielen anderen Zirkeln wahrscheinlich ganz außerordentlich. Steinberg begann also sofort, das Ganze ernst zu nehmen und seine Leutchen möglichst zu ihrem ersten Buch zu führen, was nicht das Übliche war, sondern das sollte erst mal doch eine allgemeine Beschäftigung sein mit den Problemen des Betriebes usw. Und Steinberg hat von Anfang an also richtig die Leute wie an einem Literaturinstitut trainiert, bis hin zu solchen Fragen anhand von Weltliteratur: Wie eröffne ich einen Roman, wie charakterisiere ich Personen, wie schütze ich Konflikte usw., usw. Er hat Lektoren, Dramaturgen, Psychologen usw. eingeladen, sodass also in den ersten drei Jahren, die ich noch bei dem Zirkel war, schon sozusagen mein halbes Germanistikstudium dort absolviert wurde.
Von Billerbeck: Wenn das, wie Sie sagen, die Ausnahme war, dann kommen wir doch mal zur Regel eines solchen Zirkels, der durch den Bitterfelder Weg gekennzeichnet wurde. Da sollte ja mit der Entwicklung einer neuen sozialistischen Kunst der Aufbau des Sozialismus unterstützt werden. Welches Menschenbild ist da gezeichnet worden?
Jendryschek: Also gewiss ein idealistisches, das oftmals seine Schwierigkeiten dann mit der Realität hatte. Es kommt nur darauf an, was der Einzelne dann daraus macht und inwieweit ein guter Zirkelleiter sich von der äußerlichen Propagandaschiene einfach entfernt und einfach das Wort "Literatur" in dem Falle ernst nimmt oder Bildende Kunst oder Musik. Ich glaube, so etwas hat es eben auch gegeben, und natürlich ist im Laufe besonders der ersten Jahre relativ viel Untermaßiges auch produziert worden, das erst der Propaganda folgte. Und ich glaube, dass im Laufe der Jahre man sich immer mehr davon entfernt hat.
Von Billerbeck: Wenn man Arbeiter an die Kunst heranführt und andererseits Schriftsteller in die Produktion schickt, um da die Distance zur Arbeitswelt abzubauen, dann hat das ja immer Folgen – allerdings sind das nicht immer die erwünschten. Welche Folgen hatte das denn?
Jendryschek: Genau. Ich glaube, dass die SED zu dem Zeitpunkt noch nicht sehen konnte, was es dann wirklich für Folgen hat. Die Autoren, die dann mit einem gewissen Idealismus, ich denke sogar zu dem Zeitpunkt auch noch Christa Wolf oder ganz bestimmte Brigitte Reimann und ihr Mann Siegfried Pitschmann und andere, machten dann eben ihre ernüchternden Erfahrungen. Man muss sich allerdings manchmal fragen auch, wie konnte man so naiv sein, das ist eine andere Frage. Andererseits halte ich es zum Beispiel wie für mich, jemand, der aus dem kleinbürgerlichen Milieu kommt, schon für wichtig, dass er im Laufe seines Lebens auch – jedenfalls als Autor – auch das proletarische Leben kennenlernt, einfach um dieses ganz andere Leben zu erfahren und es nicht nur Kafka zu überlassen, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wahrscheinlich als einziger Schriftsteller, außer einigen proletarischen Autoren, einen Betrieb von innen gesehen hat.
Von Billerbeck: Deutschlandradio Kultur mit dem Lyriker, einstigen Verlagslektor und Kulturdezernenten Manfred Jendryschek sprechen wir über den Bitterfelder Weg, der heute vor 50 Jahren von der SED eingeschlagen wurde und mit dessen Geschichte sich ein Symposium im anhaltischen Wolfen beschäftigt. Wir haben schon einige Namen genannt, die mit dem Bitterfelder Weg in seinen Anfängen verbunden werden, die in Betriebe gegangen sind: Erik Neutsch, Christa Wolf, Erwin Strittmatter und Brigitte Reimann vor allem. Welches Buch, das von dieser Zeit geprägt entstanden ist, haben Sie denn noch besonders stark in Erinnerung?
Jendryschek: Also wahrscheinlich spielt im "Geteilten Himmel" diese Waggonbauarbeit nicht gerade die Hauptrolle, aber wahrscheinlich ist dort ein sagen wir mal relativ geglückter Zusammenfluss von sehr individuellen Problemen, Lebensentscheidungen und Arbeitswelt passiert. Es ist die Frage, inwieweit die Arbeitswelt überhaupt in die Literatur kommt. Sie müsste eigentlich erfahren sein und dürfte dann nicht reportagehaft widergespiegelt werden, sondern müsste wirklich ganz durch Personen durchgehen. Also ich habe jetzt gerade von Tellkamp aus dem "Turm" so etwas gehört, die Arbeit einer Hauptperson im Karbid in Brunau, das ist schon relativ gut gemacht. Das ist, wenn man so will, verspätet ein Beitrag zum Bitterfelder Weg.
Von Billerbeck: Na, ich weiß nicht, ob Uwe Tellkamp das gefällt jetzt, aber wir nehmen das mal zur Kenntnis. Was geschah denn eigentlich, wenn ein Schriftsteller, einen Künstler auf dieses Angebot, in die Produktion zu gehen, nicht einging, wenn er sich also weigerte?
Jendryschek: Nein, also so war das nicht, dass das irgendwie ein Zwang war. Wenn einer nicht wollte …
Von Billerbeck: Dann fiel das aus.
Jendryschek: … dann fiel das aus. Also eher waren das doch wohl freiwillige Meldungen, und ich vermute auch, zum Teil war das einfach, um einen gewissen Lebensunterhalt zu haben.
Von Billerbeck: Der Bitterfelder Weg war ja auch ein Versuch, die Trennung zwischen Berufs- und Laienkunst aufzuheben. Da kann man sich aber vorstellen, dass es doch da durchaus Differenzen mit den Künstlern gegeben haben kann.
Jendryschek: Also ich denke schon, dass man nach wie vor diesen Bitterfelder Weg vorwiegend nicht unter künstlerischen Aspekten, sondern eher unter soziologischen Aspekten sehen sollte, was damals sicherlich nicht so im Blickpunkt war, also dass etwa die Schriftsteller nun mit ihren Büchern beitragen, ökonomische Probleme zu lösen und umgekehrt die Arbeiter genauer als die Schriftsteller die Probleme der Betriebe schildern können. Das alles ist also ungeheuer naiv und das hat natürlich nie stattgefunden.
Wenn man so will, ist insgesamt relativ wenig unmittelbar künstlerisch aus dem Ganzen hervorgegangen. Ich halte es nur für eine großartige Möglichkeit, dass, wenn man so will, im heutigen Sprachgebrauch Unterprivilegierte, wozu eben die sogenannte herrschende Arbeiterklasse in der Bildungshinsicht sicherlich gehörte, dass die die Möglichkeit hatten, einfach mit Künstlern ab und zu zusammenzutreffen, etwas davon kennenzulernen. Also solche Begegnungen, die waren zum Teil wirklich erfreulich, auch wenn oftmals gar nicht über Literatur gesprochen wurde, sondern über Lebensprobleme insgesamt.
Von Billerbeck: Wie lange wurde denn eigentlich dieser Bitterfelder Weg gegangen?
Jendryschek: Also ich denke, dass er ernsthaft nach etwa zehn Jahren als, wenn man so will, Propagandamaschine sich erledigt hatte. Ich würde eben nur sehen, dass andererseits für viele Leute, die sich künstlerisch betätigen wollten, die kulturelle Erfahrungen haben wollten, andererseits für Begegnungen von Arbeitern und Künstlern, dass ich das alles für eine erfreuliche Angelegenheit halte.
Vielleicht war das nicht das Primat, was da gewollt wurde, aber diese Nebenerscheinungen, wenn man sie nutzte, konnten schon wirklich, wie man so sagt, bereichernd sein.
Von Billerbeck: Vor 50 Jahren wurde auf einer Kulturkonferenz im anhaltischen Bitterfeld der Bitterfelder Weg verkündet. Heute wird darüber während eines Symposiums im benachbarten Wolfen diskutiert. Mein Gesprächspartner ist dabei, der Lyriker und einstige Verlagslektor Manfred Jendryschek. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Jendryschek: Ja, ich danke auch.